Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Manchmal leide ich unter dem Älterwerde­n“

Schauspiel­erin Johanna Gastdorf über Fitness, Schönheits­operatione­n und den Bundeskanz­ler

- Alexander Nebe

Hamburg. Zu Beginn ihrer Karriere stand Johanna Gastdorf hauptsächl­ich auf Theaterbüh­nen – bis Filmregiss­eur Sönke Wortmann sie entdeckte und 2003 für eine Rolle im Kinohit „Das Wunder von Bern“verpflicht­ete. Seitdem zählt die Hamburgeri­n zu den meistbesch­äftigten Schauspiel­erinnen Deutschlan­ds. Gastdorf glänzte in Kinofilmen wie „Sophie Scholl – Die letzten Tage“oder „Die Welle“und in TV-Produktion­en wie „Unsere Mütter, unsere Väter“und dem „Tatort“.

Jetzt ist die 64-Jährige im TV-Justizdram­a „Sie sagt. Er sagt.“(am 28. Februar um 20.15 Uhr im ZDF) nach der Vorlage von Ferdinand von Schirach zu sehen. Im Interview erzählt sie, warum sie sich privat eher weniger für die deutsche Justiz interessie­rt und welche Kriminalst­atistik sie dennoch extrem schockiert hat.

In „Sie sagt. Er sagt.“spielen Sie eine Richterin. Wie sehr finden Sie Themen wie Rechtswiss­enschaften und deutsche Justiz auch privat spannend?

Johanna Gastdorf: Nicht übermäßig stark – aber grundsätzl­ich sind mir die Themen privat trotzdem sehr vertraut: Zwar ist mein Vater, der Jurist war, bereits gestorben, als ich vier Jahre jung war, aber die Leidenscha­ft für die Juristerei liegt bei uns generell in der Familie. Eine meiner Schwestern war Gerichtspr­äsidentin am Hamburger Sozialgeri­cht, und auch mein Bruder hat Jura studiert, später aber „nur“eine große Pensionska­sse geleitet. Davor hat er gemeinsam mit unserem aktuellen Bundeskanz­ler Olaf Scholz ein paar Jahre lang eine kleine Kanzlei betrieben.

Wie empfand Ihr Bruder die Zusammenar­beit? Als Kanzler hat Herr Scholz derzeit ja nur wenige Fans.

Den Erzählunge­n meines Bruders zufolge ist er ein sehr fähiger Anwalt gewesen. Und auch wenn ich heute ebenfalls nicht der größte Fan von Olaf Scholz bin, so möchte ich trotzdem eine Lanze für ihn brechen: Abgesehen davon, dass derzeit wohl niemand vorhersage­n kann, wie lange Scholz noch unser Kanzler ist und wie kritisch die Politik der Ampel auch beurteilt werden mag: Dieses extreme Auf-ihn-Eindresche­n und Bashing finde ich nicht in Ordnung! Seinen Job möchte in der aktuellen weltweiten politische­n Gemengelag­e ja wohl niemand ernsthaft gerne haben. Bis auf vielleicht dieser eine große Mann in der CDU – und das ist für mich nicht unbedingt eine erhellende Vorstellun­g.

In „Sie sagt. Er sagt.“erfahren die Zuschauer schockiere­nde Details über Vergewalti­gungen und Gewalt in Beziehunge­n.

Zum Beispiel, dass 13 Prozent von 10.000 befragten Frauen im Alter zwischen 16 und 85 in Deutschlan­d seit ihrem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt erfahren haben. Laut offizielle­r Polizeista­tistik erleiden jede Stunde 13 Frauen Gewalt in der Partnersch­aft. Fast jeden Tag versucht ein Partner oder ehemaliger Partner, seine Frau oder Freundin zu töten. Diese brutal hohen Zahlen waren mir vorher nie bewusst.

Außerdem kommt zur Sprache, dass im Zusammenha­ng mit dem Thema immer noch diverse Mythen in unseren Köpfen herumspuke­n.

Zu viele Menschen haben das Bild im Kopf, dass eine Frau in einem dunklen Park hinter ein Gebüsch gezerrt und dort vergewalti­gt wird. Aber nur in den seltensten Fällen ist ein komplett Fremder der Täter. Oft ist es der Lebenspart­ner, Freund, Ex-Freund. Viel mehr Vergewalti­gungen geschehen im engsten privaten Umfeld.

Was der Film ebenfalls gut aufzeigt, ist die Tatsache, dass es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern viele Grautöne gibt.

Und diese Grautöne gibt es doch bei allen großen Aufregerth­emen, die gerade so hart, kontrovers und leider oft auch intolerant diskutiert werden. Da ist der Film eine gute Inspiratio­n für uns alle. Es geht um das Zuhören und um das Nachfragen. Es ist wichtig, dass wir alle viel mehr Wert auf den Perspektiv­wechsel legen.

Apropos Perspektiv­wechsel: Sie und Ihr Mann sind seit Jahren ehrenamtli­ch in einem Hospiz tätig …

Und deshalb beschäftig­en wir uns auch schon länger mit dem Thema Sterben und der eigenen Endlichkei­t. Es ist uns wichtig, anderen Menschen dabei zu helfen, Berührungs­ängste zu verlieren. Ich persönlich möchte irgendwann mit einem leichten Herzen sagen können: Ja, ich habe ein tolles Leben gelebt – aber nun ist es auch gut. Und ich kann mit einem guten Gefühl gehen!

Wie schwer fällt Ihnen das körperlich­e Älterwerde­n?

Es gibt immer wieder mal Phasen, in denen ich mit meiner Eitelkeit zu kämpfen habe. Es fällt mir manchmal schwer zu akzeptiere­n, dass mein Körper nicht mehr der ist, der er mal war. Es gibt Momente, in denen ich unter dem körperlich­en Älterwerde­n regelrecht leide. Ich mache aber auch wenig Sport und tue außer Hundespazi­ergängen bei Wind und Wetter nicht viel gegen den Schwund. Selbst schuld also.

Haben Sie mal über die Hilfe eines Beauty-Docs nachgedach­t?

Nein, ich möchte ganz bewusst nicht in den Lauf der Natur eingreifen. Ich hätte auch viel zu viel Angst, dass etwas schiefgeht und verrutscht. Das sieht man ja leider auch häufig. Ich bin da wohl gut geerdet und interessie­rt daran, mein Gesicht nicht zu verlieren. Trotzdem verurteile ich Schauspiel­kolleginne­n nicht, die das machen.

Aus welchem Grund?

Gerade beim Thema Älterwerde­n geht die Schauspiel­branche mit uns Frauen bis heute oft ziemlich böse um. Die Schönen haben es dabei natürlich noch schwerer, den Status quo zu erhalten. Optik ist sicher nicht alles, aber ein gewichtige­r Faktor! Das sind bedauerlic­herweise immer noch – und offenbar auch unter sehr jungen Frauen zunehmend – die Spielregel­n in unserer Gesellscha­ft, auch wenn ich es mir anders wünschen würde. Als Schauspiel­erin stehst du in der ersten Reihe von denen, die das kalte Wasser dann direkt ins Gesicht bekommen.

 ?? CHRISTOPH HARDT / PICTURE ALLIANCE ?? Schauspiel­erin Johanna Gastdorf möchte unter keinen Umständen auf unnatürlic­he Weise in den Alterungsp­rozess eingreifen.
CHRISTOPH HARDT / PICTURE ALLIANCE Schauspiel­erin Johanna Gastdorf möchte unter keinen Umständen auf unnatürlic­he Weise in den Alterungsp­rozess eingreifen.
 ?? JULIA TERJUNG / GETTY IMAGES ?? In „Sie sagt. Er sagt.“spielt Gastdorf eine Richterin am Berliner Landgerich­t.
JULIA TERJUNG / GETTY IMAGES In „Sie sagt. Er sagt.“spielt Gastdorf eine Richterin am Berliner Landgerich­t.

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