Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Gold, Sandstein, Leinöl?
Praxis statt Klassenzimmer: Schüler schauen Steinmetzen und Malern über die Schulter – und dürfen selbst ran
„Jetzt kommt der spannende Teil“, sagt Andrea Govea Caldelar, Auszubildende im zweiten Lehrjahr. Die angehende Steinmetzin zeigt den Schülern, wie man einen Stein richtig bearbeitet. „Wir wollen diesen Sandstein glätten“, erklärt sie. Dabei müsse man vorsichtig vorgehen: „Wenn die Ecke wegbricht, musst du von Neuem beginnen.“
Der seit fünf Jahren von der Agentur für Arbeit organisierte „Tag der Berufe“bietet für Schüler eine Möglichkeit, sich direkt in den Betrieben über eine Ausbildung zu informieren, sowie den Beschäftigten über die Schulter zu blicken und sie mit Fragen zu löchern.
„Wir wollen den Schülerinnen und Schülern Einblicke in eine Arbeits- und Berufswelt geben, die sie interessiert“, sagt Helene Böhm von der Agentur für Arbeit. 52 Erfurter Unternehmen hätten sich bereit erklärt, ihre Werkstätten, Büros oder Ställe zu öffnen. In ganz Mittelthüringen meldeten sich in diesem Jahr 1.452 Schüler an, um sich beruflich zu orientieren.
„Man hat in den letzten 30 Jahren viel versäumt!“
Sechs Schüler aus Erfurt haben sich an diesem Vormittag für die Firma Nüthen im Erfurter Osten entschieden. Die Firma sei deutschlandweit führend in der Denkmalpflege, sagt Ulrike Herrmann. Sie leitet die Tour über das Werksgelände. „Seit letztem Jahr nehmen wir am Tag der Berufe teil“, so Herrmann. Insgesamt elf Schüler würden sich in diesem Jahr bei Steinmetzen, Restauratoren und Malern über Ausbildungsmöglichkeiten
und Tätigkeitsfelder informieren.
Auch bei der Firma Nüthen macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Malermeister Sven Bässe sagt: „Zurzeit haben wir einen Auszubildenden und einen Praktikanten bei uns. Möglich wären aber fünf oder sechs.“In guten Zeiten habe man in einem Betrieb dieser Größe sicher zehn junge Menschen ausgebildet, so Bässe. Mittlerweile gebe es an allen Standorten zusammen gerade einmal zehn Auszubildende.
In den letzten 30 Jahren habe man versäumt, das Handwerk richtig
zu vermitteln, beklagt der Malermeister: „Der Fokus war: Uni, Uni, Uni. Aber was nutzt mir der Kopf, wenn ich meine Hände nicht einzusetzen weiß?“Bässe ist einer, der es wissen muss: Seit 42 Jahren ist er im Geschäft und schwärmt von seinem Beruf: „Maler ist eine großartige Arbeit! Und es ist so viel mehr, als es die Klischees vermuten lassen.“
Genau das möchte er den Schülern auch vermitteln, die heute in seiner Werkstatt stehen. Die staunen, als Bässe feines Blattgold herumreicht und auf das große vergoldete Kreuz neben sich zeigt: „Dieses
Kreuz steht normalerweise in 30 Meter Höhe, auf der Friedenskirche in Potsdam. Wir haben es entrostet, angestrichen und mit drei Blattgoldschichten vergoldet“, rekonstruiert Bässe die Arbeitsschritte. „Das hat unsere Auszubildende gemacht“, sagt er stolz.
Mit Pinseln, Schablonen und Pauspapier ausgestattet, dürfen die Schüler auch ihre eigenen Werke zu Papier bringen. „Zum Beruf gehört auch, dass man mal Farbe in den Haaren, oder im Gesicht hat“, sagt Bässe. Er lacht: „Das geht aber alles wieder weg.“
Die angehende Steinmetzin Govea Caldelar wollte nach der Schule „unbedingt was Kreatives“machen. Im Büro zu sitzen habe sie daher weniger gereizt. Nun ist sie eine von sechs Frauen in ihrer Klasse in der Berufsschule: „Die Quote stört mich nicht, kann aber schon noch besser werden!“Nächstes Jahr schließt sie ihre Ausbildung bei Nüthen ab. „Dann mache ich vielleicht eine Weiterbildung zur Steinbildhauerin in Italien“, sagt Govea Caldelar. Danach könne sie sich gut vorstellen, nach Erfurt zurückzukehren.