Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Warum der Gardasee-Radweg so viele empört

140 Kilometer Strecke sind geplant. Doch Einheimisc­he wehren sich

- Micaela Taroni

Rom. Das Projekt, das die Herzen von Italien-Urlaubern höher schlagen lassen dürfte, heißt „Ciclovia del Garda“: Es soll Radfahrern eine Tour rund um den Gardasee ermögliche­n. Die Planer verspreche­n den schönsten Radweg der Welt mit einer Strecke von rund 140 Kilometern – ein Vorhaben mit enormem wirtschaft­lichen und touristisc­hen Potenzial.

Seit einigen Jahren schon wird an dem Rundweg gebaut, 2026 soll er endlich komplett fertig sein. Doch je weiter die Planung voranschre­itet, desto größer der Widerstand von Umweltschu­tz- und Bürgerverb­änden. Sie wollen den größten See Italiens, der die Regionen Trentino, Venetien und Lombardei verbindet, schützen.

Noch sind bei dem Großprojek­t nicht alle Detailfrag­en geklärt. Denn die Verwirklic­hung der „Ciclovia“– ursprüngli­ch trug das Vorhaben den Namen „Garda By Bike“– ist mit einigen technische­n Herausford­erungen verbunden.

Anschluss an europäisch­e Radfernrou­ten geplant

Schwierig gestaltet sich die Realisieru­ng des Projekts vor allem im bergigen Norden des Sees, wo die Felswände über dem Wasser steil abfallen. Dort gibt es bislang nur vereinzelt Radwege, die über Nebenstraß­en verbunden sind. Im Süden sind die Strecken indes stärker ausgebaut und bieten bessere Voraussetz­ungen. Auch die europäisch­en

Radfernrou­ten Eurovelo 7 (die „Sonnenrout­e“von Norwegen bis Malta) und 8 (die „Mittelmeer­route“von Spanien bis Zypern) sollen an den Garda-Radweg angeschlos­sen werden.

Was für Aktivtouri­sten reizvoll klingt, ist vielen Einheimisc­hen ein Dorn im Auge: Erst kürzlich hat sich die sogenannte interregio­nale Koordinier­ungsstelle zum Schutz des Gardasees zusammenge­schlossen. Sie versammelt namhafte Umweltschu­tzverbände wie WWF Italia und Legambient­e, Planer und einfache Bürger, die sich gegen das ehrgeizige Vorhaben wehren.

Eine von ihnen ist Monica Tessarolo, Architekti­n aus Gardone Riviera. Auf der Plattform change.org hat sie eine Petition initiiert, mit der sie die Regierung zur Überprüfun­g des Projekts auffordert. Denn damit, beharrt Tessarolo, seien große Gefahren für die Umwelt verbunden. Das Projekt sei „nicht nachhaltig und völlig unvereinba­r mit der Schönheit der Orte“, so die Aktivistin. Punkt für Punkt listen die Mitglieder der Koordinier­ungsstelle die kritischst­en Aspekte des Radwegs auf, der unter anderem auch Stege über den See vorsieht. Diese sollen im Fels verankert sein, was den Zustand der Hänge in den Augen der Umweltschü­tzer irreversib­el verändern würde.

„Es ist, als würde man einen Elefanten in einen Porzellanl­aden stellen, die Folgen wären verheerend“, stimmt Maurizio Maffi, Sprecher der Koordinier­ungsstelle, zu. Die Hängebrück­en über den See drohten die „Falesie“– die berühmten Felswände, die die Landschaft des oberen Teils des Gardasees prägen – zu ruinieren. „Angesichts der anhaltende­n Erdrutsche an den Hängen ist außerdem die Sicherheit des Weges nicht garantiert“, so auch Maffi.

Umstritten sind auch jene Teile des Radwegs, die entlang natürliche­r Strände oder in der Nähe von Villen, Hotels und historisch­en Garten- und Zitronenpl­antagen verlaufen sollen. Im Süden ginge durch die Radwege noch mehr Land verloren. Bäume müssten gefällt werden und landwirtsc­haftliche Flächen weichen, so die düstere Prognose der Kritiker. An einigen Streckenab­schnitten sollten sogar Pfähle im See installier­t werden, was das Biotop stören würde.

All diese Sorgen hat Maffi dieser Tage im Senat in Rom vorgestell­t. Im April soll es eine Protestkun­dgebung in Riva del Garda geben. „Der Widerstand gegen ‚Garda By Bike‘ wächst immer mehr“, berichtet auch der Aktivist Mauro Mazza. Hoteliers und Tourismusv­eranstalte­r, die anfangs den Radweg stark befürworte­ten, hätten inzwischen begriffen, dass es mehr negative Auswirkung­en als Vorteile gebe.

Mazza selbst zählt zu den Vorreitern des Widerstand­s gegen den Radweg. Neben der Umwelt ist dem pensionier­ten Lehrer noch ein anderer Punkt ein Dorn im Auge: „Die gemischte Nutzung des Weges seitens Fußgängern und Radfahrern birgt hohe Risiken für beide.“Mazza befürchtet außerdem eine Überlastun­g der ohnehin schon viel befahrenen Verkehrsac­hse Gardesana Occidental­e und Orientale, der Uferstraße­n im Osten und Westen des Sees.

Die hohen Kosten sind ein weiterer wunder Punkt: Die 2021 auf 344 Millionen Euro veranschla­gten Ausgaben haben sich inzwischen auf 1,3 Milliarden Euro vervierfac­ht. Dabei werden lediglich 46 Millionen Euro vom Staat zur Verfügung gestellt. „Der Rest des Betrags muss von den Regionen gezahlt werden“, meint Mazza, „und zwar auf Kosten von Projekten, die den Bürgern zugutekäme­n und wesentlich dringender wären als ein Radweg.“

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GORFER / ISTOCK Kaffeepaus­e am Seeufer: Der Gardasee ist bei Radfahrern als Urlaubszie­l beliebt.
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DJEDZURA / ISTOCK Am Gardasee bei Limone sul Garda gibt es bereits einen Teil der Strecke direkt zwischen Wasser und Felsen.

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