Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Warum der Gardasee-Radweg so viele empört
140 Kilometer Strecke sind geplant. Doch Einheimische wehren sich
Rom. Das Projekt, das die Herzen von Italien-Urlaubern höher schlagen lassen dürfte, heißt „Ciclovia del Garda“: Es soll Radfahrern eine Tour rund um den Gardasee ermöglichen. Die Planer versprechen den schönsten Radweg der Welt mit einer Strecke von rund 140 Kilometern – ein Vorhaben mit enormem wirtschaftlichen und touristischen Potenzial.
Seit einigen Jahren schon wird an dem Rundweg gebaut, 2026 soll er endlich komplett fertig sein. Doch je weiter die Planung voranschreitet, desto größer der Widerstand von Umweltschutz- und Bürgerverbänden. Sie wollen den größten See Italiens, der die Regionen Trentino, Venetien und Lombardei verbindet, schützen.
Noch sind bei dem Großprojekt nicht alle Detailfragen geklärt. Denn die Verwirklichung der „Ciclovia“– ursprünglich trug das Vorhaben den Namen „Garda By Bike“– ist mit einigen technischen Herausforderungen verbunden.
Anschluss an europäische Radfernrouten geplant
Schwierig gestaltet sich die Realisierung des Projekts vor allem im bergigen Norden des Sees, wo die Felswände über dem Wasser steil abfallen. Dort gibt es bislang nur vereinzelt Radwege, die über Nebenstraßen verbunden sind. Im Süden sind die Strecken indes stärker ausgebaut und bieten bessere Voraussetzungen. Auch die europäischen
Radfernrouten Eurovelo 7 (die „Sonnenroute“von Norwegen bis Malta) und 8 (die „Mittelmeerroute“von Spanien bis Zypern) sollen an den Garda-Radweg angeschlossen werden.
Was für Aktivtouristen reizvoll klingt, ist vielen Einheimischen ein Dorn im Auge: Erst kürzlich hat sich die sogenannte interregionale Koordinierungsstelle zum Schutz des Gardasees zusammengeschlossen. Sie versammelt namhafte Umweltschutzverbände wie WWF Italia und Legambiente, Planer und einfache Bürger, die sich gegen das ehrgeizige Vorhaben wehren.
Eine von ihnen ist Monica Tessarolo, Architektin aus Gardone Riviera. Auf der Plattform change.org hat sie eine Petition initiiert, mit der sie die Regierung zur Überprüfung des Projekts auffordert. Denn damit, beharrt Tessarolo, seien große Gefahren für die Umwelt verbunden. Das Projekt sei „nicht nachhaltig und völlig unvereinbar mit der Schönheit der Orte“, so die Aktivistin. Punkt für Punkt listen die Mitglieder der Koordinierungsstelle die kritischsten Aspekte des Radwegs auf, der unter anderem auch Stege über den See vorsieht. Diese sollen im Fels verankert sein, was den Zustand der Hänge in den Augen der Umweltschützer irreversibel verändern würde.
„Es ist, als würde man einen Elefanten in einen Porzellanladen stellen, die Folgen wären verheerend“, stimmt Maurizio Maffi, Sprecher der Koordinierungsstelle, zu. Die Hängebrücken über den See drohten die „Falesie“– die berühmten Felswände, die die Landschaft des oberen Teils des Gardasees prägen – zu ruinieren. „Angesichts der anhaltenden Erdrutsche an den Hängen ist außerdem die Sicherheit des Weges nicht garantiert“, so auch Maffi.
Umstritten sind auch jene Teile des Radwegs, die entlang natürlicher Strände oder in der Nähe von Villen, Hotels und historischen Garten- und Zitronenplantagen verlaufen sollen. Im Süden ginge durch die Radwege noch mehr Land verloren. Bäume müssten gefällt werden und landwirtschaftliche Flächen weichen, so die düstere Prognose der Kritiker. An einigen Streckenabschnitten sollten sogar Pfähle im See installiert werden, was das Biotop stören würde.
All diese Sorgen hat Maffi dieser Tage im Senat in Rom vorgestellt. Im April soll es eine Protestkundgebung in Riva del Garda geben. „Der Widerstand gegen ‚Garda By Bike‘ wächst immer mehr“, berichtet auch der Aktivist Mauro Mazza. Hoteliers und Tourismusveranstalter, die anfangs den Radweg stark befürworteten, hätten inzwischen begriffen, dass es mehr negative Auswirkungen als Vorteile gebe.
Mazza selbst zählt zu den Vorreitern des Widerstands gegen den Radweg. Neben der Umwelt ist dem pensionierten Lehrer noch ein anderer Punkt ein Dorn im Auge: „Die gemischte Nutzung des Weges seitens Fußgängern und Radfahrern birgt hohe Risiken für beide.“Mazza befürchtet außerdem eine Überlastung der ohnehin schon viel befahrenen Verkehrsachse Gardesana Occidentale und Orientale, der Uferstraßen im Osten und Westen des Sees.
Die hohen Kosten sind ein weiterer wunder Punkt: Die 2021 auf 344 Millionen Euro veranschlagten Ausgaben haben sich inzwischen auf 1,3 Milliarden Euro vervierfacht. Dabei werden lediglich 46 Millionen Euro vom Staat zur Verfügung gestellt. „Der Rest des Betrags muss von den Regionen gezahlt werden“, meint Mazza, „und zwar auf Kosten von Projekten, die den Bürgern zugutekämen und wesentlich dringender wären als ein Radweg.“