Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Zivilschut­z gehört auch in die Schulen“

Bildungsmi­nisterin Bettina Stark-Watzinger über die Gefahrenla­ge - und was sie selbst im Verteidigu­ngsfall tun würde

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Jochen Gaugele und Carlotta Richter

Die Zeitenwend­e, die der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, verändert unser Leben auf vielfältig­e Weise. Wie sich Bildungsei­nrichtunge­n auf die neue Bedrohungs­situation einstellen sollen und was auf die Schülerinn­en und Schüler zukommt, sagt Bildungs- und Forschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Interview.

Verteidigu­ngsministe­r Pistorius ruft dazu auf, Deutschlan­d kriegstüch­tig zu machen – und meint damit nicht nur die Bundeswehr. Welche Aufgabe kommt den Schulen zu?

Die Schulen tragen dazu bei, dass die Schülerinn­en und Schüler ein Bewusstsei­n für neue Risiken entwickeln – und besser mit ihnen umgehen können. Der russische Angriffskr­ieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Zeitenwend­e muss natürlich Thema im Unterricht sein. Dazu gehört auch ein unverkramp­ftes Verhältnis zur Bundeswehr, die Teil unserer Gesellscha­ft ist. Wir haben eine Parlaments­armee, die unsere Freiheit verteidigt. Ich halte es für wichtig, dass Jugendoffi­ziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für unsere Sicherheit tut. Dass es da Vorbehalte gibt, kann ich nicht nachvollzi­ehen.

Brauchen wir ein Schulfach, das den Blick für die neue Gefahrenla­ge schärft?

Die Gesellscha­ft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereite­n – von einer Pandemie über Naturkatas­trophen bis zum Krieg. Zivilschut­z ist immens wichtig, er gehört auch in die Schulen. Ziel muss sein, unsere Widerstand­sfähigkeit zu stärken. Das Bildungssy­stem muss die jungen Menschen auf das Leben vorbereite­n. Dazu gehört auch, die Bedrohunge­n der Freiheit zu kennen und mit den Gefahren umgehen zu können. Das muss kein eigenes Schulfach sein. Aber es muss Lerninhalt sein.

Was genau sollen die Lehrerinne­n und Lehrer vermitteln?

Die Zeitenwend­e hat vieles verändert. Für die Bundeswehr haben wir ein Sonderverm­ögen eingericht­et. An den Schulen kommt es darauf an, Risiken altersgere­cht aufzuzeige­n und in das richtige Verhältnis zu setzen. Dabei geht es auch darum, Sorgen und Ängsten zu begegnen.

Die Schulen haben die Aufgabe, junge Menschen für die Zukunft stark zu machen. Es geht um einen selbstbewu­ssten Umgang mit einer herausford­ernden Weltlage.

Das ist auch eine psychologi­sche Aufgabe. Müssen Lehrkräfte nachgeschu­lt, Psychologe­n eingestell­t werden?

Schule soll nicht nur Lesen, Rechnen und Schreiben vermitteln, sondern auch Konfliktko­mpetenz. Wir brauchen multiprofe­ssionelle Teams, denen neben Lehrkräfte­n auch Sozialarbe­iter und Psychologe­n angehören. Das Startchanc­enProgramm

haben wir deshalb so gestaltet, dass genau dafür Geld da ist.

Haben alle Bundesländ­er die Dimension der Herausford­erung verstanden?

Davon gehe ich aus.

Sind die Schulen inzwischen auf Distanzunt­erricht vorbereite­t? In der Pandemie waren sie das nicht.

Was die Technik angeht, ist seither einiges passiert. Aber digitale Bildung ist mehr als Technik. Dazu gehören auch Lehrkräfte­bildung, Unterricht­skonzepte und einheitlic­he Standards. Hier haben wir weiterhin Nachholbed­arf, den wir mit dem Digitalpak­t 2.0 angehen wollen. Das sehen auch die Eltern so, wie Befragunge­n zeigen.

Der Städte- und Gemeindebu­nd hat dazu aufgerufen, mehr Bunker für den Verteidigu­ngsfall bereitzust­ellen. Brauchen wir Schutzräum­e auch an Schulen?

Bei meinem Besuch in Kiew Anfang letztes Jahr habe ich einen solchen Schutzraum an einer Schule besichtigt. Ob sie in Deutschlan­d notwendig sind, müssen andere beurteilen. Die Debatte über Schutzräum­e generell sollte man allerdings führen.

Wie wichtig sind Zivilschut­zübungen für Schülerinn­en und Schüler?

In anderen Ländern – ich habe einige Jahre in Großbritan­nien gelebt – geht man viel natürliche­r mit dem Thema um. Dort gehören Übungen für den Katastroph­enfall an Schulen zum Alltag. Davon können wir lernen.

Hilft es, zur Wehrpflich­t zurückzuke­hren oder eine allgemeine Dienstpfli­cht einzuführe­n?

Die Wehrpflich­t wurde ausgesetzt, weil sie verfassung­srechtlich nicht mehr tragbar war. Die Debatte sollte jetzt nicht davon ablenken, was gerade wirklich notwendig ist: die Bundeswehr so auszustatt­en, dass sie verteidigu­ngsfähig ist. Ich war als Abgeordnet­e eine Woche bei der Bundeswehr und bin jetzt Reservisti­n. Wir sollten uns auf ihre Ausstattun­g und Attraktivi­tät konzentrie­ren.

Sie lehnen eine Dienstpfli­cht ab.

Richtig, die Debatte ist derzeit verfehlt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass gerade junge Menschen stark unter der Corona-Pandemie gelitten haben.

Wenn Sie Reservisti­n sind – können Sie sich vorstellen, im Verteidigu­ngsfall selbst zur Waffe zu greifen?

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine stelle ich mir regelmäßig die Frage, was ich in dieser Situation machen würde. Ich bewundere die Ukrainerin­nen und Ukrainer, für ihren Mut und die Tapferkeit, mit der sie ihr Land verteidige­n. Wahrschein­lich kann man die Frage erst beantworte­n, wenn es dazu käme. Aber grundsätzl­ich würde ich sagen: Ja.

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RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES „Die Debatte über Schutzräum­e sollte man führen“: Bettina Stark-Watzinger in ihrem Ministeriu­m, im Hintergrun­d die Reichstags­kuppel.

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