Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Bei Abschiebung muss der Bund nachbessern“
Paul Langemann von der Ausländerbehörde Weimarer Land über Hürden bei der Rückführung von Asylbewerbern
Die Mitarbeiter der 22 Thüringer Ausländerbehörden, die sich um Abschiebungen kümmern, brauchen eine hohe Frustrationstoleranz. Denn viele Versuche scheitern. Wir sprachen darüber mit Paul Langemann, seit neun Jahren Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde des Kreises Weimarer Land.
Wir haben jüngst detailliert über die misslungene Abschiebung eines straffällig gewordenen Syrers nach Bulgarien berichtet. Letztlich scheiterte die Rückführung daran, dass sich der Pilot des Linienflugs weigerte, den sich renitent verhaltenden Mann mitzunehmen. Kommt so etwas häufiger vor?
Ich schätze, dass etwa ein Viertel der Rückführungen deswegen scheitert. Wenn der Pilot die Flugsicherheit gefährdet sieht und die Mitnahme verweigert, muss die Maßnahme abgebrochen werden. Da sind uns dann die Hände gebunden. Die häufigste Ursache für misslungene Abschiebungen ist allerdings der unbekannte Aufenthalt der betreffenden Personen.
Haben Sie als Ausländerbehörde in dem geschilderten Fall alle Möglichkeiten ausgeschöpft?
Ja, alle. Wir haben wegen der Straftat, die der Syrer kurz zuvor begangen hat, sogar eine Rückführung mit Sicherheitsbegleitung durch die Bundespolizei organisiert und Überstellungshaft beantragt. Gerade der Haftantrag bedeutet für uns enorm viel Aufwand, weil das der gravierendste Rechtseingriff ist. Mehr aber hätte weder der gesetzliche Rahmen hergegeben noch hätten wir tun können. Mittlerweile hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Betroffenen den subsidiären Schutzstatus zuerkannt, was zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führt.
Schon der erste Versuch, diesen Mann außer Landes zu bringen, schlug fehl, weil er nicht in der Unterkunft angetroffen wurde. Das neue Rückführungsverbesserungsgesetz gestattet es den Ausländerbehörden, auch angrenzende Wohnräume zu durchsuchen. Glauben Sie, dass es damit leichter gelingt, Ausreisepflichtige aufzufinden?
Ich denke nicht, dass das der große Wurf wird. Man muss sich nur mal die konkrete Situation vergegenwärtigen: In unseren Gemeinschaftsunterkünften im Weimarer Land leben jeweils bis zu 300 Personen.
Denen stehen wir, also die Mitarbeiter der Ausländerbehörde und die Polizeibeamten, allenfalls zu sechst gegenüber. Da durchkämmt man nicht Zimmer für Zimmer, zumal dafür auch kaum Zeit bleibt.
Weshalb?
Weil die Zeit bis zum Abflug meist knapp bemessen ist. Vor knapp zwei Wochen zum Beispiel sind wir nachts um 3 Uhr in eine Gemeinschaftsunterkunft, um einen Asylbewerber nach Bulgarien zu überstellen. Sein Flug ging um kurz nach 10 Uhr am Flughafen Frankfurt (Main). An dem Tag hatten wir Glück, weil uns der Mann in der Unterkunft direkt in die Arme lief, anstandslos seine Sachen packte und auch im Flugzeug keinen Widerstand leistete. So läuft es aber selten.
Wenn so viele Abschiebungen an den Piloten scheitern: Warum gibt es nicht mehr Charterflüge?
Das liegt zum einen daran, dass einige aufnehmende Staaten keine Charterflüge akzeptieren, zum anderen an den Vorgaben dieser Länder. Außerdem erfordert die Organisation von Charterflügen einen zeitlichen Vorlauf von etwa drei Monaten.
Was meinen Sie mit „Vorgaben der Länder“?
Abgesehen davon, dass sich Italien wegen Kapazitätsengpässen seit Dezember 2022 komplett weigert, Asylbewerber zurückzunehmen, bauen andere EU-Länder bürokratische Hürden auf, um die Rückführungen zu erschweren. Kroatien zum Beispiel akzeptiert europaweit nur 20 Überstellungen am Tag. Andere
Länder verhängen Sperrtage oder nehmen die Menschen nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit auf. Kroatien etwa gibt neben zahlreichen Sperrtagen vor, dass die Personen bis spätestens 14 Uhr in Zagreb zu sein haben. Das schränkt die Auswahlmöglichkeiten bei der ohnehin knapp bemessenen Zahl von Linienflügen in diese Länder ein.
Was könnte der Bund tun, um Ihnen und auch der Zentralen Abschiebestelle im Landesverwaltungsamt, die die Rückreise organisiert, die Arbeit zu erleichtern?
Bei den Dublin-Überstellungen dauert es im Moment viel zu lange, bis der Bund die Rückkehrentscheidung erlässt und die Überstellungsmodalitäten übersendet. Das heißt: Sobald Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Asylbewerber in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hat, wird ein Übernahmeersuchen an dieses Land gestellt. Das wird in der Regel zeitnah positiv beschieden. Von diesem Tag an läuft die Überstellungsfrist von sechs Monaten. Wenn das Bamf den Ausländerbehörden aber erst nach vier oder fünf Monaten den nötigen Bescheid und die Überstellungsmodalitäten übersendet, reicht die Zeit in vielen Fällen nicht mehr aus, die Überstellung zu organisieren.
Mit dem Ergebnis, dass dann Deutschland zuständig ist?
Ja, genau. Hier muss der Bund unbedingt nachbessern. Denn jeder hat noch den Fall Anis Amri (der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz - Anmerkung der Redaktion) in Erinnerung: Der war zuerst in Italien registriert worden, ehe er illegal nach Deutschland einreiste und nicht zurückgeführt wurde. Doch genauso muss der Bund bei der Passbeschaffung bei normalen Abschiebungen mehr Druck auf die Herkunftsländer ausüben, damit diese ihre Staatsangehörigen identifizieren und Passersatzpapiere ausstellen. Wer ausreisen muss und keine Papiere besitzt, ist zwar dazu verpflichtet, an deren Beschaffung aktiv mitzuwirken. Aber das macht natürlich kaum einer, weil allen klar ist: Sobald Papiere vorliegen, kann auch abgeschoben werden.
Wenn es neue Regelungen wie das Rückführungsverbesserungsgesetz gibt: Werden die Thüringer Ausländerbehörden dann geschult?
Bis heute noch nicht. Ich bin schon ein bisschen neidisch, wenn ich sehe, dass zum Beispiel meine Kollegen in Bayern in der Vergangenheit sehr genaue Anwendungshinweise bekommen haben. In Thüringen werden die Ausländerbehörden damit oft alleingelassen. Die Einführung des Schengener Informationssystems 3.0 ist dafür das beste Beispiel. Jeder versucht, sich neben Sprechtagen, Abschiebungen und dem alltäglichen Wahnsinn zu erschließen, was neu ist und was es für unsere Arbeit bedeutet.
Aber es gab doch mal einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch von Ausländerbehörden, Landesverwaltungsamt und Ministerium.
Ja, bis zu Corona sogar in halbjährlichem Abstand. Aber danach kam das nie wieder in Gang – zum Teil wohl auch, weil dort unbequeme Fragen gestellt wurden, auf die ad hoc niemand eine Antwort wusste. Auch auf einen Brandbrief mehrerer Ausländerbehörden im vergangenen Jahr zur speziellen Thüringer Auslegung des Chancenaufenthaltsrechts gab es nach meinem Kenntnisstand nie eine Antwort. Ich würde mir mehr Anwendungshinweise wünschen – und ich bin optimistisch, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Land und Ausländerbehörden unter dem nun zuständigen Ministerium intensiviert.