Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Friedrich Merz: „Ich habe Respekt vor den Grünen“
Der CDU-Chef spricht über die K-Frage, einen günstigen Termin für Neuwahlen – und wie er sich auf Angela Merkels Geburtstag einstellt
Berlin. Friedrich Merz verstaut die langen Beine unter dem Tisch und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Die Lage draußen in der Welt mag bedrohlich sein, der CDU-Chef und Unionsfraktionsvorsitzende wirkt überraschend entspannt. Selbst bei Fragen nach seiner Vorgängerin Angela Merkel bleibt sein Puls inzwischen ruhig.
Herr Merz, wenn es schlecht läuft, haben wir im nächsten Jahr Putin und Trump als Präsidenten, einen eskalierten Gaza-Krieg und eine AfDMehrheit in den ostdeutschen Ländern. Wollen Sie da wirklich Bundeskanzler werden?
Friedrich Merz: Ihre Aufzählung zeigt, in welcher Zeit wir leben. Die Lage ist schwierig und wird möglicherweise noch schwieriger werden. Dem muss man sich stellen, egal in welcher Funktion.
Die Union will einen Regierungswechsel schon vor dem nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2025. Dabei haben Sie noch nicht mal einen Kanzlerkandidaten.
Wenn die Bundestagswahl früher stattfinden sollte, wäre die Union sofort handlungsfähig. Wir sind gut aufgestellt und auf alle Szenarien vorbereitet. Wir könnten jederzeit in eine vorgezogene Bundestagswahl gehen.
Und wenn erst 2025 gewählt wird? Warum sagen Sie nicht einfach „Ich kandidiere“?
Wenn es vorerst keine vorgezogene Bundestagswahl gibt, dann treffen wir die Entscheidung im Spätsommer dieses Jahres. Ein früherer Zeitpunkt wäre unklug. Wir werden dabei die engere Führung der CDU einbinden, dazu zählen auch die Landesvorsitzenden. Am Ende wird es einen gemeinsamen Vorschlag von Markus Söder und mir geben.
Nehmen wir an, Sie treten an. Dann wird es ein Duell gegen Kanzler Scholz. Der könnte mit seiner TaurusHaltung als besonnener Friedenskanzler Wahlkampf machen. Diese Haltung kommt gut an …
Auch wir gehen besonnen und abwägend
mit diesen Herausforderungen um. Wir kommen nach sorgfältiger Prüfung allerdings zu anderen Ergebnissen als ein Großteil der SPD.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist hart kritisiert worden für die Idee, den Ukraine-Konflikt „einzufrieren“. Ist diese Position nicht in einer Debatte um Krieg und Frieden zulässig?
Absolut. Die Legitimität einer solchen Aussage spricht ihm ja auch niemand ab. Man muss nur sehen, von wem Rolf Mützenich dafür Beifall bekommt: von SPD, AfD, Linkspartei und BSW. Das sollte den Sozialdemokraten zu denken geben. Hinzu kommt: Wir haben vor genau zehn Jahren den Ukraine-Konflikt mit den Minsker Abkommen schon einmal „eingefroren“. Russland hat die Zeit genutzt, um massiv aufzurüsten, und dann den Krieg erst richtig begonnen.
Das klingt so, als können Sie sich die außenpolitisch robusteren Grünen eher als Koalitionspartner vorstellen als die friedensbewegte SPD?
Freiheit und Frieden sind die Voraussetzung für alles andere. Ich habe in diesem Punkt Respekt vor den Grünen, sie haben eine tiefe Wandlung durchgemacht. Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlieferungen für die Ukraine gesprochen hat. Die Grünen sind in der Lage, die Realitäten sehr schnell anzunehmen, zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik. In der Wirtschaftspolitik und in der Innenpolitik richten die Grünen dagegen großen Schaden an.
Experten rechnen damit, dass die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge weiter zunehmen wird. Auch deshalb, weil es in Deutschland Bürgergeld für sie gibt. Muss sich das ändern?
Es geht vor allem darum, den Flüchtlingen mehr Anreize zu geben,
schneller in den Arbeitsmarkt zu gelangen. In Deutschland sind von den ukrainischen Flüchtlingen nur 21 Prozent beschäftigt, in anderen europäischen Ländern sind es 60 oder 70 Prozent. In den nächsten Monaten beenden rund 100.000 weitere Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Integrationskurse. Wir müssen auch diese Menschen schnell in Beschäftigung bringen.
Die Flüchtlingszahlen aus anderen Ländern sind ebenfalls weiter hoch …
Die Bundesregierung schafft es immer noch nicht, den illegalen Zuzug über die Grenzen ausreichend zu stoppen. Wir hatten in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wieder fast 50.000 Asylanträge. Das heißt: Aufs Jahr hochgerechnet sind wir wieder bei 300.000. Das bringt dieses Land an den Rand seiner Möglichkeiten, von „Integration“ganz zu schweigen. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, haben wir nicht nur ein Unterbringungsproblem.
Sondern?
Dann bekommen wir weitere erhebliche gesellschaftliche Konflikte, weil die Unterbringungsmöglichkeiten fehlen, von Wohnraum ganz zu schweigen, weil die Schulen die Kinder nicht mehr aufnehmen können und weil die gesellschaftlichen Konflikte noch weiter zunehmen. Ein größeres Geschenk könnte die Ampel der AfD gar nicht machen. Die Grünen müssen endlich ihren Widerstand gegen weitere sichere Herkunftsländer, gegen die Bezahlkarte und gegen strengere Abschieberegeln aufgeben.
Die Ampel scheint mit den Nerven am Ende. Sollte sie vorzeitig auseinanderbrechen – wann könnte es Neuwahlen geben?
Wenn die Bundesregierung vorzeitig scheitert und es tatsächlich Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an. Die Sommerferien wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswahl in Brandenburg ist der Tag bereits ein Wahlsonntag.
Glauben Sie, dass es so kommt?
Die FDP weiß: Wenn sie in der Koalition bleibt, fliegt sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder aus dem Parlament. Sie wird nach meiner Einschätzung daher nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen wollen. Sie würde sich damit dem Verdacht aussetzen, dass sie in dieser Koalition weitermachen will. Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass. Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.
Lokalpolitiker klagen über Drohungen und Attacken, die Stimmung bei den Wahlkämpfen wird aggressiver. Was hilft dagegen?
Es gibt leider eine erhebliche und zunehmende Verrohung der politischen Sitten, gegen die wir uns in den demokratischen Parteien der politischen Mitte alle gemeinsam stellen müssen. Wir müssen gegen die Täter hart vorgehen. Wichtig ist aber auch: Wir dürfen uns keine Angst einjagen lassen, sonst haben wir schon zur Hälfte verloren. Ich habe keine Angst – und ich ermutige auch andere, keine Angst zu haben. Unserem Land würde es helfen, wenn sich wieder mehr Bürgerinnen und Bürger in den politischen Parteien der Mitte engagieren würden. Es ist schön, am Samstag auf die Straße zu gehen und für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Noch besser wäre es, am Montag in eine politische Partei einzutreten und dort die tägliche Arbeit für unsere Demokratie zu leisten.
Muss das Bundesverfassungsgericht stärker gegen Verfassungsfeinde geschützt werden?
Wir sehen keine akute Gefahr für das Bundesverfassungsgericht. Aber wir nehmen die Bedenken und Diskussionen der vergangenen Wochen ernst. Wir sind offen, darüber zu sprechen, einen Kern bewährter Strukturen des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz zu verankern. Jetzt ist Justizminister Buschmann gefragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wir sollten dann aber auch darüber sprechen, das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag im Grundgesetz besser zu schützen. Die Ampel hat gerade gezeigt, dass sie eine Wahlrechtsreform mit einfacher Mehrheit durchbringen kann, die vor allem kleineren und regionalen Parteien sehr schaden kann.
Die CDU wirbt für eine Leitkultur. Sie selbst nennen es auch „kulturelles Minimum“. Was soll das sein?
Es geht um die Frage: Was hält uns jenseits der Verfassungstreue zu unserem Grundgesetz in diesem Land emotional zusammen? Dazu gehören auch Sitten und Gebräuche. Ein Beispiel: Das Händeschütteln gehört für mich zur Leitkultur. Wer in Deutschland leben will, hat sich daran zu gewöhnen, dass man als Mann einer Frau oder als Schüler einer Lehrerin die Hand gibt und das nicht verweigert, dass man aus den Händen einer Frau ein Zeugnis oder eine Urkunde respektvoll entgegennimmt. Oder: dass es bei uns eine strikte Trennung gibt zwischen Staat und Kirche und dass die Religionsfreiheit in alle Himmelsrichtungen gilt.
Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlieferungen für die Ukraine gesprochen hat.
Geben Sie Angela Merkel zu Ihrem 70. Geburtstag am 17. Juli die Hand? Gibt es ein Fest?
Ja, selbstverständlich gratuliere ich ihr. Und sie kann entscheiden, ob und in welcher Form die CDU mit ihr den Geburtstag feiert.
Reden Sie überhaupt miteinander?
Meine Einladung steht: Frau Merkel ist jederzeit im Konrad-Adenauer-Haus willkommen. Aber ich weiß auch, dass sie sich zurzeit ausschließlich auf die Fertigstellung ihrer Erinnerungen konzentriert.