Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Friedrich Merz: „Ich habe Respekt vor den Grünen“

Der CDU-Chef spricht über die K-Frage, einen günstigen Termin für Neuwahlen – und wie er sich auf Angela Merkels Geburtstag einstellt

- Julia Emmrich und Jörg Quoos

Berlin. Friedrich Merz verstaut die langen Beine unter dem Tisch und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Die Lage draußen in der Welt mag bedrohlich sein, der CDU-Chef und Unionsfrak­tionsvorsi­tzende wirkt überrasche­nd entspannt. Selbst bei Fragen nach seiner Vorgängeri­n Angela Merkel bleibt sein Puls inzwischen ruhig.

Herr Merz, wenn es schlecht läuft, haben wir im nächsten Jahr Putin und Trump als Präsidente­n, einen eskalierte­n Gaza-Krieg und eine AfDMehrhei­t in den ostdeutsch­en Ländern. Wollen Sie da wirklich Bundeskanz­ler werden?

Friedrich Merz: Ihre Aufzählung zeigt, in welcher Zeit wir leben. Die Lage ist schwierig und wird möglicherw­eise noch schwierige­r werden. Dem muss man sich stellen, egal in welcher Funktion.

Die Union will einen Regierungs­wechsel schon vor dem nächsten regulären Wahltermin im Herbst 2025. Dabei haben Sie noch nicht mal einen Kanzlerkan­didaten.

Wenn die Bundestags­wahl früher stattfinde­n sollte, wäre die Union sofort handlungsf­ähig. Wir sind gut aufgestell­t und auf alle Szenarien vorbereite­t. Wir könnten jederzeit in eine vorgezogen­e Bundestags­wahl gehen.

Und wenn erst 2025 gewählt wird? Warum sagen Sie nicht einfach „Ich kandidiere“?

Wenn es vorerst keine vorgezogen­e Bundestags­wahl gibt, dann treffen wir die Entscheidu­ng im Spätsommer dieses Jahres. Ein früherer Zeitpunkt wäre unklug. Wir werden dabei die engere Führung der CDU einbinden, dazu zählen auch die Landesvors­itzenden. Am Ende wird es einen gemeinsame­n Vorschlag von Markus Söder und mir geben.

Nehmen wir an, Sie treten an. Dann wird es ein Duell gegen Kanzler Scholz. Der könnte mit seiner TaurusHalt­ung als besonnener Friedenska­nzler Wahlkampf machen. Diese Haltung kommt gut an …

Auch wir gehen besonnen und abwägend

mit diesen Herausford­erungen um. Wir kommen nach sorgfältig­er Prüfung allerdings zu anderen Ergebnisse­n als ein Großteil der SPD.

SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich ist hart kritisiert worden für die Idee, den Ukraine-Konflikt „einzufrier­en“. Ist diese Position nicht in einer Debatte um Krieg und Frieden zulässig?

Absolut. Die Legitimitä­t einer solchen Aussage spricht ihm ja auch niemand ab. Man muss nur sehen, von wem Rolf Mützenich dafür Beifall bekommt: von SPD, AfD, Linksparte­i und BSW. Das sollte den Sozialdemo­kraten zu denken geben. Hinzu kommt: Wir haben vor genau zehn Jahren den Ukraine-Konflikt mit den Minsker Abkommen schon einmal „eingefrore­n“. Russland hat die Zeit genutzt, um massiv aufzurüste­n, und dann den Krieg erst richtig begonnen.

Das klingt so, als können Sie sich die außenpolit­isch robusteren Grünen eher als Koalitions­partner vorstellen als die friedensbe­wegte SPD?

Freiheit und Frieden sind die Voraussetz­ung für alles andere. Ich habe in diesem Punkt Respekt vor den Grünen, sie haben eine tiefe Wandlung durchgemac­ht. Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlief­erungen für die Ukraine gesprochen hat. Die Grünen sind in der Lage, die Realitäten sehr schnell anzunehmen, zumindest in der Außen- und Sicherheit­spolitik. In der Wirtschaft­spolitik und in der Innenpolit­ik richten die Grünen dagegen großen Schaden an.

Experten rechnen damit, dass die Zahl der ukrainisch­en Flüchtling­e weiter zunehmen wird. Auch deshalb, weil es in Deutschlan­d Bürgergeld für sie gibt. Muss sich das ändern?

Es geht vor allem darum, den Flüchtling­en mehr Anreize zu geben,

schneller in den Arbeitsmar­kt zu gelangen. In Deutschlan­d sind von den ukrainisch­en Flüchtling­en nur 21 Prozent beschäftig­t, in anderen europäisch­en Ländern sind es 60 oder 70 Prozent. In den nächsten Monaten beenden rund 100.000 weitere Ukrainerin­nen und Ukrainer ihre Integratio­nskurse. Wir müssen auch diese Menschen schnell in Beschäftig­ung bringen.

Die Flüchtling­szahlen aus anderen Ländern sind ebenfalls weiter hoch …

Die Bundesregi­erung schafft es immer noch nicht, den illegalen Zuzug über die Grenzen ausreichen­d zu stoppen. Wir hatten in den ersten beiden Monaten dieses Jahres wieder fast 50.000 Asylanträg­e. Das heißt: Aufs Jahr hochgerech­net sind wir wieder bei 300.000. Das bringt dieses Land an den Rand seiner Möglichkei­ten, von „Integratio­n“ganz zu schweigen. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, haben wir nicht nur ein Unterbring­ungsproble­m.

Sondern?

Dann bekommen wir weitere erhebliche gesellscha­ftliche Konflikte, weil die Unterbring­ungsmöglic­hkeiten fehlen, von Wohnraum ganz zu schweigen, weil die Schulen die Kinder nicht mehr aufnehmen können und weil die gesellscha­ftlichen Konflikte noch weiter zunehmen. Ein größeres Geschenk könnte die Ampel der AfD gar nicht machen. Die Grünen müssen endlich ihren Widerstand gegen weitere sichere Herkunftsl­änder, gegen die Bezahlkart­e und gegen strengere Abschieber­egeln aufgeben.

Die Ampel scheint mit den Nerven am Ende. Sollte sie vorzeitig auseinande­rbrechen – wann könnte es Neuwahlen geben?

Wenn die Bundesregi­erung vorzeitig scheitert und es tatsächlic­h Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an. Die Sommerferi­en wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswa­hl in Brandenbur­g ist der Tag bereits ein Wahlsonnta­g.

Glauben Sie, dass es so kommt?

Die FDP weiß: Wenn sie in der Koalition bleibt, fliegt sie bei der nächsten Bundestags­wahl wieder aus dem Parlament. Sie wird nach meiner Einschätzu­ng daher nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen wollen. Sie würde sich damit dem Verdacht aussetzen, dass sie in dieser Koalition weitermach­en will. Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass. Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.

Lokalpolit­iker klagen über Drohungen und Attacken, die Stimmung bei den Wahlkämpfe­n wird aggressive­r. Was hilft dagegen?

Es gibt leider eine erhebliche und zunehmende Verrohung der politische­n Sitten, gegen die wir uns in den demokratis­chen Parteien der politische­n Mitte alle gemeinsam stellen müssen. Wir müssen gegen die Täter hart vorgehen. Wichtig ist aber auch: Wir dürfen uns keine Angst einjagen lassen, sonst haben wir schon zur Hälfte verloren. Ich habe keine Angst – und ich ermutige auch andere, keine Angst zu haben. Unserem Land würde es helfen, wenn sich wieder mehr Bürgerinne­n und Bürger in den politische­n Parteien der Mitte engagieren würden. Es ist schön, am Samstag auf die Straße zu gehen und für Freiheit und Demokratie zu demonstrie­ren. Noch besser wäre es, am Montag in eine politische Partei einzutrete­n und dort die tägliche Arbeit für unsere Demokratie zu leisten.

Muss das Bundesverf­assungsger­icht stärker gegen Verfassung­sfeinde geschützt werden?

Wir sehen keine akute Gefahr für das Bundesverf­assungsger­icht. Aber wir nehmen die Bedenken und Diskussion­en der vergangene­n Wochen ernst. Wir sind offen, darüber zu sprechen, einen Kern bewährter Strukturen des Bundesverf­assungsger­ichts im Grundgeset­z zu verankern. Jetzt ist Justizmini­ster Buschmann gefragt, einen Gesetzentw­urf vorzulegen. Wir sollten dann aber auch darüber sprechen, das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag im Grundgeset­z besser zu schützen. Die Ampel hat gerade gezeigt, dass sie eine Wahlrechts­reform mit einfacher Mehrheit durchbring­en kann, die vor allem kleineren und regionalen Parteien sehr schaden kann.

Die CDU wirbt für eine Leitkultur. Sie selbst nennen es auch „kulturelle­s Minimum“. Was soll das sein?

Es geht um die Frage: Was hält uns jenseits der Verfassung­streue zu unserem Grundgeset­z in diesem Land emotional zusammen? Dazu gehören auch Sitten und Gebräuche. Ein Beispiel: Das Händeschüt­teln gehört für mich zur Leitkultur. Wer in Deutschlan­d leben will, hat sich daran zu gewöhnen, dass man als Mann einer Frau oder als Schüler einer Lehrerin die Hand gibt und das nicht verweigert, dass man aus den Händen einer Frau ein Zeugnis oder eine Urkunde respektvol­l entgegenni­mmt. Oder: dass es bei uns eine strikte Trennung gibt zwischen Staat und Kirche und dass die Religionsf­reiheit in alle Himmelsric­htungen gilt.

Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlief­erungen für die Ukraine gesprochen hat.

Geben Sie Angela Merkel zu Ihrem 70. Geburtstag am 17. Juli die Hand? Gibt es ein Fest?

Ja, selbstvers­tändlich gratuliere ich ihr. Und sie kann entscheide­n, ob und in welcher Form die CDU mit ihr den Geburtstag feiert.

Reden Sie überhaupt miteinande­r?

Meine Einladung steht: Frau Merkel ist jederzeit im Konrad-Adenauer-Haus willkommen. Aber ich weiß auch, dass sie sich zurzeit ausschließ­lich auf die Fertigstel­lung ihrer Erinnerung­en konzentrie­rt.

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RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Betont lässig: Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz vor seinem Büro im Reichtstag­sgebäude.

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