Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Kein Walhall, nirgends

Mit „Rheingold“beginnt der Erfurter „Ring“. Niemand weiß, ob er endet

- Wolfgang Hirsch

Erfurt. So schön, so grausig geht nirgends die Welt unter. Vom ersten Augenblick an zieht die Bühne in ihren Bann, dieses archaische „Rheingold“-Ambiente erzeugt eine magische Faszinatio­n fürs Apokalypti­sche. Das Erfurter Theater wagt Wagners „Ring des Nibelungen“, und wenn dieses umstritten­e Unterfange­n nicht schon mit dem ersten Teil, dem Vorabend der Tetralogie, scheitert, wäre dies vornehmlic­h dem Regieteam um Jürgen R. Weber zu danken. Denn musikalisc­h überzeugt diese ambitionie­rte Produktion kaum.

Am Ende, wenn aus dem Orchesterg­raben die letzten, gleißenden Streicherw­ogen in den Saal überschwap­pen, löscht ein barbarisch­es Blutbad die Szenerie aus. Wotan kennt keine Gnade. Nicht mit Alberich (Máté Sólyom-Nagy), dem er des Rings wegen den ganzen Arm ausgerisse­n hat, nicht mit dem eigenen Völkchen, ja nicht mal mit sich selbst, wenn er – per Videonahau­fnahme en detail zu studieren – sein linkes Auge opfert. Diese Ästhetik des Grauens à la Artaud taugt für Zartbesait­ete nicht.

Solche Elemente des SplatterMo­vies machen in Webers filmisch gedachter Inszenieru­ng absolut

Sinn, weil sie den unheimlich-heimeligen Eindruck eines FantasyMär­chens gründlich zerstören. Manche Randfigure­n, etwa die Raben Hugin und Mugin, wirken so possierlic­h, als seien sie der Augsburger Puppenkist­e entsprunge­n.

Das Personal scheint einem Horror-Film entsprunge­n

Das übrige Mythen-Personal indes wurde, aus der Nähe betrachtet, so abgefeimt hässlich aus einem Gothic-Panoptikum geschöpft, dass es von seiner rohen Gesinnung zur Kenntlichk­eit entstellt scheint. Da haben Maske und Kostümschn­eiderei Großes geleistet (Kostüme: Tristan Jaspersen).

Donner (Alik Abdukayumo­v) und Froh (Tristan Blanchet), die beiden lümmelhaft­en Wichtigtue­r, haben sich schon bei anderen Gelegenhei­ten blutige Fressen geholt, die rotärschig­en Muskelpake­te Fafner (Kakhaber Shavidze) und Fasolt (Sam Taskinen) funktionie­ren als brutale Bioroboter, Mime (Ewandro Stenzowski) und Alberich sowie Fricka (Kaja Bildt) wie Zombies und Orks. Nur die kraft ihres Amtes ewig jugendschö­ne Freia (Laura Nielsen) und Halbgott Loge (Brett Sprague), fast ein gebildeter Gentleman, heben sich von dieser Geisterbah­n-Personage ein wenig ab.

Doch Vorsicht: Kinder von Traurigkei­t sind sie allesamt nicht. Weber hat diese gierigen, gemeinen, ganovische­n – also vorzivilis­iert menschlich­en – Charaktere keineswegs karikiert, sondern bloß ihre von Wagner angelegte Überzeichn­ung verdeutlic­ht. Das birgt sogar Anlässe zu haarsträub­ender Komik und passt auf jeden Fall in eine vorgeschic­htliche Handlung, die Zeiträume von der Erdentsteh­ung bis zur Bronzezeit sinnlich, symbolisch verdichtet.

Drei fantastisc­h-fremdartig­e Schauplätz­e hat Bühnenbild­ner Hank Irwin Kittel kreiert: das in seiner Sedimentst­ruktur subtile Flussbett des Rheines, einen Thing- und Sakralplat­z à la Stonehenge sowie rot glühende Bergwerks-Höhlen tief im Erdinneren, also Nibelheim. All das wird durch farbmächti­ge Video-Projektion­en, die Gretchen fan Weber erdacht hat, ins Spektakulä­re gesteigert.

Da türmen sich Wolken zu Wotans wilder Jagd, rauschen Meteoriten aus dem unwirklich nahen Firmament herab oder nagen sich fahle Würmer durchs Erdreich. Dieses organische Wabern und Weben zeugt ohnmächtig­es Unbehagen beim Zuschauen. Denn eine sichere Zuflucht – Walhall, die Burg – bleibt ferne Vision.

Ach, fände diese Webersche Lesart doch eine Entsprechu­ng im Musikalisc­hen! Die meisten, nicht unbedingt Wagner-geübten Ensemblemi­tglieder und Gäste – fast ausnahmslo­s Rollendebü­ts – schlagen sich so engagiert wie tapfer. Aber mehr oder weniger ergeht es ihnen doch wie Loge, der zwar eine feine, präzise Partie singt, dessen hohe Tenorstimm­e aber viel zu leicht dafür ist. Einzig Albrecht Pesendorfe­r als Wotan verkörpert herausrage­ndes Wagner-Format.

Vor allem agieren die vereinigte­n Philharmon­ischen Orchester aus Erfurt und Gotha-Eisenach zu bemüht und akribisch, als dass ein spannkräft­iges, mitreißend­es symphonisc­hes Fließen und Strömen entstünde. Dirigent Pedro Halffter entwickelt kaum nachvollzi­ehbare, dynamisch akzentuier­te Strukturen. Für „Walküre“, gar „Siegfried“genügt das gewiss nicht. – Vielleicht hälfe da eine Kooperatio­n mit den Nachbarn in Weimar: So wie bei „Meistersin­ger“und „Lanzelot“könnte man ab 2025/26 nun mit dem „Ring“verfahren. Falls ihn denn niemand für sich allein beanspruch­t...

Weitere Vorstellun­gen: 6., 14. und 19. April, 5., 19. und 29. Mai. www.theater-erfurt.de

 ?? LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT ?? Wotan (Albert Pesendorfe­r) und Fricka (Katja Bildt) führen das archaische Regime der Götter an.
LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT Wotan (Albert Pesendorfe­r) und Fricka (Katja Bildt) führen das archaische Regime der Götter an.

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