Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
LachenderVogel, weinendeNolte
Die beste Nachrichtenbörse ist die Kantine. Da hocken sie alle – manche auch während der laufenden Debatte – bei Bockwurst (2,10 DM) und Kaffee (der Pott 1,70 DM). Hier gelten weder Kleiderordnung noch Fraktionszwang. Für Landolf Scherzer, der sich 1999 als letzter Journalist für die Landtagswahlberichterstattung akkreditieren ließ, sprudelnde Quelle für seine Reportage „Der Letzte“. Das Buch ist 24 Jahre alt und liest sich heute, im „Superwahljahr“, ganz anders. Ich stoße auf Akteure, die man schon fast vergessen hat. Richard Dewes (SPD-Westimport) zum Beispiel oder Willibald Böck (Eichsfelder CDU-Urgestein). Oder Almuth Beck (PDS), die wegen Stasi-Kontakten ihr Mandat verliert und es wieder einklagt. Oder Claudia Nolte (Kohls Ziehkind und Ex-Bundesfamilienministerin), die inzwischen Crawford heißt. Die damals 33-Jährige ist nur Gast und weint, als sie erstmals über ihre Überforderung spricht, während einer, stets mit großem Gefolge, auf Schritt und Tritt wie Egon Krenz lachend die Zähne bleckt: Landesvater Dr. Bernhard Vogel.
Das Parteienspektrum ist überschaubar und der größte Aufreger die „schwarze“Kampagne gegen doppelte Staatsbürgerschaft. Eine Brandmauer gegen links muss der lachende Vogel nicht hochziehen, er fährt einen erdrutschmäßigen Sieg ein. Und Rechtsextreme gibt‘s (noch) nicht im Parlament. Dafür einen Dichter. Der inzwischen verstorbene Mitbegründer der Eichsfelder SPD Hans-Jürgen Döring über den Thüringer Landtag: „Selbst in diesem fahlen Flur / von Ellenbogen zu Ellenbogen / lauter Luft.“