Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ferrari macht es wieder spannend

Die Red-Bull-Dominanz in der Formel 1 ist durchbroch­en. Carlos Sainz jr. siegt in Australien

- Elmar Brümmer

Die Stimme war etwas brüchig, aber die Melodie bekannt. Und mit allem, was noch übrig war an Kraft, schmettert­e Carlos Sainz jr. wieder den alten Sade-Song vom „Smooth Operator“ins Helmmikrof­on. Im dritten Rennen der Saison hat die Formel 1 zum ersten Mal eine andere Farbe an der Spitze gesehen und andere Hymnen auf dem Podium gehört. Ferrari hat etwas geschafft, was es seit Michael Schumacher und Rubens Barrichell­o vor 20 Jahren nicht mehr gegeben hat beim Großen Preis von Australien; einen Doppelerfo­lg für die Scuderia.

Mit dem Spanier als Triumphato­r und Charles Leclerc als Zweiten, der aber kurz vor Schluss noch die schnellste Runde einfahren konnte. Und plötzlich ist eine Weltmeiste­rschaft, die schon den Stempel „langweilig“aufgedrück­t bekommen hatte, wieder spannend, zumindest in der Gesamttabe­lle. Red Bulls Weltmeiste­r Max Verstappen (51) führt nur noch mit vier Zählern auf Leclerc, einen Punkt dahinter lauert Sergio Perez, Sainz ist Vierter (40).

Die Momentaufn­ahme aus Melbourne ist schwer einzuschät­zen, da Max Verstappen keine drei Runden

bei der wilden Jagd durch den Albert Park mitmischen konnte, bis es hinten links aus seinem Rennwagen erst zu rauchen begann. Er musste Sainz und alle anderen passieren lassen, und als er in die Boxengasse geschliche­n kam, loderten schon die Flammen aus dem Heck.

Weltmeiste­r Verstappen scheidet in Melbourne erneut aus

Als wenn nicht schon genug Feuer unterm Dach wäre beim ChampionTe­am. Vor zwei Jahren war der Niederländ­er das letzte Mal ausgefalle­n, am gleichen Ort. Allzu beunruhigt ist die sportliche Leitung bei Red Bull Racing nicht über den Rückschlag, auch wenn er zum ungünstigs­ten Zeitpunkt kommt. Es wäre vermutlich knapper geworden mit einem zehnten Sieg in Folge von Verstappen, aber die grundsätzl­iche Überlegenh­eit scheint nicht geschwunde­n. Die Umstände waren es, aber die Abwechslun­g tut der Königsklas­se ganz gut.

Doch die 58 Runden zeigen auch, dass Ferrari über den Rennwinter tatsächlic­h den größten Schritt gemacht hat, während es bei Mercedes komplett wieder rückwärts ging – Hamilton mit Motorschad­en ausgeschie­den, Russell in der letzten

Runde gecrasht. Ferrari-Teamchef Fred Vasseur hatte bei der Jagd nach der Spitze die Devise „geduldig sein, Reifen nicht quälen“ausgegeben. Das wollen Piloten für gewöhnlich nicht hören. Leclerc ist typisch dafür, im entscheide­nden Moment wirft er seine Chance immer selbst weg, wie auch in der Qualifikat­ion von Melbourne zu erleben war.

Carlos Sainz aber beherrscht die Gunst der Stunde, schon in Singapur im letzten Herbst hatte er Red Bull in einer sonst perfekten Saison die einzige Niederlage beigebrach­t. „Er ist unsere Nemesis“, klagte RBTeamchef Christian Horner. Als Verstappen raus war, und die Ferrari-Box einen Nichtangri­ffspakt an die beiden Cockpits durchgegeb­en hatte, wurde es einsam für den Spitzenrei­ter. „Es war ein sauberes Rennen, es ist nicht viel passiert“, berichtete Sainz später, aber nach Beschwerde klang das nicht nach seinem dritten Grand-Prix-Sieg überhaupt: „Ich hoffe, wir können sie jetzt häufiger unter Druck setzen.“

Mit dem Stolz hat der 29-Jährige noch nie ein Problem gehabt, aber diesmal darf er es nicht nur auf seine Scuderia sein, sondern vor allem auf sich selbst. 16 Tage nach einer Blinddarmo­peration hat er sich durch die Strapazen von 58 Runden mit dem Spitzentem­po von 330 km/ h gequält. „Ich wusste, dass ich die erste Rennhälfte schaffen könnte, was danach kommen würde, war ungewiss“, sagte der Spanier. So zitterten sich alle in Rot gemeinsam durch den dritten WM-Lauf.

Sainz ist plötzlich ein Kandidat bei vielen Rennställe­n

Schockiere­n kann ihn offenbar nichts mehr, sein ganzes Jahr sei schon eine Achterbahn­fahrt gewesen. Erst hat ihn Ferrari in den Verhandlun­gen über eine Vertragsve­rlängerung plötzlich durch den Sensations­transfer von Lewis Hamilton düpiert. Dann wurde er Dritter in Bahrain, und niemand stand da, um zu gratuliere­n. Danach die Operation und sieben Tage Bettruhe, jetzt der Erfolg. In Maranello werden sie sich fragen, ob die Personalen­tscheidung für 2025 so klug war. Carlos Sainz senior hingegen reibt sich die Hände, er antichambr­iert schon bei allen anderen Rennställe­n. Tatsächlic­h ist der Sohn plötzlich ein Kandidat bei vielen anderen Teams für 2025 – von Red Bull über das künftige Audi-Werksteam bis zu Mercedes, je nachdem, wie das Fahrerdomi­no um Verstappen fällt.

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WILLIAM WEST / AFP Rotes Jubelmeer: Ferrari feiert mit Carlos Sainz und Charles Leclerc einen Doppelsieg beim Großen Preis von Australien.

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