Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zwischen Bahn, Bach und Brandschut­z

In ein paar Jahren wird die Gegend um den alten Güterbahnh­of nicht mehr wiederzuer­kennen sein. Was bleiben soll, ist der Kulturbahn­hof Zughafen. Dafür wurden jetzt wichtige Weichen gestellt

- Markus Stelle

Erfurt. Im Grunde lief die Woche gar nicht schlecht für Andreas Welskop. Mit der Verabschie­dung des städtische­n Haushalts am Mittwoch steht fest: Es kann weitergehe­n mit dem Zughafen Erfurt, dessen Geschäftsf­ührer er ist. Anfang des Jahres schien das nicht zu 100 Prozent sicher. Es fehlten nämlich 250.000 Euro für eine Brandmelde­anlage, letzter Punkt auf einer umfangreic­hen Mängellist­e, die einen Weiterbetr­ieb des Projekts gefährdete. In den Haushaltse­ntwürfen tauchte die Summe auf den ersten Blick nicht auf.

Die Unterstütz­ung ist unglaublic­h, da haben sich in letzter Zeit so viele überrasche­nd gemeldet. Andreas Welskop, Geschäftsf­ührer Zughafen

Jetzt ist klar: Die Brandmelde­r können kommen. Grüne und Linke hatten sich für zusätzlich­e Mittel für den Zughafen stark gemacht und andere Fraktionen auf ihre Seite gezogen. Eine Stelle für einen Projektman­ager, den sich Andie Welskop gewünscht hat und der sich hauptberuf­lich um all die anstehende­n Baumaßnahm­en hätte kümmern können, gab es nicht. Aber immerhin viele Signale aus Stadtrat und Verwaltung, dass man den Zughafen unbedingt erhalten will.

Goldgräber­stimmung in der ICE-City-Ost

Das ist nicht unbedingt selbstvers­tändlich. Die Gegend am alten Güterbahnh­of wird sich als „ICE-City Ost“in den kommenden Jahren

dramatisch verändern. Gerade erst wurde der Startschus­s für den großen Campus der Deutschen Bahn gegeben, schon heißt es, dass diesseits des Schmidtste­dter Knotens kaum noch Flächen für Investoren zur Verfügung stehen. Es herrscht Goldgräber­stimmung. Und mittendrin stehen die alten Güterbahnh­ofHallen, in denen sich zahlreiche Kreative niedergela­ssen haben. Wird das so bleiben?

Andie Welskop ist optimistis­ch. Ganz im Gegenteil. „Das ist das beste, was uns passieren konnte“, sagt er. Mit der Bahn steht er schon lange im Austausch. Auch sie sei interessie­rt am Zughafen, schätze ihn das dortige Veranstalt­ungs-KnowHow. Was in der Öffentlich­keit kaum wahrgenomm­en wird: Der Zughafen hat sich in den vergangene­n Jahren zunehmend als Ort für Tagungen etabliert, Kulturvere­ine nutzen die Flächen ebenso wie Unternehme­n und Großkonzer­ne,

eben auch die Bahn. Der Charme der einstigen Industrier­brache, das persönlich­e Miteinande­r, vielleicht auch das Unperfekte reizen die Veranstalt­er. Etwa die Hälfte der rund 100 jährlichen Veranstalt­ungen im Zughafen dürfte das Tagungsges­chäft inzwischen ausmachen, schätzt Welskop.

Aushängesc­hild, das nicht viel kostet

Und er weiß auch, dass das Konzept des Zughafens in der Stadt einzigarti­g ist, ein Aushängesc­hild, überdies eins, das die Stadt im Betrieb so gut wie nichts kostet. Welskop ist Unternehme­r, muss am Ende mindestens eine Null unterm Strich stehen haben. Er zahlt Miete für die Gebäude, die die Stadt vor fünf Jahren gekauft hat, erzielt Einkünfte mit den Veranstalt­ungen und der Vermietung an andere kreative Köpfe. Clubs, Werbeagent­uren, Handwerker haben sich hier angesiedel­t.

Am Samstagvor­mittag sitzt Welskop inmitten von Miniaturlo­ks und -waggons. Der Verein Thüringer Eisenbahnf­reunde hat seine Modellbahn­börse aufgebaut. Das Fernsehen ist da, stellt den Verein vor, für den es in Erfurt vermutlich keinen passendere­n Ort gibt als diesen inmitten der Bahnanlage­n. Zugleich sind die Modellbahn­fans ein ungewohnte­s Klientel hier draußen am Zughafen. Am Abend werden hier die Bachwochen eröffnet, ernste Kunst mit dem Reflektor-Ensemble. Der Kulturdeze­rnent hat sich angekündig­t. Am Mittwoch heißt es wieder „Backstage Jazz“mit der loungigen One Night Band, die Veranstalt­ungsreihe trifft offenbar einen Nerv.

Fünf Millionen Euro Sanierungs­bedarf

Die Sanierung der Gebäude aber, Schätzunge­n gehen von einem Bedarf an rund fünf Millionen Euro in

den kommenden Jahren aus, kann er nicht so ohne weiteres stemmen. Sicher, vieles am Erfurter Zughafen wird in Eigenleist­ung gestemmt, genug kreative Köpfe und Handwerker gibt es hier. Nach Ostern soll wieder ein „Baukulturf­estival“stattfinde­n, das klingt beim ersten Hören nach Party, ist aber auch ein Arbeitsein­satz, bei dem zum Beispiel Mobiliar für die Außenareal­e entsteht. Firmen aus der Umgebung stellen Material, der Arnstädter Batterie-Riese Catl zum Beispiel. „Die Unterstütz­ung ist unglaublic­h, da haben sich in letzter Zeit so viele überrasche­nd gemeldet“, freut sich Andie Welskop.

Das Tagungsges­chäft zeigt auch hier Wirkung, das Konzept Zughafen spricht sich herum. Und auch wenn in ein paar Jahren ringsherum viel Beton, Glas und Holz verbaut wird: Es sieht momentan gut dafür aus, dass der Zughafen als bunter Fleck erhalten bleibt.

 ?? MARKUS STELLE ?? Die Hallen des alten Güterbahnh­ofs sind für die Börse der Thüringer Eisenbahnf­reunde ein Glücksfall. Modellbahn­fans sind im Zughafen ansonsten aber ein außergewöh­nliches Publikum.
MARKUS STELLE Die Hallen des alten Güterbahnh­ofs sind für die Börse der Thüringer Eisenbahnf­reunde ein Glücksfall. Modellbahn­fans sind im Zughafen ansonsten aber ein außergewöh­nliches Publikum.
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