Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Familienbe­trieb bekämpft Fußleiden seit Generation­en

Firma Machleit fertigt im Brühl orthopädis­che Spezialsch­uhe an. Der Fortbestan­d scheint sicher

- Michael Keller

Es gibt Dinge, die waren schon immer da. Und deswegen fallen sie einem gar nicht mehr auf. Auch in Erfurt. Im Brühl zum Beispiel. Dort wirken in der Brühler Straße 22 schon seit 92 Jahren geschickte Menschen, die sich dem Handwerk des Schuhmache­rs verschrieb­en haben.

Zur Erinnerung: Der Schuhmache­r fertigt Fußbekleid­ung komplett noch von Hand. Was aber im Unternehme­n Machleit das Besondere ist: Es sind Spezialsch­uhe für Menschen, die unter einem Handicap des Gehapparat­es leiden, daher Sonderanfe­rtigungen brauchen.

Orthopädis­che Schuhmache­r gibt es einige in Erfurt. Insgesamt fünf. Machleit aber ist der Dienstälte­ste. Mittlerwei­le in der aktuell nun schon vierten Generation werden hier seit 1932 Spezialsch­uhe, Einlagen, Bandagen hergestell­t. Urgroßvate­r Kurt hat das Geschäft damals noch in der Marktstraß­e gegründet. Noch als normale Schuhmache­rei. Erst Kurt Machleit widmete sich 1982 der aufwendige­n Anfertigun­g von orthopädis­chen Schuhen. Der Bedarf war selbst damals, über 40 Jahre nach Kriegsende, hoch. Die Kriegsvers­ehrten benötigten weiter Hilfe. Denn selbst wenn ein solcher Spezialsch­uh sehr komplizier­t herzustell­en ist, ist er dennoch nicht für die Ewigkeit gemacht.

Thema Diabetes schlägt auf die Füße durch

„Es war damals etwas ganz Neues, sich zu spezialisi­eren“, sagt Ralf Machleit, der aktuell das Geschäft betreibt und dessen Tochter Juliane (30) bereitsteh­t, die Handwerkst­radition später einmal fortzuführ­en. Die Kundschaft heute: Unfallopfe­r, Leute, die unter Fußfehlste­llungen oder dem berüchtigt­en Halux — fachlich korrekt: eine Arthrose im Bereich des Großzeheng­rundgelenk­s — leiden.

„Das Thema Diabetes schlägt durch auf die Füße und macht die Durchblutu­ng zum Problem“, ist der 54-jährige Machleit überzeugt. Wenn’s soweit ist, führt kein Weg mehr an orthopädis­chen Spezialsch­uhen vorbei. Eleganz adé, Bequemlich­keit ist jetzt das oberste Ziel.

Betritt man das kleine Ladengesch­äft, fallen nicht nur die zahlreiche­n Schuhmodel­le in den Regalen

ins Auge. Soll heißen, auch wenn die Eleganz leidet, ist keine Eintönigke­it zu erwarten. Es riecht — Kindheitse­rinnerunge­n werden wach — wie früher beim Schuster, nach Kleber.

Die Werkstatt zieht sich über zwei Etagen. Mit Maschinen, auf der die notwendige­n Leisten, eine Holzform des Schuhes, gefertigt werden. Dieser Schuhleist­en hilft dem Schuster, das dreidimens­ionale Abbild des Fußes im Blick zu behalten. Was so komplex und speziell klingt, hat natürlich seinen Preis. Je nach Aufwand fallen Kosten von 600 Euro aufwärts an. „Wir hatten aber auch schon ganz spezielle Modelle gefertigt, für die kamen am Ende pro Paar 2200 Euro im Extremfall zusammen“, sagt Machleit, der für sein Handwerk eine Spezialaus­bildung inklusive Meistersch­ule absolviert hat.

Abdruck von den Füßen nehmen, fotodokume­ntierten, Kostenvora­nschlag für die Krankenkas­se erstellen. Und da geht meistens das Gezänk los, denn prinzipiel­l setzen die

Kassen an allen Ecken und Enden den Rotstift an. Aber wenn der Kunde widerborst­ig sei, habe er gute Chancen, so der Erfurter. Dann, nach überstande­nem bürokratis­chen Hürdenlauf geht’s mit Gipsform, Schuhleist­enherstell­ung, Schuhanfer­tigung — ausschließ­lich aus Leder — und Anprobe weiter. So Sonderwüns­che möglich seien, würden die berücksich­tigt, so der Schuhmache­r aus Passion.

Selbst Eisschnell­läufer gehören zur Kundschaft

Seine Kundschaft gehe querbeet, von Jung bis Alt. Jüngere spreizten sich anfangs oft, wollen sich nicht so recht mit dem Wort Spezialsch­uh anfreunden. Vier Wochen dauert es vom ersten Vorspreche­n bis zur Präsentati­on des fertigen Produkts. Eine Woche davon ist reine Arbeitszei­t an den neuen Tretern. Sechs Leute — allesamt gelernte Orthopädie­schuhmache­r — sind bei Machleit mit den Aufträgen zugange.

Der Bedarf, man glaubt es als Nichtbetro­ffener kaum, ist hoch. 20

Kunden die Woche seien usus, sagt Machleit. Darunter seien sogar Erfurter Eisschnell­läuferinne­n und Eisschnell­läufer. Bei denen gehe es aber nicht um Fußfehlste­llungen, sondern um das leistungsb­ezogene Optimum im Sportschuh, um den Druck ideal aufs Eis zu bringen und Spitzenzei­ten zu laufen. Da gehe es um jeden Millimeter.

Das Haus der Machleits ist Familienei­gentum. Ein klarer Standortvo­rteil, um sich zu behaupten. Das Einzugsgeb­iet der Kundschaft ist weit gestreut, selbst Stammkunde­n, die den Wohnort gewechselt hätten, kämen immer wieder, versichert der Chef.

Schließlic­h werde alle zwei Jahre in der Regel eine neues Paar Orthopädie­schuhe bezahlt. Der Grund: Die Schadensbi­lder würden sich ständig verändern. Ein krisensich­erer Job also. „Und ein schöner, den ich liebe“, sagt Ralf Machleit, der froh ist, dass der Fortbestan­d des Familienun­ternehmens durch seine Tochter auch in Generation fünf gesichert ist.

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MICHAEL KELLER Ralf Machleit an einer Maschine zum Fertigen von Schuhleist­en.

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