Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Zwischen Tradition und Digitalisierung
Die in Weimar beheimatete evangelische Kirchenzeitung „Glaube + Heimat“wird 100. Gefeiert wird am Sonntag
Weimar. Die „Goldene Korinthe“haben sie mir nicht verliehen. Glück gehabt. Ein Tag in der Redaktion „Glaube + Heimat“, die an diesem Wochenende ihr Hundertjähriges feiert, hat mir gezeigt, dass das Miteinander in der Weimarer Redaktion und der ruhige Redaktionsschluss für die aktuelle Ausgabe zusammengehören.
Die „Goldene Korinthe“ist ein Spaß des Chefredakteurs und wird an die verliehen, die während der Überschriftenkonferenz allzu kleinlich herumnörgeln. Diesmal kandidierte der Magdeburger Kollege Oliver Gierens, weil er einen doppelten Bindestrich entdeckt hatte. „Manchmal verleihen wir diese Korinthe wirklich“, feixt Chefredakteur Willi Wild. Beinahe heiter und freundlich liest er den Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion und den aus Halle und Magdeburg Zugeschalteten alle Schlagzeilen, jede Bildunterschrift vor. Das machen sie immer so. Damit auch kleinste Fehler auffallen. Und tatsächlich: Einiges wird noch geändert.
Links die Computermaus und rechts der Telefonhörer
Nicht direkt am Tisch im Konferenzraum, aber am danebenstehenden Computer sitzt Ramona Schurig. Sie liest jede Zeile mit. Ohne sie würde manches weniger gut laufen. Jeden Tag schreibt sie sich für den nächsten Tag per Hand auf, was zu erledigen sein wird. Der Zettel ist immer bis zur letzten Zeile voll. Und damit Ramona Schurig bloß keine Zeit verliert, hat sie sich angewöhnt, mit der linken Hand die Computermaus zu bedienen. Obwohl sie keine Linkshänderin ist. „Wenn ich mit links arbeite, kann ich mit der rechten Hand das Telefon bedienen und auch etwas notieren“, sagt sie, leicht lächelnd.
Vier Chefredakteure hat sie schon erlebt. Sie ist ebenso wie Gerlint Buchwald – sie hat an diesem Tag frei – Redaktionsassistentin. Was für eine fade Stellenbeschreibung für diese energetische Frau.
Dr. Ulrich Placke, der emeritierte Pfarrer, kommt jede Woche in die Redaktion, die Letztkorrektur zu lesen. In einem anderen Raum hocken zwei Menschen vor vier Bildschirmen: Schriftsetzer Steffen Wolf (ja, diesen Beruf gab es in der Zeitungsbranche einst, als noch der Bleisatz ungesund und jederzeit zu erriechen war) und Mediengestalterin Johanna Ozou sorgen dafür, dass diese Wochenzeitung gut ge
staltet wird. „Bei der Gestaltung haben wir das letzte Wort“, sagen die beiden. Ihre Schreibtische sind heftig gefüllt. Denn sie müssen (und wollen) auch andere Produkte gestalten, die Gemeindebriefe zum Beispiel. Und das Gemeindebriefund Redaktionsportal.
Mit dem Redaktionssystem Print Publishing System schafft Glaube + Heimat die Digitalisierung, weiß Chefredakteur Willi Wild. Ohne Digitalisierung würde die Redaktion nicht überleben können. Aber sie wollen auch nicht die traditionellen Lesern vergraulen. Ihnen scheint der Spagat zu gelingen, Print weiter zu betreiben und dennoch den Weg ins Digitale durch den Erwartungsdschungel des Lesers zu suchen und zu finden. „Vor Corona hätte ich nicht gedacht, dass es mit dem Printbereich so schnell abwärts gehen könnte“, erinnert sich Willi Wild. „Solange es aus Kostengründen darstellbar ist, dass wir eine gedruckte Zeitung herausgeben, wird es sie aber geben“, versichert er. Die traditionelle Zeitung hat eine riesige Reichweite: sie erscheint in Thüringen, SachsenAnhalt und Teilen Sachsens sowie Brandenburgs. Und die Online-Version natürlich erst recht.
Dass Willi Wild bei „Glaube + Heimat“arbeitet, ist eine glückliche Fügung. Das Vorstellungsgespräch beginnt damit, dass
er eine Blattkritik äußern soll. O je. Ernsthaft? Den Herausgeber, den Evangelischen Presseverband in Mitteldeutschland, möchte er nicht verärgern. Er sagt dennoch seine Meinung. Und ist seit 2015 Chefredakteur. Siebenmal ist er mittlerweile in Weimar umgezogen, fühlt sich pudelwohl hier und beschreibt sich als „ossimiliert“.
Der Chefredakteur setzt auf die Zeitung und die Gemeindebriefe
Fürth ist seine Geburtsstadt. Beim MDR, wo er „Der Redakteur“war und Informationen nach Leserwünschen heranholte, lernt er den Osten kennen. Jetzt schreibt er für Christen in Mitteldeutschland. Und hat hinreichend Energie und Ideen, dass seine Mitarbeitenden mitziehen. Zugleich beschwört er die Gemeindebriefe. „Die Gemeindebriefe und die Zeitung sind Geschwister“, ist er überzeugt. Wie er das meint, lässt sich gut in dem von ihm und Reinhard Marwick herausgegebenen Buch „Evangelische Publizistik – wohin?“nachlesen, das jetzt erschienen ist.
Beatrix Heinrichs sitzt an der Seite „Aktuell“, das ist die Seite zwei. Jetzt werden noch die neuesten Nachrichten mitgenommen. Beispielsweise die Zahl der Woche, die diesmal erklärt, wie viele Projekte sich mit der Übersetzung der Bibel in Gebärdensprache beschäftigen.
Und die Bildmeldung muss auch noch geschrieben werden. Dennoch kommt kein sichtbarer Stress auf. „Wir sind nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Glaubensgemeinschaft“, erklärt sie. Und sagt, dass sie alle hier doch die meiste Zeit des Tages verbringen. Da soll es bitte gut sein. Sie wissen viel voneinander. Weil sie sich vertrauen. „Selbst Corona haben wir hinbekommen“, sagt sie und meint damit, einander verbunden gewesen zu sein, als sie jede und jeder für sich in ihren Wohnungen hockten.
André Poppowitsch teilt sich mit Beatrix Heinrichs das Büro. Er ist der „Onliner“(meine-kirchenzeitung.de) und hält die Verbindung zu den Kirchengemeinden, damit die ihre Gemeindebriefe selbst bauen und bestücken können. Zudem ist er für die Seite 4 verantwortlich, für „Glaube und Alltag“. Das bietet sich an. Er ist schließlich Prädikant, hält also im Ehrenamt Gottesdienste.
Mitten in den Redaktionsschluss hinein kommt eine Nachricht von einem Informanten. Willi Wild hält ein Schreiben in der Hand: „Wir haben hier noch eine Geschichte, bevor wir wieder an die Werkbänke gehen“, sagt er. Humor hat er. Doch das Thema ist ernst. Es geht um die Statistik der Forum-Studie. Bekanntlich heißt es, diese Zahlen seien nur die Spitze des Eisbergs, die Kirche habe gemauert. Nein, behauptet
der Informant. Die Redaktion muss sich zwingend mit dem Widerspruch beschäftigen. Am besten schon in der darauffolgenden Woche.
Sicher wird es zu diesem Thema wieder ein Pro und Contra geben. Das bietet sich an. Und fordert auf diese Weise die Leser zu eigener Meinung auf. Über all den Alltäglichkeiten an diesem Dienstag, der halt den Redaktionsschluss bedeutet, schwebt das Leserfest am 14. April in Weimar. 100 Jahre »Glaube + Heimat«, das muss gefeiert werden. Groß gefeiert werden. Mit all denen, die darauf setzen, dass evangelische Publizistik einen besonderen Wert in der Medienwelt hat – Gott sei Dank.
Die Redaktion ist wunderbar konservativ im besten Wortsinn. Sie bewahrt sich mit ihrer Hauptredaktion in Weimar, einer weiteren in Magdeburg und mit den freien Mitarbeitern Werte, um die sie zu beneiden sind. Miteinander.
Die „Goldene Korinthe“steht als Teil des Ganzen. Sie ist diesmal zum Redaktionsschluss nicht verliehen worden, auch wenn Oliver Gierens aus Magdeburg kurzzeitig Kandidat dafür war. Sie hat lediglich für ein Lächeln gesorgt. Aufgabe erfüllt.