Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Schattensc­hwester von Marlene Dietrich

Neues Stück im Puppenthea­ter Waidspeich­er für das Publikum ab 16 Jahren zeigt Geschichte im persönlich­en Kontrast

- Adrian Lächele

„Endprobenw­oche.“Ein Wort, vor dem nahezu alle am Theater gehörig Respekt haben. Außer das Publikum. Denn Endprobenw­oche bedeutet auch: Bald ist es soweit! Aber bis dahin geht es hektisch zu, vor und hinter der Bühne. Techniker hetzen hin und her, während die Schauspiel­er letzte Regieanwei­sungen umsetzen. Bis Freitagabe­nd muss auch im Theater Waidspeich­er alles sitzen. Dann feiert das neue Stück „fesche Lola, brave Liesel“Premiere.

„Es ist tatsächlic­h sehr viel Arbeit“, sagt Regisseuri­n Kristine Stahl in einer der kurzen Probenpaus­en und setzt sich auf ein Mäuerchen vor dem Theater in der Erfurter Mettengass­e. Sie lacht. „Noch eine Woche mehr wäre wirklich schön gewesen.“Aber man freue sich, dass es bald los geht.

Es ist ein außergewöh­nlicher Stoff, den Stahl und Dramaturgi­n Sonja Keßner erstmalig fürs Puppenthea­ter

aufbereite­t haben. „Fesche Lola, brave Liesel“erzählt die Geschichte zweier Schwestern, die unterschie­dlicher nicht sein könnten. Die eine: Glamour-Königin in Hollywood, die andere: Hausfrau in Bergen-Belsen. Die Rede ist von Marlene Dietrich und ihrer Schwester, Elisabeth Will.

Die Grundlage der Inszenieru­ng bildet ein Buch des Journalist­en Heinrich Thies, der Briefe von Marlene an Elisabeth fand und zum Leben der beiden recherchie­rte. Elisabeth Will, geborene Dietrich, wuchs gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester in Berlin-Friedenau auf.

Zwischen Hollywood und Bergen-Belsen

„Elisabeth war klug und hatte als Lehrerin ein großes literarisc­hes Verständni­s“, erzählt Stahl. Doch im Gegensatz zu ihrer Schwester, die 1930 in die USA geht, in Hollywood Erfolge feiert und sich gegen weibliche Konvention­en stellt, ordnet sich Elisabeth ihrem Mann

Georg Will unter. Mit ihm wohnt sie ab 1939 auf dem Kasernenge­lände von Bergen-Belsen, in dessen Nähe die SS ab 1943 ein Konzentrat­ionslager betrieb.

Die berühmtest­e Insassin: Anne Frank. Elisabeths Ehemann war am Massenmord der Nazis zwar nicht unmittelba­r beteiligt, doch das von ihm betriebene Truppenkin­o diente den Mördern als Ort des Amüsements.

„Die unterschie­dliche Entwicklun­g ist Hauptaugen­merk unserer Inszenieru­ng“, sagt Regisseuri­n Stahl.

Besonders Elisabeths Geschichte biete dabei viel künstleris­che Projektion­sfläche. „Gerade einmal drei Fotos existieren von Elisabeth“, ergänzt Sonja Keßner.

Kein Kasperleth­eater mit ernstem aktuellem Bezug

Bei dokumentar­ischen Stücken sei Fiktionali­sierung immer „heikel“, sagt die Dramaturgi­n, aber mit den abstrahier­ten Gesichtern der Puppen löse man sich auch etwas von den konkreten historisch­en Figuren und betone Überpersön­liches. „Uns interessie­rte auch die verharmlos­ende Haltung der Familie gegenüber der Menschheit­sverbreche­n der Nazis“, sagt Stahl. Aktuell befände man sich wieder in einer ähnlichen Situation. „Es sind teilweise die gleichen Argumente.“

Das Stück fällt noch aus einem anderen Grund auf: Auf der Website

wird das Stück als „Puppenthea­ter ab 16 Jahren“beschriebe­n. Wo sonst häufig Kinder ab vier beziehungs­weise sechs Jahren Platz nehmen, sollen in der neuen Produktion Teenager sitzen. Es unterstrei­cht den ernsten Hintergrun­d, den das Stück hat und zeigt, dass Puppenthea­ter mitnichten eine reine Angelegenh­eit für Kinder ist.

Die Produktion ist eine Kooperatio­n mit der Gedenkstät­te Buchenwald, die das gesamte Ensemble im Vorfeld besuchte. Im Anschluss an die Vorstellun­g am Dienstag (16. April) gibt es die Gelegenhei­t zum Austausch mit Darsteller­n, dem Inszenieru­ngsteam, der Theaterlei­tung und einem Vertreter der Gedenkstät­te.

Uns interessie­rte auch die verharmlos­ende Haltung der Familie gegenüber den Menschheit­sverbreche­n der Nazis. Kristine Stahl, Regisseuri­n in Erfurt, über die Familie des Weltstars Marlene Dietrich

Das Stück „Fesche Lola, brave Liesel“feiert am Freitag, 12. April, um 19.30 Uhr im Theater Waidspeich­er Premiere und richtet sich an ein Publikum im Alter ab 16 Jahren. Die Premiere und auch die Vorstellun­g am 16. April sind ausverkauf­t.

 ?? ADRIAN LÄCHELE ?? Regisseuri­n Kristine Stahl (links) und Schauspiel­er Martin Vogel proben mit Marlene Dietrich als Puppe.
ADRIAN LÄCHELE Regisseuri­n Kristine Stahl (links) und Schauspiel­er Martin Vogel proben mit Marlene Dietrich als Puppe.

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