Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die Schattenschwester von Marlene Dietrich
Neues Stück im Puppentheater Waidspeicher für das Publikum ab 16 Jahren zeigt Geschichte im persönlichen Kontrast
„Endprobenwoche.“Ein Wort, vor dem nahezu alle am Theater gehörig Respekt haben. Außer das Publikum. Denn Endprobenwoche bedeutet auch: Bald ist es soweit! Aber bis dahin geht es hektisch zu, vor und hinter der Bühne. Techniker hetzen hin und her, während die Schauspieler letzte Regieanweisungen umsetzen. Bis Freitagabend muss auch im Theater Waidspeicher alles sitzen. Dann feiert das neue Stück „fesche Lola, brave Liesel“Premiere.
„Es ist tatsächlich sehr viel Arbeit“, sagt Regisseurin Kristine Stahl in einer der kurzen Probenpausen und setzt sich auf ein Mäuerchen vor dem Theater in der Erfurter Mettengasse. Sie lacht. „Noch eine Woche mehr wäre wirklich schön gewesen.“Aber man freue sich, dass es bald los geht.
Es ist ein außergewöhnlicher Stoff, den Stahl und Dramaturgin Sonja Keßner erstmalig fürs Puppentheater
aufbereitet haben. „Fesche Lola, brave Liesel“erzählt die Geschichte zweier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine: Glamour-Königin in Hollywood, die andere: Hausfrau in Bergen-Belsen. Die Rede ist von Marlene Dietrich und ihrer Schwester, Elisabeth Will.
Die Grundlage der Inszenierung bildet ein Buch des Journalisten Heinrich Thies, der Briefe von Marlene an Elisabeth fand und zum Leben der beiden recherchierte. Elisabeth Will, geborene Dietrich, wuchs gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester in Berlin-Friedenau auf.
Zwischen Hollywood und Bergen-Belsen
„Elisabeth war klug und hatte als Lehrerin ein großes literarisches Verständnis“, erzählt Stahl. Doch im Gegensatz zu ihrer Schwester, die 1930 in die USA geht, in Hollywood Erfolge feiert und sich gegen weibliche Konventionen stellt, ordnet sich Elisabeth ihrem Mann
Georg Will unter. Mit ihm wohnt sie ab 1939 auf dem Kasernengelände von Bergen-Belsen, in dessen Nähe die SS ab 1943 ein Konzentrationslager betrieb.
Die berühmteste Insassin: Anne Frank. Elisabeths Ehemann war am Massenmord der Nazis zwar nicht unmittelbar beteiligt, doch das von ihm betriebene Truppenkino diente den Mördern als Ort des Amüsements.
„Die unterschiedliche Entwicklung ist Hauptaugenmerk unserer Inszenierung“, sagt Regisseurin Stahl.
Besonders Elisabeths Geschichte biete dabei viel künstlerische Projektionsfläche. „Gerade einmal drei Fotos existieren von Elisabeth“, ergänzt Sonja Keßner.
Kein Kasperletheater mit ernstem aktuellem Bezug
Bei dokumentarischen Stücken sei Fiktionalisierung immer „heikel“, sagt die Dramaturgin, aber mit den abstrahierten Gesichtern der Puppen löse man sich auch etwas von den konkreten historischen Figuren und betone Überpersönliches. „Uns interessierte auch die verharmlosende Haltung der Familie gegenüber der Menschheitsverbrechen der Nazis“, sagt Stahl. Aktuell befände man sich wieder in einer ähnlichen Situation. „Es sind teilweise die gleichen Argumente.“
Das Stück fällt noch aus einem anderen Grund auf: Auf der Website
wird das Stück als „Puppentheater ab 16 Jahren“beschrieben. Wo sonst häufig Kinder ab vier beziehungsweise sechs Jahren Platz nehmen, sollen in der neuen Produktion Teenager sitzen. Es unterstreicht den ernsten Hintergrund, den das Stück hat und zeigt, dass Puppentheater mitnichten eine reine Angelegenheit für Kinder ist.
Die Produktion ist eine Kooperation mit der Gedenkstätte Buchenwald, die das gesamte Ensemble im Vorfeld besuchte. Im Anschluss an die Vorstellung am Dienstag (16. April) gibt es die Gelegenheit zum Austausch mit Darstellern, dem Inszenierungsteam, der Theaterleitung und einem Vertreter der Gedenkstätte.
Uns interessierte auch die verharmlosende Haltung der Familie gegenüber den Menschheitsverbrechen der Nazis. Kristine Stahl, Regisseurin in Erfurt, über die Familie des Weltstars Marlene Dietrich
Das Stück „Fesche Lola, brave Liesel“feiert am Freitag, 12. April, um 19.30 Uhr im Theater Waidspeicher Premiere und richtet sich an ein Publikum im Alter ab 16 Jahren. Die Premiere und auch die Vorstellung am 16. April sind ausverkauft.