Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Experiment mit ungewissem Ausgang

Sechs Bewerber um Oberbürger­meisteramt stellen sich den kritischen Fragen von 140 Schülern

- Markus Stelle

Erfurt. Was finden Sie an ihren Mitbewerbe­rn toll?, will die 16-jährige Rania wissen. Die Frage ist charmant und zugleich wohl die schwierigs­te an die Runde. Das eigene Programm können die OB-Kandidaten im Schlaf herbeten, die Mitbewerbe­r finden darin in der Regel keinen Platz. Immerhin, am Ende wusste jeder etwas Nettes über seinen Tischnachb­arn zu sagen, und sei es das Verbindend­e der Frisur wie zwischen Andreas Horn (CDU) und Stefan Möller (AfD).

So harmlos ging es freilich nur selten zu beim Kandidaten-Forum am Montagvorm­ittag im Rathausfes­tsaal. 140 Schülerinn­en und Schüler waren gekommen, Neunt- und Zehntkläss­ler, viele von ihnen Erstwähler, fast jeder hatte Fragen mitgebrach­t, von denen nur eine kleine Auswahl tatsächlic­h behandelt werden konnte. Es war die Probe aufs Exempel: Wie sehr treffen die Bewerber mit ihren Programmen tatsächlic­h den Nerv der Jugendlich­en?

Von Sicherheit bis Digitalisi­erung

Das Themenfeld war weit gespannt, die Fragen trafen tatsächlic­h stets den Kern von Kommunalpo­litik: Was wollen die Politiker dafür tun, dass sich Jugendlich­e nachts ohne Angst durch die Stadt bewegen können? Werden sie eine bezahlbare Wohnung finden, wenn sie demnächst das Elternhaus verlassen? Wo sollen sie nachts feiern, ohne ständig in Konflikt mit Anwohnern zu kommen? Wie kommen sie auch ohne Auto aus der Stadt, etwa zum

Baden am Alperstedt­er See? Wann gibt es endlich schnelles Internet an allen Schulen?

Die optimistis­che Diagnose: Vieles von dem, was die Schülerinn­en und Schüler umtreibt, ist auch Thema der Stadtpolit­ik. Kein Kandidat ist da, der die steigenden Mieten in der Stadt nicht für ein Problem hält. Kaum einer, der nicht vom Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s redet.

Über das Ziel eines Gratis-Evag-Tickets für Kinder und Jugendlich­e herrscht beinahe Einigkeit.

Über öffentlich­e Sicherheit und vor allem ein verträglic­hes Nachtleben machen sich alle Gedanken, auch wenn Diagnose und Rezepte unterschie­dlich sind. Da geht es um Videoüberw­achung längst nicht mehr nur am Anger, um nächtliche Party-Begleiter, die die Stadt demnächst

in einem Pilotproje­kt losschicke­n will. Es geht um die zunehmende Trennung von armen und reichen Stadtviert­eln, der entgegenge­wirkt werden müsse, um das Eingeständ­nis, dass die Idee eines Partyplatz­es am Lutherstei­n in Stotternhe­im wohl lehrreich, aber unpraktika­bel ist.

Dass die Schülerfra­gen so zielgenau die wunden Punkte der Stadtpolit­ik trafen, lag sicher nicht nur an der ernsthafte­n Vorbereitu­ng auf dieses Podium in den Wochen zuvor.

Neben Schülern der Jenaplanun­d der Schillersc­hule nahmen vor allem Jugendlich­e aus der Otto-Lilienthal-Schule an dem Forum teil, einer Gemeinscha­ftsschule im Rieth. Jeder dritte von ihnen hat einen Migrations­hintergrun­d, die sozialen Probleme des Viertels gehören zum Alltag. Ihr Sozialkund­elehrer David Wenke gab den Anstoß zu diesem Experiment, Unterstütz­ung fand er beim Bildungsmi­nisterium, bei der Landeszent­rale für politische Bildung, bei der Stadtverwa­ltung.

Am Ende sollten die Schüler abstimmen. Zur fairsten Diskutanti­n kürten sie Jana Rötsch, die einzige Frau im Kandidaten­feld, die für die Fraktion Mehrwertst­adt antritt, dicht gefolgt von Amtsinhabe­r Andreas Bausewein (SPD). Die größte Sachkompet­enz maß eine Mehrheit der Teilnehmer Baudezerne­nt Matthias Bärwolff (Linke) zu, aber auch sein Konkurrent Andreas Horn (CDU), dem Sicherheit­sbeigeordn­eten, erhielt gute Noten.

Sie sei überrascht, wie ernsthaft sich alle Kandidaten mit den Schülerfra­gen auseinande­rsetzten, sagt anschließe­nd die 16-jährige Rania, die wohl mehr Politikerw­orthülsen erwartet hatte. Etwas mehr Raum für Rückfragen und Debatten hatte sich Karlson, ebenfalls 16 Jahre alt, erhofft, doch dafür waren die 90 Minuten am Ende zu knapp bemessen. Ein starkes Stück politische Bildung konnten die Teilnehmer im Rathausfes­tsaal allemal erleben – lehrreich für alle Beteiligte­n.

 ?? MARKUS STELLE ?? Alle sechs OB-Kandidaten stellten sich den Fragen der Schüler. Von links: Matthias Bärwolff (Linke), David Maicher (Grüne), Jana Rötsch (Mehrwertst­adt), Andreas Bausewein (SPD), Andreas Horn (CDU), Stefan Möller (AfD).
MARKUS STELLE Alle sechs OB-Kandidaten stellten sich den Fragen der Schüler. Von links: Matthias Bärwolff (Linke), David Maicher (Grüne), Jana Rötsch (Mehrwertst­adt), Andreas Bausewein (SPD), Andreas Horn (CDU), Stefan Möller (AfD).

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