Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Gnadenerlass für die Sahnetorte: Fassaden-Kunst darf bleiben
Bausewein verlängert per Dienstanweisung die Frist für das Wandbild in der Johannesstraße
Die Fassaden-Kunst am Eckhaus der Johannesstraße 19 in Erfurt darf vorerst bleiben. Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) hat die vom Bauamt gesetzt Frist zur Entfernung der Graffiti bis Ende Mai am Freitagmorgen „längerfristig verlängert“, bestätigt der OB-Referent Christoph Bimböse auf Nachfrage.
Ein entsprechender Bescheid sei zwar noch nicht an die Hausbesitzerin verschickt worden. Doch handele es sich um eine Dienstanweisung des Oberbürgermeisters, die von dem für das Bauamt zuständigen Stadtentwicklungs-Dezernenten Tobias Knoblich (parteilos) mitgetragen werde.
Wenn die Vorschriften nicht mehr zur Lebensrealität der Menschen passen, dürfen und sollen sie angepasst werden. Frank Warnecke, Fraktionsvorsitzender der SPD
Bausewein habe bei seiner Entscheidung laut Christoph Bimböse auf die bereits laufende Erarbeitung einer neuen Gestaltungssatzung und Werbesatzung für die Innenstadt verwiesen.
Grau ist nicht die einzige Option
„In dieser Zeit lässt sich mit Blick auf die neuen Satzungen vielleicht eine Lösung für die Johannesstraße finden“, meinte Bimböse. „Grau ist dann vielleicht nicht mehr die einzige Option.“
Bis dahin, also mindestens noch dieses Jahr, dürfen auch die Torten, Früchte und Kakaobohnen selbst noch an der Fassade bleiben. In der
Vorwoche wurde bekannt, dass die Hausbesitzerin Diana Spilker das 15 Jahre alte Graffiti auf Aufforderung des Bauamtes bis Ende Mai übermalen lassen sollte.
Das Amt berief sich auf die Werbesatzung und die Gestaltungssatzung und auf zahlreiche Gerichtsurteile, die dem Amt Recht gegeben hatten.
Diana Spilkers Ehemann, der im Dezember 2022 verstorbene HeinzJochen Spilker, hatte die Graffiti im Jahr 2009 beauftragt und auch bei der Stadtverwaltung angezeigt.
Die Verwaltung reagierte zunächst nicht, doch seit 2011 kämpft das Bauamt für die Entfernung. Spilker, langjähriger Chef des Innenstadt-Vereins City-Management,
wehrte sich vor Gericht und zog durch alle Instanzen, jedoch ohne Erfolg.
Graffiti als Notwehr gegen wilde Sprühereien
Er sah die Graffiti als Notwehr gegen wilde Sprühereien, unter denen die Hausfassade zuvor regelmäßig gelitten hatte.
Wie die Hausbesitzerin Diana Spilker am Freitag bestätigte, hat Bausewein ihr bereits persönlich die Entscheidung am Telefon übermittelt. „Er war kompromissbereit und lösungsorientiert und wirkte ganz euphorisch“, erzählt Diana Spilker.
Der Oberbürgermeister handelte offenbar auch unter öffentlichem
Druck. Seit die neuerliche Forderung zur Entfernung der FassadenKunst öffentlich wurden, drückten zahlreiche Erfurter Bürger in Emails an die Verwaltung, die Presse und an die SPD ihr Unverständnis über das Verwaltungshandeln aus.
Politiker ergreifen Partei für die Torten
Nicht zuletzt die SPD-Fraktion ergriff daraufhin für die Torten Partei. „Die Verwaltung ist zum Einhalten von Recht und Gesetz verpflichtet, dennoch hat sie einen Ermessensund Handlungsspielraum“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Warnecke. „Wenn die Vorschriften nicht mehr zur Lebensrealität der
Menschen passen, dürfen und sollen sie angepasst werden.“
In seiner Rolle als Oberbürgermeister-Kandidat setzte auch Ordnungsdezernent Andreas Horn (CDU) die Verwaltung unter Druck. „Die Diskussion um das Wandbild in der Johannesstraße zeigt, dass Teile der Verwaltung flexibler werden müssen“, meinte er und kündigte an, dass er im Falle seines Wahlsiegs persönlich eine einvernehmliche Lösung anstrebe.
„Das Ergebnis des Tortenstreits kann nicht eine graue Wand sein“, sagte Horn. „Wer Heinz-Jochen Spilkers Erbe ernst nimmt, weiß, dass eine Verwaltung den Menschen dienen muss, nicht die Menschen den Paragraphen.”