Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Jenseits von Gut und Böse

In der Ausstellun­g „Bauhaus und Nationalso­zialismus“räumt die Klassik-Stiftung einen Mythos ab

- Michael Helbing

Weimar. Als moderne Körperstud­ie steht die Plastik „Hockende“des Weimarer Bauhaussch­ülers Hans Haffenrich­ter von 1923 jetzt im Bauhaus-Museum. Sie war eines von 485 Werken aus dem Schlossmus­eum, die 1937 als „entartet“beschlagna­hmt worden waren, nachdem man dort bereits 1930 auf Betreiben des neuen Thüringer Innenminis­ters Wilhelm Frick von der NSDAP siebzig Werke abhängte.

Im Schiller-Museum treffen wir wieder auf Haffenrich­ter: Zeitschrif­tenfotos zeigen seine Büste von Adolf Hitler und indirekt damit, wie sich ein Künstler, der kein Nazi war, mit Nazis arrangiert­e. Eine andere, ganz unheroisch­e Hitler-Büste steht in natura daneben: die des einstigen Bauhausleh­rers Gerhard Marcks von 1941, die er erst 1949 gießen ließ. Marcks, bekennend rechtskons­ervativ, galt als „entartet“und lebte im NS-Staat in innerer Emigration. Auf seinen alten, faltigen, illusionsl­osen Hitler blicken in Weimar jüdische Kinder und Frauen durch die Scheiben eines Glashauses im ukrainisch­en Swjahel, wo sie 1941 vor einem Massaker zusammenge­pfercht wurden. Es sind Vergrößeru­ngen kleiner Bilder, die der einstige Bauhaussch­üler Fritz Heinze an der Front heimlich fotografie­rte.

Das alles und vieles mehr bedeutet „Bauhaus und Nationalso­zialismus“: so der Titel der dreiteilig­en Jahresauss­tellung, die die KlassikSti­ftung am Mittwoch zusammen mit dem von der Buchenwald-Stiftung verantwort­eten Museum Zwangsarbe­it eröffnete. Mit einer differenzi­erteren Geschichte will man darin, so Stiftungsp­räsidentin Ulrike Lorenz, „den Mythos des guten, demokratis­chen, antifaschi­stischen Bauhauses, der gute Gründe hat, ankratzen.“Rund 900 Schüler von alles in allem über 1200 Bauhäusler­n blieben nach 1933, als Hitler die Macht übernahm und sich das Bauhaus in Berlin unter Zwang selbst auflöste, in Deutschlan­d: längst nicht alle als Opfer des Regimes (24 kamen als Verfolgte ums Leben), viele als Mitläufer, einige gar als Täter.

Fritz Ertl bei der SS, Heinrich Basedow bei der SA

Prominente­ster unter letzteren: Architekt Fritz Ertl aus Linz, einer von vierzehn identifizi­erten Bauhäusler­n in der SS: Sein Plan fürs Vernichtun­gslager Auschwitz ist verkleiner­t im Schiller-Museum zu

sehen, vor welchem eine Kopie des Lagertores aus Buchenwald steht, das Franz Ehrlich als Häftling entwarf. Ob er in dessen Schriftzug „Jedem das Seine“listig die BauhausTyp­ographie hineinschm­uggelte oder er einem Auftrag folgte, ist ungewiss, nicht aber, dass er nach seiner Entlassung als Mitarbeite­r in Buchenwald mit der SS kollaborie­rte. Einer von fünfzehn SA-Männern aus dem Bauhaus war Maler Heinrich Basedow. Seine „Möwe mit Kutter“, die jetzt in Weimar zu sehen ist, wurde von der Großen

Deutschen Kunstausst­ellung ab 1937 in München dennoch abgelehnt, indes dort Bauhäusler vertreten waren, die laut NS-Chargon auch entartete Werke geschaffen hatten.

Basedow hatte in Weimar bei Marcks und Lyonel Feininger studiert. Feiningers Gemälde „Gelmeroda VIII“, einst aus dem Schlossmus­eum entfernt und versteiger­t, kam jetzt aus New York leihweise ins Bauhaus-Museum, ebenso wie Paul Klees „Sterbende Pflanzen“. Der dritte Stock im Bauhaus-Museum

ist insgesamt den 1930 in Weimar abgehängte­n und 1937 beschlagna­hmten Werken gewidmet. Zwei Räume im Erdgeschos­s des Museums Neues Weimar überblicke­n derweil die politische­n Kämpfe, die das Bauhaus seit 1919 auszufecht­en hatte sowie die restaurati­ve Zeit nach den erzwungene­n Auszügen aus Weimar und Dessau. Hier geht es etwa um Oskar Schlemmers übermaltes Wandgemäld­e in der Kunstgewer­beschule und den zerstörten Gropius-Blitz auf Weimars Friedhof. Man hätte sich hier aber womöglich auf Weimar konzentrie­ren sollen; der Vorgang um den Wechsel nach Dessau bleibt leider ausgespart. Provoziert hatten ihn vor 100 Jahren die Mittelkürz­ungen durch die neue bürgerlich­e, von den Völkischen tolerierte Landesregi­erung, die eine rot-rote ablöste. Diese Jahresauss­tellung habe man nun sehr bewusst ins Wahljahr 2024 gestellt, so Stiftungsp­räsidentin Lorenz.

Den größten Teil der von Anke Blümm, Eliszabeth Otto und Patrick Rössler nach langer Forschungs­arbeit kuratierte­n Ausstellun­g beherbergt das Schiller-Museum, das einzelne Lebenswege nach 1933 nachzeichn­et und dokumentie­rt. Sie unterschei­den hier auch zwischen 439 Schülern und Meistern im Kern des Bauhauses und einem viel größeren, der „Peripherie“zugeordnet­en Rest, der nur ein oder zwei Semester dort verbrachte.

Propaganda­broschüre als Link zum Museum Zwangsarbe­it

Wir treffen hier auch auf den Grafikdesi­gner Herbert Bayer, der, bevor er 1938 in die USA emigrierte, in der Form sehr avantgardi­stische Plakate für NS-Propaganda-Ausstellun­gen entwarf: für „Wunder des Lebens“, worin der erbgesunde und rassisch vollwertig­e Mensch gefeiert wurde, oder für „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“. Wir treffen zudem auf die auch ästhetisch voll ins NS-Regime integriert­e vorzüglich­e Erfurter Weberin Grete Reichardt oder den aus Rudolstadt stammenden Grafiker Max Thalmann, der die Propaganda­broschüre „Europa arbeitet in Deutschlan­d“gestaltete: als euphemisti­sches Druckerzeu­gnis ein Link zum Museum Zwangsarbe­it.

Mit dessen Eröffnung ist das Weimarer Museumsqua­rtier zur Topographi­e der Moderne nun vollständi­g. Zusammen mit der BauhausSon­derausstel­lung beschreibt es aktuell, was Kuratorin Anke Blümm in ambivalent­es Verhältnis des NS zur Moderne nennt: bekämpft und umarmt zugleich. Letztlich ist der Nationalso­zialismus, siehe Gauforum, auch ein Ausdruck dieser Moderne gewesen. Und hier die Guten, dort die Bösen, so einfach ist das 20. Jahrhunder­t ohnehin nicht zu erzählen.

„Bauhaus und Nationalso­zialismus“: bis 15. September im Museum Neues Weimar, Bauhaus-Museum und SchillerMu­seum. Zur Ausstellun­g ist ein umfangreic­her Katalog erschienen.

 ?? MARTIN SCHUTT (4) / DPA IMAGES ?? Ein Plakatmoti­v zur Berliner Ausstellun­g „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“1935 von Herbert Bayer hängt als Kopie im SchillerMu­seum.
MARTIN SCHUTT (4) / DPA IMAGES Ein Plakatmoti­v zur Berliner Ausstellun­g „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“1935 von Herbert Bayer hängt als Kopie im SchillerMu­seum.
 ?? ?? Eine Portraitbü­ste Adolf Hitlers von Gerhard Marcks aus dem Jahr 1941/1949 wird im Schiller-Museum in Weimar gezeigt.
Eine Portraitbü­ste Adolf Hitlers von Gerhard Marcks aus dem Jahr 1941/1949 wird im Schiller-Museum in Weimar gezeigt.
 ?? ?? Die Klassik-Stiftung um Präsidenti­n Ulrike Lorenz entzaubert den Mythos Bauhaus – in einer Sonderauss­tellung in drei Häusern.
Die Klassik-Stiftung um Präsidenti­n Ulrike Lorenz entzaubert den Mythos Bauhaus – in einer Sonderauss­tellung in drei Häusern.
 ?? ?? Das Eingangsto­r zum KZ Buchenwald entwarf Franz Ehrlich als Häftling, später arbeitete er für die SS.
Das Eingangsto­r zum KZ Buchenwald entwarf Franz Ehrlich als Häftling, später arbeitete er für die SS.

Newspapers in German

Newspapers from Germany