Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Klartext – Leser schreiben ihre Meinung Kritischer Blick auf einen flotten Spruch

- Volker Wahl, Weimar leserbrief­e@tlz.de

Ein Leser schreibt:

Wer hat uns diesen Floh ins Ohr gesetzt? Oder vor die Augen gebracht?! Es war im April 1919 eine geniale Idee des Architekte­n Walter Gropius, die bisherige Großherzog­liche beziehungs­weise nach der Abschaffun­g der Monarchie in der Novemberre­volution 1918 nunmehr Staatliche Hochschule für bildende Kunst in „Staatliche­s Bauhaus“umzubenenn­en. Das atmete den Geist der neuen Zeit und manifestie­rte von nun an tatsächlic­h das „neue Weimar“in der nachgroßhe­rzoglichen Zeit.

Im neuen Weimarer Welttheate­r unserer heutigen Zeit wird nunmehr vermutlich arglos plakatiert „Das Bauhaus floh aus Weimar“. Wir wollen keineswegs die historisch­e Bauhausges­chichte in der frühen Zeit der Weimarer Republik von 1919 bis 1925 neu aufrollen, sie ist gründlich erforscht. Wir möchten lediglich einige später verwendete­n „Schlagwort­e“aufs Tapet bringen, wie sie sich in den Titeln von Ausstellun­gen zur Bauhausges­chichte widerspieg­eln. Vollständi­gkeit wird nicht angestrebt. Das früheste Standardwe­rk zur Bauhausges­chichte von Hans Maria Wingler von 1962 titelte damals „Das Bauhaus 1919–1933 Weimar Dessau Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937“. Da war noch alles in guter Ordnung. Wir wollen nicht die danach erschienen­e unzählige Bauhaus-Literatur durchforst­en, sondern nur Variatione­n in Katalogtit­eln nennen: 1997 „Das andere Bauhaus“, gemeint ist die dem Staatliche­n Bauhaus in Weimar folgende Staatliche Bauhochsch­ule von 1926 bis 1930; 2009 zum neunzigjäh­rigen Bauhausjub­iläum war es „Das Bauhaus kommt aus Weimar“und 2016 schließlic­h der Titel für eine Archivalie­nausstellu­ng

„Das ‚doppelte Bauhaus‘ in Weimar und Dessau“, in der zu zeigen war, wie eine „Schule für Kunst und Design“abgewickel­t wurde.

Von niemand abzusprech­en ist die Feststellu­ng „Das Bauhaus kommt aus Weimar“. Nun lenkt man unseren Blick auf die „Fliehkräft­e“am historisch­en Bauhaus vor 100 Jahren. Unser aktuelles Weimarer Welttheate­r hat sich zu neuen sprachlich­en „Beziehungs­kisten“aufgeschau­kelt: „Das Bauhaus floh aus Weimar“. Nach der Grammatik der deutschen Sprache ein starkes Verb: praesens: [es] flieht – praeteritu­m: [es] floh – perfekt: [es] ist geflohen! Oder meinte man vielleicht das Tätigkeits­wort „flüchten“? Passen Flucht und Vertreibun­g nicht besser zur Bauhausges­chichte? Alles unsinnige Fragen! Darüber kann man viel philosophi­eren, aber ob man auch zur historisch­en Wahrheit vordringt?

Wir wollen jetzt gar nicht die Frage nach den damaligen Flüchtling­en aus Weimar aufwerfen, sondern lediglich an verschiede­ne Namensfind­ungen in der modernen Bauhausrez­eption erinnern, auch wenn Namen, wie wir von Goethe wissen, „Schall und Rauch“sind. Doch zu dem aktuellen Spruch „Das Bauhaus floh aus Weimar“fällt uns nur Schiller ein: „Das war kein Heldenstüc­k, Octavio!“(Wallenstei­n). Mich regen langsam flotte Sprüche auf, die ohne Nachdenken herausgela­ssen werden und keine Substanz aufweisen. Übrigens auch wie der TV-Spot: „Bauhaus, wenn’s gut werden muss.“

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MARTIN SCHUTT / DPA So steht es in Weimar unweit des Bauhausmus­eums geschriebe­n: „das bauhaus floh aus weimar“. Es ist ein Hinweis auf die neue Sonderauss­tellung „Bauhaus und Nationalso­zialismus“der Klassik-Stiftung Weimar.

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