Thüringische Landeszeitung (Gera)
Wettbewerbshüterin im Zwielicht
Frühere EUKommissarin Neelie Kroes soll Geschäfte im Steuerparadies Bahamas betrieben haben
BRÜSSEL. Ein neuer Skandal um Interessenkonflikte erschüttert die EU-Kommission. Die frühere Kommissarin Neelie Kroes war nach Enthüllungen der „Süddeutschen Zeitung“während ihrer Amtszeit auch Direktorin einer Briefkastenfirma auf den Bahamas und verschwieg dies. Kroes habe sich offenbar nicht an die Regeln gehalten, erklärte die Kommission gestern in Brüssel. Sie erwägt Schritte gegen die einst mächtige Spitzenfunktionärin. EU-Parlamentarier zeigten sich geschockt von der Affäre.
Zuletzt hatte bereits der Wechsel des früheren EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso zum Bankhaus Goldman Sachs Staub aufgewirbelt. Sein Nachfolger Jean-Claude Juncker hatte sich distanziert und angekündigt, Barroso künftig nur noch als Interessensvertreter zu behandeln. Die Affäre um die inzwischen 75-jährige Kroes gilt als noch heikler.
Sie war von 2004 bis 2010 EUKommissarin für Wettbewerb, anschließend vier Jahre Kommissarin für die Digitale Agenda. Von 2000 bis 2009 war Kroes laut „SZ“auch Direktorin der Mint Holdings Limited auf den Bahamas. Die Zeitung beruft sich auf interne Dokumente zu über 175 888 Briefkastenfirmen und Stiftungen, die zwischen 1990 und 2016 auf den Bahamas gegründet wurden.
Kroes verstieß der Zeitung zufolge gegen den Verhaltenskodex der EU-Kommission, der Mitgliedern jegliche Nebentätigkeit verbietet. Die Niederländerin erklärte über ihren Anwalt Oscar Hammerstein, formell habe sie die Regeln verletzt. Sie habe aber in gutem Glauben gehandelt und auch nie Geld für ihre Funktion bekommen. „Sie ist bereit, die Konsequenzen zu tragen“, erklärte der Anwalt.
Ein Kommissionssprecher betonte, man habe von dem Sachverhalt nichts gewusst. Er verwies auf Offenlegungspflichten der Kommissare und erklärte, man müsse sich auf die Selbstauskunft verlassen. Juncker forderte von Kroes weitere Informationen an.
Scharfe Kritik kam vom Grünen-Finanzexperten Sven Giegold. „Neelie Kroes ist ein herausragendes Negativbeispiel für die Beschädigung von Vertrauen in die Politik“, sagte der deutsche Europaabgeordnete. Ihr Lebenslauf sei von Interessenkonflikten geprägt. Zuletzt war Kroes Beraterin des Fahrdienst-Vermittlers Uber. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, zeigte sich geschockt. Wenn sich der Bericht bestätige, wäre dies eine Schande für Kroes. (dpa)