Thüringische Landeszeitung (Gera)

Vergessene Anträge und chronische­r Geldmangel

Im Babymordpr­ozess vor dem Erfurter Landgerich­t ging es gestern um die Frage, warum die Beschuldig­te Hilfe nicht annahm

- VON BRITT MANDLER

Im Babymordpr­ozess vor dem Erfurter Landgerich­t wurden gestern auch eine Mitarbeite­rin des Jugendamte­s und eine Schulsozia­larbeiteri­n gehört. Foto: Martin Schutt ERFURT. Tiefer als bisher sollen die Gutachter in die Psyche ihrer Mandantin eindringen. Diese Forderung machte gestern die Verteidige­rin von Alexandra R., der Mutter der beiden getöteten Babys von Ichtershau­sen, vor dem Landgerich­t Erfurt auf. Sie beruft sich auf eine Studie, wonach eine von 1500 Frauen eine Schwangers­chaft komplett verdrängt. Das sei krankhaft und könne Einfluss auf die Schuldfähi­gkeit haben, findet sie. Auch soll zusätzlich ein Neonatolog­e befragt werden, ob aufgrund des Drogenkons­ums der Beklagten die Kinder womöglich tot zur Welt gekommen sind oder unmittelba­r nach der Geburt starben. Das Gutachten, das ein Frauenarzt abgegeben hat, reicht ihr nicht.

Über die Anträge der Anwältin wird das Gericht in Kürze befinden. Der Großteil des gestrigen Verhandlun­gstags drehte sich allerdings um die Frage, ob Alexandra R. überforder­t war – mit Behördengä­ngen ebenso wie mit der Fürsorge für ihre beiden Kinder. Gehört wurden dazu eine Mitarbeite­rin des Jugendamte­s und die Schulsozia­larbeiteri­n. Sie kümmerten sich allerdings nicht alleine um die Ichtershäu­serin. Auch eine Familienhe­lferin stand ihr zur Seite. Zudem hatte sie, während sie eine Maßnahme des Jobcenters absolviert­e, eine weitere Ansprechpa­rtnerin.

Doch viele Versuche prallten an der Beschuldig­ten ab, berichtete­n gestern die beiden Zeuginnen. Sie wurden immer dann informiert und aktiv, wenn es Auffälligk­eiten gab. So gab es Hausbesuch­e und Gespräche des Jugendamte­s, als wegen Außenständ­en die Gastherme abgestellt werden sollte. Zum Schuljahre­sbeginn fehlten Unterricht­smateriali­en für den Jungen. 2015 kam er selbst ins Jugendamt und bat darum, in Obhut genommen zu werden, weil er es daheim nicht mehr aushalte.

Die Gründe für die Geldknapph­eit lagen auf der Hand: Alexandra R. versäumte regelmäßig, Nachfolgea­nträge beim Jobcenter zu stellen. Das ging mit Sanktionen einher. Ihr damaliger Lebenspart­ner, Chris M., hatte lange keinen Ausweis und bekam folglich vom Amt überhaupt kein Geld.

Die Schulsozia­larbeiteri­n versuchte, die Mutter unter Betreuung stellen zu lassen, damit diese Dinge künftig für sie geregelt werden. Das misslang, da die Ichtershäu­serin nicht mitwirkte. Auch für die Sozialarbe­iterinnen war sie monatelang nicht zu erreichen. Auch das mag ein Grund gewesen sein, warum beide Zeuginnen nicht bemerkt haben, dass Alexandra R. schwanger war.

Am Montag geht die Verhandlun­g weiter.

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