Thüringische Landeszeitung (Gera)

Die Autonomie schwindet und die Abhängigke­it wächst

Die sächsische Stadt Zwickau hat 2008 ihre Kreisfreih­eit verloren – Das Gleiche droht Gera – Wir sprachen mit Zwickaus Oberbürger­meisterin Pia Findeiß (SPD) über die Folgen

- VON KATJA GRIESER

Was hat sich für Zwickau durch den Verlust der Kreisfreih­eit verändert? Zum einen ist ein gewisser Bedeutungs­verlust unvermeidb­ar. Bis 2008 befanden wir uns auf „Augenhöhe“mit den Landkreise­n und kreisfreie­n Städten wie Dresden und Leipzig. Nun befinden wir uns in einer Kategorie mit anderen kreisangeh­örigen Gemeinden mit, beispielsw­eise, nur wenigen Hundert Einwohnern. Zum anderen sind wir für eine Reihe von Aufgaben nicht mehr zuständig. Dies bedeutet einen Verlust an Handlungs- und Gestaltung­smöglichke­it. Kurz: Es schwindet auch die Autonomie und wächst die Abhängigke­it von Entscheidu­ngen, die auf anderen Ebenen getroffen werden. Einige Gestaltung­s- und Entscheidu­ngsmöglich­keiten konnten jedoch im Zuge der Beratungen und Verhandlun­gen im Vorfeld der Verwaltung­sreform erhalten werden, zum Beispiel die Trägerscha­ft bei der Sparkasse, die Zuständigk­eit für den Öffentlich­en Personenna­hverkehr, die freiwillig­e Mitgliedsc­haft im Kulturraum oder die Betreibung der Rettungsle­itstelle. In Thüringen wird argumentie­rt, dass durch die Gebietsref­orm Kosten gespart werden. Ist das bei Ihnen der Fall? Diese Frage müssten Sie am besten dem Freistaat Sachsen stellen, für den dieses Argument ebenfalls wichtig war. Hatte der Verlust des Kreisfreis­tatus Auswirkung­en auf Unternehme­nsansiedlu­ngen? Ein gewisser Bedeutungs­verlust ist unvermeidb­ar. Auswirkung­en auf mögliche Ansiedlung­en fürchte ich jedoch nicht. Für Unternehme­n ist es wichtig, dass sie geeignete Fläche beziehungs­weise das für sie geeignete Gebäude finden mit den gewünschte­n Rahmenbedi­ngungen. Da ist es nicht erheblich, ob diese Immobilie in einer kreisfreie­n Stadt oder einer kreisangeh­örigen Gemeinde liegen. Wie haben Unternehme­r reagiert, als Zwickau die Kreisfreih­eit verloren hat? Es gab keinen großen „Aufschrei“. Allerdings dürfte manchem (inzwischen) aufgefalle­n sein, dass wir als Stadt in manchen Fragen nicht mehr zuständig sind, so haben wir nicht mehr die Unteren Umweltbehö­rden. Hier sind die Firmen dann von Entscheidu­ngen und Bearbeitun­gszeiten des Landratsam­tes abhängig. Zudem steigt der Abstimmung­saufwand. Für Unternehme­n und Bürger steht aber an erster Stelle, dass ihre Anliegen fachkompet­ent bearbeitet werden. Ihm ist es letztlich gleichgült­ig, ob die Verwaltung der Stadt oder des Kreises zuständig ist. Haben die Zwickauer sich in ihrem Stolz verletzt gefühlt, als die Stadt plötzlich nicht mehr kreisfrei war? Viele Zwickauer schon. Andere, denen dieses Thema bis 2008 zu abstrakt war, haben im Nachgang die Änderungen gemerkt, etwa dass Zwickau nicht mehr für die Kfz-Zulassung oder die Führersche­instelle oder Jugendund Sozialhilf­e zuständig war und da der Landkreis mitunter andere Schwerpunk­te setzt. Können Sie Gera Tipps geben für den Kampf um den Erhalt der Kreisfreih­eit? Das kann ich nicht, da ich die Gegebenhei­ten in Ihrem Bundesland und die Vorgehensw­eise Ihrer Landesregi­erung zu wenig kenne. Was würden Sie tun, um wieder kreisfrei zu werden? Ich bin Realistin: Ich glaube nicht, dass sich in meiner Amtszeit die Chance ergeben wird, die Kreisfreih­eit wieder zurück zu erlangen.

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Foto: Jörg Lange Pia Findeiß.

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