Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Den Sonntagsbraten können Sie ruhig beibehalten, wenn...“
Sollten Kinder vegan leben? Wie gesund ist der Trend? Peter Cott sprach mit dem Ernährungswissenschaftler Gerhard Jahreis von der Uni Jena
Professor Jahreis, ist vegane Ernährung nur ein Modetrend oder eine Alternative? Beides. Ich bekomme derzeit ständig Anfragen von Schülern für Seminarfacharbeiten zum Veganismus. Vegan ist für jüngere Leute ein Modetrend. Die Jugend will sich damit vom Traditionellen absetzen. Aber das ist nicht die einzige Motivation. Welche gibt es noch? Aktuelle Studien zeigen, dass erst an dritter Stelle die Gesundheit steht. Die wesentliche Motivation liegt in der Massentierhaltung. Veganer wollen dem entgegenwirken. Grund zwei ist die Ökologie. Nehmen Sie die USA: Hier liegt der jährliche Fleischkonsum bei 130 Kilogramm pro Kopf. In China lag er Für sein Engagement bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erhielt Gerhard Jahreis im Jahr 2012 das Bundesverdienstkreuz. Foto: Peter Cott vor einigen Jahren noch bei 20 Kilo und nun schon bei 50. Und damit die Tiere schnell schlachtreif sind, braucht es meist Soja. Allein für den Bedarf der EU werden in Südamerika 17 Millionen Hektar Sojabohnen angebaut. Dieses Wachstum verträgt die Erde nicht auf Dauer. Aber wird der ökologische Aspekt nicht konterkariert, wenn ich auf Fleisch verzichte und es durch Produkte mit langem Transport ersetze? Tatsächlich ist die Logistik der langen Wege sehr bedauerlich. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das eingepegelt hat. Regionale Produkte werden immer beliebter. Zudem setzen unter anderem Frankreich, Österreich und auch Deutschland zunehmend auf den Anbau eigenen Sojas. Interessanterweise bauen die Österreicher SojaSorten an, die ursprünglich in Dornburg entwickelt wurden. Es wirkt, als befürworten Sie den Veganismus. Ich arbeite sehr daran, den Fleischkonsum zu reduzieren. In den vergangenen Jahren habe ich mit vielen Unternehmen gesprochen, um eine Proteinaufbereitungsanlage aus Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen in Thüringen zu etablieren. Wir müssen die Potenziale pflanzlicher Ressourcen besser nutzen. Dafür brenne ich. Ein Projekt zusammen mit der Food GmbH Jena ist beispielsweise eine durch pflanzliche Eiweiße angereicherte Wurst, der Flexitaler. Aber der ist ja nicht rein vegan. Nein. Der Anteil an Veganern in der Bevölkerung liegt bei einem Prozent. Den auszubauen wird schwierig. Gerade bei in Thüringen sozialisierten Menschen bestehen da wenig Chancen. Ich setze meine Hoffnungen eher in Flexitarier, also jene, die sich vor allem vegetarisch und vegan ernähren, dann aber ab und an qualitativ hochwertiges Fleisch essen. Hier liegt der Anteil bei über zehn Prozent, der lässt sich steigern. Aber man hört oft, dass Veganer Nahrungsergänzungsmittel nehmen müssen. Das ist richtig. Gerade die Versorgung mit Vitamin B12 ist schwierig, weil es in pflanzlichen Lebensmitteln nicht enthalten ist. Fleisch und Milch sind die Bezugsquelle Nummer eins. Im Sauerkraut ist auch B12 enthalten, aber der Körper kann nur wenig damit anfangen. Die Veganer müssen folglich Tabletten einnehmen. Ich kann mir aber keine Ernährung antrainieren, bei der ich vom Arzt oder Apotheker abhängig bin. Daher mein Argument für Flexitarier. Welche Stoffe fehlen noch? Sowohl die Eisen- als auch die Jodversorgung sind suboptimal. Jod nimmt man vor allem mit Milchprodukten und Backwaren auf. Veganer müssen hier zum jodierten Speisesalz greifen. Eisen sollte man durch entsprechende Tabletten zuführen. Wie stehen Sie zu veganer Ernährung bei Kindern? Das halte ich für fatal. Untersuchungen und die Praxis haben gezeigt, dass der Mangel an Vitamin B12 bei Kleinkindern zu negativen Veränderungen im Gehirn führt. Hier lehne ich vegane Ernährung ab. Besteht das Problem auch bei Erwachsenen? Bei Erwachsenen ist die Eiweißversorgung unproblematisch, da der Mensch nur sehr geringe Anforderungen an die Eiweißqualität hat. Älteren Menschen empfehle ich dennoch, nicht auf tierisches Protein zu verzichten. Also doch der Sonntagsbraten. Den können Sie ruhig beibehalten, wenn Sie unter der Woche eher auf Pflanzeneiweiß setzen und statt des Schweins oder des Huhns lieber zum regionalen Wiederkäuer greifen, der in seinem Leben auch mal den Stall verlassen durfte.