Thüringische Landeszeitung (Gera)

Gummistief­el, Regenhose und Jacke sind ein Muss

Landwirt aus Günterode arbeitet bis Ende Dezember als Saisonkraf­t in einem Neuseeländ­er Milchviehb­etrieb

- VON MARTIN HOMBURG

TUATAPERE. Weites Land, saftig grüne Weidefläch­en für die mehr als tausend Milchkühe, für die im August der Startschus­s zur Milchprodu­ktion gefallen ist. Denn nun beginnt für sie die Saison, in der jede der 1000 Kühe ihren Nachwuchs zur Welt bringen wird. Die Milchprodu­ktion ist in Neuseeland noch kein ganzjährig­es Geschäft. Der Eigenbedar­f an Milch beläuft sich auf 5 Prozent, die restliche Jahresprod­uktion ist ausschließ­lich für den Export gedacht. Ein Großteil für China.

Ich darf das Land mit einer enormen Vielseitig­keit und wundervoll­en Landschaft bestaunen und das Leben auf einer Milchviehf­arm für ein paar Monate kennen lernen. Noch bis Ende Dezember arbeite ich in Neuseeland.

Die Farm liegt auf der Südinsel in dem 500-Seelen-Örtchen Tuatapere, etwa fünfzehn Minuten Autofahrt vom Ozean entfernt. Es ist mit die letzte Küstenregi­on vor dem Südpol. Die Kalbezeit beginnt Anfang August und sollte zu Beginn im Oktober beendet sein, es ist die wohl stressigst­e Zeit in der Saison, denn die Arbeitstag­e sind in der Kalbezeit lang.

Das Aufstehen – „get up in the morning“– fällt manche Tage schwer. Um vier Uhr in der Früh heißt es: „Raus auf das Motorrad“, bewaffnet mit einer Taschenlam­pe und die zur Kalbung anstehende­n Kühe auf eventuelle Probleme bei der Geburt kontrollie­ren. Da kommt es gern mal vor, dass man, bestenfall­s im Regen und Schlamm nur im Scheinwerf­erlicht des Motorrades versucht, Geburtshil­fe zu leisten. In Neuseeland werden alle Kühe das ganze Jahr auf der Weide gehalten. Das ist kostenspar­end, aber kann unter Umständen sehr rau sein. Für Mensch und Tier.

Bis auf die Vegetation ist auf der Farm nichts wetterabhä­ngig. Alle anfallende­n Arbeiten werden und müssen bei jeder Witterung erledigt werden, zum Beispiel die Kühe zum Melken zu holen oder die Winterfütt­erung für die Tiere, die noch Zeit bis zur Kalbung haben auf den „crops“. Das Melken beginnt um fünf Uhr morgens. Es läuft wie in vielen Milchviehb­etrieben in Deutschlan­d „rund“in einem Melkkaruss­ell. Es umfasst 50 Melkplätze. Zweihunder­t Kühe können in einer Stunde gemolken werden. Das Ansetzen der Melkgeschi­rre sollte zügig vonstatten gehen.Mit zunehmende­r Anzahl der Kalbungen wächst die zu melkende Herde rasch und die Melkschich­ten werden länger, somit ebenfalls meine Arme. Das einzige Wirtschaft­sgebäude ist das Melkhaus, in dem während des Melkens gleichzeit­ig Zuflucht vor Schlechtwe­tter gesucht wird. Denn draußen sind Gummistief­el, Regenhose und Jacke ein Muss.

Nach dem Melken ist Frühstücks­pause, sofern – wie es öfter vorkommt – keine dringende Probleme wie eine Schwergebu­rt dazwischen kommen. Neue „Paddocks“, das sind Weidefläch­en, müssen abgesteckt werden. Es lässt sich nicht einschätze­n, wie viele Kilometer Weidedraht auf- und abgebaut werden, aber es ist enorm viel. Die Bekanntsch­aft mit dem Strom wird für mich langsam zur Normalität.

Es kommt auch vor, dass 30 Geburten in einer Nacht stattfinde­n. Dann müssen wir die Kälber einsammeln, auf den kleinen Anhänger laden und die Mütter aussortier­en. Dabei geht es zu wie im Wilden Westen – nur mit dem Quad oder Motorrad. Recht einfach gehalten wird die Betreuung der Kühe. Sie werden viel sich selbst überlassen nach der Geburt. Man verlässt sich auf die Natur. Die ein oder andere Kuh verendet. Die Philosophi­e der Farmer in Neuseeland ist, ohne große Kosten – wie zum Beispiel Medikament­eneinsatz – zu produziere­n.

Die Farm wird nur mit vier Personen betrieben: Anthony Goodwright (28) ist der Chef und Besitzer der Farm, Jodie (23) ist das jüngste Mitglied. Hildegard (30) ist eine Bekanntsch­aft aus meinem Almsommer als Senner in Österreich – und ich als Neuling.

Wir melken 600 Kühe. Der Durchschni­tt pro Kuh und Tag liegt etwa bei 24 Kilogramm Milch. Die Kühe bekommen rund um die Uhr Weidegang und ein wenig Kraftfutte­r beim Melken. Der Milchpreis in Neuseeland liegt derzeit bei etwa 27 Cent pro Liter Milch. Produziert wird der Liter Milch mit nur etwa 15 Cent. Bestimmend beim Milchpreis sind vorwiegend die Inhaltssto­ffe der Milch.

Gemolken werden Kühe der Rasse Jersey – diese bringen einen hohen Fettgehalt in der Milch mit – und eine Kreuzungsr­asse zwischen Jersey und Frisian. Die Frisian, bekannt in unseren heimischen Stallanlag­en, sollen den Eiweißgeha­lt in der Milch und die Milchmenge steigern.

Ich kann die Zeit trotz SiebenTage-Woche und Regen genießen. Das Wetter ist nicht außergewöh­nlich, schließlic­h sind Juli, August und September in Neuseeland Wintermona­te.

Jetzt hoffe ich auf besseres Wetter Ende September, denn dann beginnt der Frühling und somit auch bald die Zeit, in der die Kühe wieder künstlich besamt werden.Ich habe einen Besamungsk­urs besucht und hoffe, meine Fertigkeit und Kenntnisse zu verbessern.

 ??  ?? Martin Homburg hat das Eichsfeld mit Neuseeland getauscht. Er arbeitet auf der Farm von Anthony Goodwright (links). Fotos (2): privat
Martin Homburg hat das Eichsfeld mit Neuseeland getauscht. Er arbeitet auf der Farm von Anthony Goodwright (links). Fotos (2): privat
 ??  ?? Dem Eichsfelde­r gefällt es in Neuseeland, denn dort gibt es auch manche Überraschu­ng.
Dem Eichsfelde­r gefällt es in Neuseeland, denn dort gibt es auch manche Überraschu­ng.

Newspapers in German

Newspapers from Germany