Thüringische Landeszeitung (Gera)
Österreichs historische Furcht vor den Türken
Die Völker und Staaten zwischen Österreich und Griechenland haben über Jahrhunderte hinweg unter der Herrschaft der muslimischen Osmanen gelebt. Wien war das Bollwerk: „Hinter Wien beginnt der Balkan und auf dem Balkan herrscht der Osmane.“Diese historische Konstellation hat sich tief in das Bewusstsein der Völker hinter Wien eingegraben und bestimmt den Drang zur nationalen Souveränität, zumal die den Osmanen in der Besetzung folgenden Habsburger mit ihrer zentralistischen Regulierungspolitik im Vielvölkerstaat auch nicht viel getan haben, um die sozial begründete nationale Emanzipation zu fördern. Ob man diese knifflige historische Gemengelage in Brüssel je verstehen wird?
Den Ruf, der letzte und wichtigste Stützpunkt des christlichen Abendlands gegen die expansive Macht des Osmanischen Reichs zu sein, hat sich Wien in zwei blutigen Belagerungen erworben. 1529 und 1683 standen die Türken vor Wien, nicht etwa in der Absicht, die katholischen Majestäten von der Vorzüglichkeit frisch gebrühten orientalischen Kaffees überzeugen zu wollen.
Die Belagerungen fanden im Abstand eines und eines halben Jahrhunderts statt und besaßen doch eine Gemeinsamkeit: In beiden Fällen fanden die wichtigsten christlichen Staaten zu einer zumindest fragilen gemeinsamen Abwehr der Angriffe zusammen. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass der osmanische Vormarsch durch innere dynastische Machtkämpfe, z.B. in Ungarn, gefördert wurde. Erst als Ungarn de facto ein osmanischer Vasallenstaat geworden war, marschierte der Sultan im September 1529 auf Wien vor. Es war und bleibt ungewiss, ob Sultan Süleyman tatsächlich mit Wien den „Goldenen Apfel“pflücken oder nur Ungarn vor den Habsburgern schützen wollte. Die Stände des Heiligen Römischen Reichs bewilligten denn auch trotz der dramatischen Schilderungen der Österreicher über angebliche Gräuel der Türken bei der Einnahme Ungarns nur be grenzte Geldmittel und Soldaten zur Abwehr der osmanischen Truppen.
Als sich am 17. September 1529 eine Belagerung Wiens abzeichnete, begann eine Massenflucht von Bürgern und Offiziellen aus der Stadt – zum Schaden für die ausharrenden Verteidiger. Bis zum 27. September schloss eine etwa zehnfache Mehrheit der Belagerer die Stadt ein. Verteidiger und Belagerer kämpften mit äußerster Erbitterung. Trotz der verzweifelten Lage in der Stadt konnten die Angreifer Wien nicht erobern und brachen die Belagerung Mitte Oktober ab.
Osmanen und Reichsfürsten erklärten sich jeweils zum Sieger. Weitere Angriffe Süleymans wurden abgewiesen, auch weil sich Kaiser Karl V. der Unterstützung durch die protestantischen Reichsstände versicherte und 1533 schloss man gar einen Friedensvertrag, in dem Ungarn zwischen den Habsburgern und den Osmanen aufgeteilt wurde! Dafür mussten also Tausende Türken und Deutsche bei der Belagerung Wiens sterben.
Zurück blieb die Legendenbildung. Die Osmanen, besonders grausam und eroberungssüchtig, waren nicht unbesiegbar! Martin Luther warnte schon damals, man dürfe die Türken nicht nur durch Kriege, sondern auch durch Buße „Gott aus der Hand nehmen“, der Krieg darf nicht religiös überhöht oder gar in einer Kreuzzugsidee verklärt werden.
Ideologie hin oder her, realpolitisch standen die Osmanen im Juli 1683 wieder vor Wien. Numerisch war das Kräfteverhältnis ähnlich dem von 1529. Dennoch gab es eine andere Situation. Die Stadt hatte sich befestigt und war auf eine Belagerung vorbereitet.
Rechtzeitig rückten Reichstruppen ein. Papst Innocenz XI. öffnete die Kassen des Vatikans ein wenig und vermittelte ein Bündnis zwischen dem Kaiser und dem König Jan Sobieski von Polen. Gemeinsam mir den deutschen Reichsfürsten sollte dessen Heer die Belagerung Wiens sprengen.
Wieder entbrannten schaurige Kämpfe, und die Lage der Verteidiger verschlechterte sich dramatisch. Erst in der Nacht vom 7. auf den 8. September 1683 marschierte das Entsatzheer im Rücken der Angreifer auf dem Kahlenberg auf: 75 000 Polen, Sachsen oder auch Brandenburger schlugen den überraschten Kara Mustafa in die Flucht.
Polens König Sobieski rettete das Abendland vor der Islamisierung – in Wien. Er wusste, wem er diesen Sieg verdankte. Wien galt als für alle Zeiten von der Türkengefahr befreit.
Das war eine kühne Prognose.