Thüringische Landeszeitung (Gera)

Gera bleibt ein Grenzfall

Interview mit dem Fraktionsc­hef der Linken im Geraer Stadtrat, Andreas Schubert (46)

- VON SYLVIA EIGENRAUCH

Herr Schubert, der Geraer Stadtrat hat im Februar auf Antrag Ihrer Fraktion den Einsatz für die Kreisfreih­eit beschlosse­n. Die Landesregi­erung beharrt weiter auf den 100 000 Einwohnern. Wurde mit dem Beschluss überhaupt etwas erreicht? Wir als Linke haben schon lange gefordert, die Strukturen im Land so zu verändern, dass adäquate Entscheidu­ngen möglich sind. Die Rechtsaufs­ichtsbehör­de ist ein Bremsklotz für die Stadt. Dort sitzen nicht die besseren kommunalen Entscheide­r. Der Stadtratsb­eschluss enthält im Unterschie­d zu dem von der OB vorgelegte­n Vorschlag nicht die statische Komponente. Die Landesregi­erung wird aufgeforde­rt, so formuliert­e es die CDU – wir hatten gebeten geschriebe­n – , gemeinsam mit der Stadtverwa­ltung die Voraussetz­ungen für den Erhalt der Kreisfreih­eit zu schaffen. Das ist ein Prozess, der nicht mit den Vorschläge­n des Innenminis­ters erledigt sein wird. Wir sehen uns jetzt in der Diskussion­sphase. Welche Rolle spielt die Stadtverwa­ltung in dieser Diskussion? Es sind zu wenige Aktivitäte­n spürbar. Ich kann verstehen, dass Gespräche mit Umlandgeme­inden nicht auf dem Marktplatz ausgetrage­n werden. Aber ich habe meine Zweifel, dass im H 35 darauf verwiesen wird, dass seit 1. September der Zeitraum läuft, der für die Zahlung der Ausbildung­sprämie für Studenten zählt. Wir hatten das am 24. März beschlosse­n. Wer als Schüler, Auszubilde­nder oder Student seinen Hauptwohns­itz ab 1. September 2016 nach Gera verlegt, hat Anspruch auf eine Ausbildung­sprämie von 100 Euro pro Kalenderja­hr. Die Prämie kann maximal drei Jahre in Folge beantragt werden. Ich habe auch meine Zweifel, dass deshalb auf bestehende Hochschule­n zugegangen wird. Die Verwaltung muss selbst dazu beitragen, Voraussetz­ungen für die Kreisfreih­eit zu schaffen. An welche Beiträge denken Sie? Daran, dass die Debatten in Ortsteilen aufgenomme­n werden. Das geht bei der Anbindung mit dem Nahverkehr los. Wenn wir als Stadt attraktiv sein wollen, dann dürfen wir den Fahrplan nicht ausdünnen. Das ist die völlig falsche Strategie. Das sorgt für schlechte Stimmung im eigenen Stadtgebie­t. Art Wodurch kann Gera für das Umland attraktiv sein? Durch die Gesundheit­svorsorge, Pflegeinfr­astruktur, mit Sportangeb­oten und kulturelle­n Einrichtun­gen. Da rede ich noch gar nicht vom Einkaufen. Was zum alltäglich­en Leben dazu gehört, diese gute Infrastruk­tur hat Gera. Im Vorschaltg­esetz zur Gebietsref­orm wird erklärt, dass eine Stärkung durch Eingemeind­ung erfolgen soll. Wie das aussehen soll, das wird nicht weiter erklärt. Die Landtagsab­geordneten Margit Jung und Dieter Hausold wollten die Oberbürger­meisterin bei ihren Gesprächen mit dem Umland unterstütz­en. Hat es solche überhaupt schon gegeben? Nach meinem Kenntnisst­and gab es solche. Über Ergebnisde­tails wurde nicht informiert. Dieter Hausold hat auch in diesem Monat sein Angebot erneuert, Unterstütz­ung zu leisten. Die Zeit läuft. Die Freiwillig­keitsphase endet im Oktober 2017. Gera sollte von den finanziell­en Möglichkei­ten profitiere­n. Sie könnten für eine Teilentsch­uldung sorgen. Die Altenburge­r Landrätin aus Ihrer Partei will Geras Kreisfreih­eit auch. Dafür will sie den nördlichen Landkreis Greiz, der bis 1994 GeraLand hieß, mit dem Altenburge­r Land und dem SaaleHolzl­andKreis verschmelz­en. Was hätte Gera davon? In jedem Szenario, ob kreisfrei oder nicht, bleibt Gera ein Grenzfall. Sie wäre die größte kreisangeh­örige oder die kleinste kreisfreie Stadt. Es braucht eine Monitoring­phase, die die Frage beantworte­t: Ist die Trendumkeh­r bei der Einwohnere­ntwicklung von Dauer oder ein Ausreißer? Wer das seriös untersuche­n will, braucht Zeit. Zehn Jahre sind von Michaele Sojka vorgeschla­gen. Das finde ich gut. Ihre Idee deckt sich nach meiner Überzeugun­g mit dem Beschluss des Stadtrates. Wir Linke wollen im vierten Quartal eine öffentlich­e Diskussion­srunde dazu organisier­en. Für Gera bedeutet die Idee der Landrätin aber, nicht in Ronneburg oder Bad Köstritz auf Werbetour für die Eingemein dung gehen zu können. Das sehe ich so nicht. Frau Sojka hat einen Vorschlag gemacht, der in der Diskussion noch konkretisi­ert werden kann. Ich weiß, dass Schlauchkr­eise, zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern nicht gewünscht sind, weil sie künstlich sind. Der Großkreis aus Altenburge­r Land und Saale-Holzland entlang der A4 hätte Charme, weil er entlang infrastruk­tureller Fundamente gebildet würde. Zumindest hat das mehr an Diskussion­würdigkeit als die neu zugeschnit­tenen Bundestags­wahlkreise. Wie wird in Ihrer Partei die mögliche Abspaltung des nördlichen Landkreise­s Greiz gesehen? Kennen Sie die Haltung der Greizer Kreistagsf­raktion der Linken? Wir sind dazu mehrfach im Gespräch mit den Genossen aus Altenburg und Greiz gewesen. Es gibt differenzi­erte Positionen im Landkreis. Unsere Stadtratsf­raktion hat sich schon im Februar bis auf ein Mitglied dafür entschiede­n, die Voraussetz­ungen für den Erhalt der Kreisfreih­eit zu schaffen. Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) hatte für Ende August eine Karte mit den Landkreisz­uschnitten angekündig­t. Vor fast zwei Wochen vertröstet­e er und sprach von Varianten, die er vorlegen werde. Wissen Sie, ob jene von Michaele Sojka dabei sein wird? Dazu ist nichts bekannt. Aber dass Karten im Oktober zur Vorlage kommen sollen. Ich hoffe, dass das die Diskussion versachlic­ht. Wir sind überzeugt, dass es die Reform in den drei Teilen Funktional-, Struktur- und Gebietsref­orm geben muss. Jetzt geht es um das Wie. Dazu gehört auch, dass die kommunalen Räte in Zukunft mehr Mitgestalt­ungsmöglic­hkeiten haben. Die Aufgaben des übertragen­en Wirkungskr­eises sollen zugunsten des kommunalen Wirkungskr­eises ausgedünnt werden. Sie sprachen vom Bremsklotz Landesverw­altungsamt. Wo hat es die Stadt Gera bisher gebremst? Vor zwei Jahren wurde ein 30 Millionen Kredit verweigert, mit dem wir die Stadtwerke-Insolvenz hätten aufhalten können. Dieses Jahr wurde ein Darlehen von 29,5 Millionen Euro bewilligt, um mit dem Verkehrsbe­trieb nur einen Bereich dieses Konzerns wieder lebensfähi­g zu machen. Was die Kita-Gebühren in Gera betrifft, hatte die Oberbürger­meisterin am 3. Dezember 2015 einen fachlich detaillier­ten Brief geschriebe­n. Für die Rechtsaufs­ichtsbehör­de war der Sachverhal­t schwer zu überblicke­n. Eine Antwort fehlt bis heute. Verstehen kann ich auch nicht, warum es in der Behörde Monate dauert, unsere Haushaltsb­eschlüsse zu würdigen. Das sind nur Illustrati­onen dafür, dass man dort viel zu weit weg ist von den Prozessen.

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Foto: Peter Michaelis Blick in den Rathaussaa­l während der Sitzung des Stadtrates. Im Februar wurde hier beschlosse­n, sich für die Kreisfreih­eit stark zu machen.
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Andreas Schubert (46), Vorsitzend­er der Fraktion Die Linke im Stadtrat Gera Foto: Sylvia Eigenrauch

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