Thüringische Landeszeitung (Gera)
Attacke auf Muslime
In London rast ein Kleinlaster in eine Menschenmenge vor einer Moschee in London – 47Jähriger festgenommen
LONDON. Die Briten kommen nicht zur Ruhe. Der vierte Terroranschlag in drei Monaten hat das Land in der Nacht zum Montag heimgesucht. Ein Mann in einem Kleinlaster raste in eine Menschenmenge in Finsbury Park in Nord-London. Ein Toter und zehn Verletzte sind die Folge. Noch in der Nacht erklärt Premierministerin Theresa May den Vorfall zu einer Terrortat.
Der Anschlag ereignete sich kurz nach Mitternacht am Montagmorgen im Stadtteil Finsbury Park. Hier gibt es drei Moscheen nahe beieinander. Dort hatte man gerade die späten Gebete nach dem täglichen Fastenende im Ramadan beendet, viele Muslime waren auf den Straßen. Plötzlich brach ein älterer Mann zusammen, offenbar ein Herzinfarkt. Das war der Moment, in dem der Anschlag passierte.
Augenzeuge Mohammed Abdullah beschrieb danach, was geschah. „Er hat es absichtlich getan. Ich war auf meinem Fahrrad drei Wagen hinter dem Kleinlaster, der auf die Busspur fuhr. Dann bog er scharf links ab, in diese Sackgasse, in die man eigentlich gar nicht reinfahren darf. Er raste in die Leute hinein.“Der Laster wurde durch Poller gestoppt, der Fahrer sprang heraus und wurde von aufgebrachten Muslimen festgehalten und zu Boden geworfen. Augenzeuge Khalid Amin berichtete, dass der Fahrer gerufen habe: „Ich will Muslime töten, ich will alle Muslime töten.“
Der erste Alarm bei der Polizei ging um 0.21 Uhr ein, die ersten Beamten waren in weniger als zehn Minuten am Tatort. Der Imam Mohammed Mahmoud konnte bis dahin verhindern, dass der Täter von der wütenden Menschenmenge attackiert wurde. „Rührt ihn nicht an“, soll er Männern zugerufen haben, die auf den Täter einzuschlagen begannen. Toufik Kacimi sagte danach dem TV-Sender Sky News: „Unser Imam hat dem Mann das Leben gerettet. Der Täter sagte: ‚Ich habe meinen Teil getan.‘“
Die Polizei nahm den 47-Jährigen fest, nach britischen Medienberichten handelt es sich um Darren O. aus dem walisischen Cardiff. Die Polizei gehe davon aus, dass er allein gehandelt habe.
Noch auf dem Bürgersteig der Whadcoat Street verstarb der ältere Mann, ob an dem Herzanfall oder dem Zusammenstoß mit dem Kleinlaster, bleibt unklar. Zehn Menschen sind verletzt, sieben von ihnen kommen ins Krankenhaus. Nahe des Tatorts befindet sich auch die Finsbury-Park-Moschee, die Anfang der 2000er-Jahre wegen des Hasspredigers Abu Hamza alMasri Schlagzeilen machte.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan, selbst Muslim, mahnte nach dem Anschlag, der offensichtlich gezielt auf die muslimische Gemeinde gerichtet war, zu Ruhe: „Terrorismus ist Terrorismus, ob er nun von Islamismus gespeist wird oder von anderen Formen der ,Inspiration‘ ausgeht.“Der Muslim Council of Britain, ein Dachverband britischer Muslime, verurteilte den Anschlag als die „bis jetzt gewalttätigste Manifestation“von Angriffen auf Muslime.
Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick kündigte an, mehr Beamte einzusetzen – auch an muslimischen Einrichtungen. Nach dem Terroranschlag vom 3. Juni auf der London Bridge kam es drei Tage später zu 20 islamfeindlichen Übergriffen – sechsmal so viele wie sonst.
Die Stimmung in Finsbury Park war gestern angespannt. Viele Muslime fühlen sich unsicher, weil sie zum Ziel von Terroristen wurden. Andere fühlen sich selbst unter Generalverdacht. „Solch ein Anschlag wird die Spaltung in unserer Gesellschaft nur noch erhöhen“, sagte eine junge Muslimin. „Ich erfahre es doch selbst jeden Tag, wenn ich die Blicke von Leuten im Bus sehe.“
Am Tatort sind am Tag danach aber auch Zeichen der Solidarität und der Anteilnahme zu sehen. Rabbi Herschel Gluck eilte aus Stamford Hill, einem Zentrum des ultraorthodoxen Judentums, herbei. „Wir haben hier sehr gute Beziehungen zwischen den Gemeinden“, sagte er. Alice, eine Frau, die seit 27 Jahren im Viertel wohnt, trug ein TShirt mit der Aufschrift „Nicht in meinem Namen“. In der Hand hielt sie ein Poster mit der Aufschrift: „Lasst unsere muslimischen Nachbarn in Ruhe.“
Premierministerin Theresa May unterstrich die Botschaft der Solidarität. „Dieser Anschlag“, sagte sie vor ihrem Amtssitz, „will uns als Gesellschaft spalten. Wir werden dies nicht zulassen.“Auch die Bundesregierung reagierte entsetzt.