Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ein Kanonenkracher im Schlosshof
Das Nordhäuser Theater verabschiedet sich openair mit einer köstlichen „Zar und Zimmermann“Produktion von der Spielzeit
SONDERSHAUSEN. Dunkles Gewölk dräut über Sondershäuser Gestaden, doch unverdrossen arbeiten die Schiffszimmerleut‘ an der kleinen Fregatte in einem Winkel des Burghofs, damit der Zar heimsegeln kann. Sie wissen, dass der Himmel meist gnädig ist mit den Schlossfestspielen; also hämmern, hobeln und sägen sie nach choreografierter Herzenslust. Dabei fällt nicht ein einziger Span, denn die Nordhäuser Ensembles spielen freiluftig Lortzing in braver Biedermeierlichkeit. Das macht aber nichts – als schieres Vergnügen.
Das putzige Drama von „Zar und Zimmermann“scheint wie ein vorgezogener Urlaub in beschaulichem Mittelmaß und im holländischen Saardam, dem Ort der Handlung. Zu diesem Zweck bietet das Regieteam um Anette Leistenschneider auf, was uns an gutnachbarschaftlichen Klischees so in den Sinn kommt: Die Ausstatter Karel Spanhak (Bühne) und Ulli Kremer (Kostüme) sparen weder mit folkloristischer Trachtennoch Tulpenpracht, zeigen blondzopfige Meisjes unter geklöppelten Hauben – wie von Delfter Kacheln abgepaust – und die florale Symbolik mal als oranjefarbenen Strauß, mal als Rabatte, dem Zaren zuliebe, in den russischen Farben. Ballettchef Ivan Alboresi steuert den perkussionistisch kuriosesten Holzschuhtanz bei, der je aufs lokale Parkett gesteppt wurde. Die Witwe Browe (Uta Haase) als guter Geist mit RotkreuzTäschchen kann sogar mit der Axt operieren, lässt Käselaibe durch die Reihen rollen, und einmal – zur Hochzeit Hendriks und Hendrikes – wird schamlos gekifft (obzwar, der Harmlosigkeit halber, die Lunte nicht brennt). Das passt alles prima.
So nimmt das Verwechslungsspiel um den echten und falschen Peter – den Zaren inkognito und einen russischen Deserteur – seinen Lauf. Unter die volkstümliche Schar auf der Bühne mischen sich hochpolitische Emissäre: Der Brite im Schottenrock gibt sich, da von Chao Deng gegeben, als schrulliger Lord aus Hongkong aus, und der Marquis von der Konkurrenz (Angelos Samartzis) spreizt sich auf das köstlichste vor franzmännischer Noblesse und Galanterie, wirft Handküsschen nach Belieben und bringt die kesse Bürgermeisternichte Marie, die dem anderen Peter versprochen ist, in erotische Glut.
Marie führt ihren Verlobten genüsslich am Bart
Marie (Leonor Amaral), als Objekt allgemeiner Begierde, führt ihren eifersüchtigen Verlobten am Bart, tändelt mit Tulpen und singt im oranjeflammenden Kleid ein Brautlied auf dem Tisch, dass man für einen Moment glaubt, sie sei Carmen. Dagegen strotzt der Bürgermeister-Buffo van Bett (Michael Tews) mit imposantem Obrigkeitsschnäuzer derart vor tumber Selbstgefälligkeit, dass die beiden Peter es schwer haben, gegen solche Rollenklischees Profil zu gewinnen: Der eine, der Autokrat (Manos Kia), changiert geschickt zwischen aufgeklärter Menschenfreundlichkeit und machtstrategischer Gewaltbereitschaft, der andere (Marian Kalus) verhält sich in aufrichtiger Artigkeit. Simpel indes ist eine musikalische Gesellschaftskomödie der Lortzingschen Machart, deren Dialoge Leistenschneider modernisiert und mit adäquater Situationskomik gewürzt hat, keineswegs für die Künstler. Sie erfordert zwar keine übermäßige Virtuosenbrillanz, jedoch, um nicht ins Schmierig-Klamaukige abzugleiten, die vornehmste Tugend: Disziplin. Ergo muss sich die junge, vor Spielwitz schäumende Solistenriege ein wenig zügeln; der Reiz für den bürgerlichen Betrachter beruht ja in der Andeutung, dass man zu Grenzüberschreitungen fähig wäre – ohne dass sie vollzogen würden. Das Wohlklang-Fundament dazu bilden Generalmusikdirektor Michael Helmrath und das Loh-Orchester, indem sie souverän im Mezzoforte mit rösch-beschwingten Tempi auf der Hinterbühne – ohne direkten Sichtkontakt zur Szene – musizieren.
So gelingt „Zar und Zimmermann“dank der Leistungen aller Beteiligter zu einem famosen Lob des Handwerks. Das ist liebevoll gemacht, kein bisschen überkandidelt und so apart und leichtfüßig ironisiert, dass nur ein Tropf darob nicht amüsiert wäre. Die geheime Schlüsselszene jedoch bildet van Betts Kantatenprobe. Denn wer die jungen Protagonisten aus der Nordhäuser Rohdiamanten-Riege perspektivisch für staatstheaterwürdig empfindet, fühlt sich von einer Pausennachricht bestätigt: Angelos Samartzis, der, sofern er sich mit Sorgfalt und Augenmaß weiter entwickelt, das Zeug zum ganz Großen hat, wechselt nach nur einer Saison gen Saarbrücken.
Es ist also seine letzte Premiere – wie schade! – im Thüringischen gewesen. Doch ein junger Sänger, der, um zu bleiben, gekommen wäre, wäre hier falsch. So lässt am Ende die Fregatte im Schlosshof von Saardam-Sondershausen ihre Bug-Kanonen noch einmal krachen: Man sticht in See, wirft freigiebig Handküsschen zum Abschied. Und freut sich auf den Zauber eines neuen Anfangs, der am Ende der Spielzeit sogar einer biederen Lortzing-Oper innewohnt.