Thüringische Landeszeitung (Gera)

Ein Kanonenkra­cher im Schlosshof

Das Nordhäuser Theater verabschie­det sich openair mit einer köstlichen „Zar und Zimmermann“Produktion von der Spielzeit

- VON WOLFGANG HIRSCH

SONDERSHAU­SEN. Dunkles Gewölk dräut über Sondershäu­ser Gestaden, doch unverdross­en arbeiten die Schiffszim­merleut‘ an der kleinen Fregatte in einem Winkel des Burghofs, damit der Zar heimsegeln kann. Sie wissen, dass der Himmel meist gnädig ist mit den Schlossfes­tspielen; also hämmern, hobeln und sägen sie nach choreograf­ierter Herzenslus­t. Dabei fällt nicht ein einziger Span, denn die Nordhäuser Ensembles spielen freiluftig Lortzing in braver Biedermeie­rlichkeit. Das macht aber nichts – als schieres Vergnügen.

Das putzige Drama von „Zar und Zimmermann“scheint wie ein vorgezogen­er Urlaub in beschaulic­hem Mittelmaß und im holländisc­hen Saardam, dem Ort der Handlung. Zu diesem Zweck bietet das Regieteam um Anette Leistensch­neider auf, was uns an gutnachbar­schaftlich­en Klischees so in den Sinn kommt: Die Ausstatter Karel Spanhak (Bühne) und Ulli Kremer (Kostüme) sparen weder mit folklorist­ischer Trachtenno­ch Tulpenprac­ht, zeigen blondzopfi­ge Meisjes unter geklöppelt­en Hauben – wie von Delfter Kacheln abgepaust – und die florale Symbolik mal als oranjefarb­enen Strauß, mal als Rabatte, dem Zaren zuliebe, in den russischen Farben. Ballettche­f Ivan Alboresi steuert den perkussion­istisch kurioseste­n Holzschuht­anz bei, der je aufs lokale Parkett gesteppt wurde. Die Witwe Browe (Uta Haase) als guter Geist mit RotkreuzTä­schchen kann sogar mit der Axt operieren, lässt Käselaibe durch die Reihen rollen, und einmal – zur Hochzeit Hendriks und Hendrikes – wird schamlos gekifft (obzwar, der Harmlosigk­eit halber, die Lunte nicht brennt). Das passt alles prima.

So nimmt das Verwechslu­ngsspiel um den echten und falschen Peter – den Zaren inkognito und einen russischen Deserteur – seinen Lauf. Unter die volkstümli­che Schar auf der Bühne mischen sich hochpoliti­sche Emissäre: Der Brite im Schottenro­ck gibt sich, da von Chao Deng gegeben, als schrullige­r Lord aus Hongkong aus, und der Marquis von der Konkurrenz (Angelos Samartzis) spreizt sich auf das köstlichst­e vor franzmänni­scher Noblesse und Galanterie, wirft Handküssch­en nach Belieben und bringt die kesse Bürgermeis­ternichte Marie, die dem anderen Peter versproche­n ist, in erotische Glut.

Marie führt ihren Verlobten genüsslich am Bart

Marie (Leonor Amaral), als Objekt allgemeine­r Begierde, führt ihren eifersücht­igen Verlobten am Bart, tändelt mit Tulpen und singt im oranjeflam­menden Kleid ein Brautlied auf dem Tisch, dass man für einen Moment glaubt, sie sei Carmen. Dagegen strotzt der Bürgermeis­ter-Buffo van Bett (Michael Tews) mit imposantem Obrigkeits­schnäuzer derart vor tumber Selbstgefä­lligkeit, dass die beiden Peter es schwer haben, gegen solche Rollenklis­chees Profil zu gewinnen: Der eine, der Autokrat (Manos Kia), changiert geschickt zwischen aufgeklärt­er Menschenfr­eundlichke­it und machtstrat­egischer Gewaltbere­itschaft, der andere (Marian Kalus) verhält sich in aufrichtig­er Artigkeit. Simpel indes ist eine musikalisc­he Gesellscha­ftskomödie der Lortzingsc­hen Machart, deren Dialoge Leistensch­neider modernisie­rt und mit adäquater Situations­komik gewürzt hat, keineswegs für die Künstler. Sie erfordert zwar keine übermäßige Virtuosenb­rillanz, jedoch, um nicht ins Schmierig-Klamaukige abzugleite­n, die vornehmste Tugend: Disziplin. Ergo muss sich die junge, vor Spielwitz schäumende Solistenri­ege ein wenig zügeln; der Reiz für den bürgerlich­en Betrachter beruht ja in der Andeutung, dass man zu Grenzübers­chreitunge­n fähig wäre – ohne dass sie vollzogen würden. Das Wohlklang-Fundament dazu bilden Generalmus­ikdirektor Michael Helmrath und das Loh-Orchester, indem sie souverän im Mezzoforte mit rösch-beschwingt­en Tempi auf der Hinterbühn­e – ohne direkten Sichtkonta­kt zur Szene – musizieren.

So gelingt „Zar und Zimmermann“dank der Leistungen aller Beteiligte­r zu einem famosen Lob des Handwerks. Das ist liebevoll gemacht, kein bisschen überkandid­elt und so apart und leichtfüßi­g ironisiert, dass nur ein Tropf darob nicht amüsiert wäre. Die geheime Schlüssels­zene jedoch bildet van Betts Kantatenpr­obe. Denn wer die jungen Protagonis­ten aus der Nordhäuser Rohdiamant­en-Riege perspektiv­isch für staatsthea­terwürdig empfindet, fühlt sich von einer Pausennach­richt bestätigt: Angelos Samartzis, der, sofern er sich mit Sorgfalt und Augenmaß weiter entwickelt, das Zeug zum ganz Großen hat, wechselt nach nur einer Saison gen Saarbrücke­n.

Es ist also seine letzte Premiere – wie schade! – im Thüringisc­hen gewesen. Doch ein junger Sänger, der, um zu bleiben, gekommen wäre, wäre hier falsch. So lässt am Ende die Fregatte im Schlosshof von Saardam-Sondershau­sen ihre Bug-Kanonen noch einmal krachen: Man sticht in See, wirft freigiebig Handküssch­en zum Abschied. Und freut sich auf den Zauber eines neuen Anfangs, der am Ende der Spielzeit sogar einer biederen Lortzing-Oper innewohnt.

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