Thüringische Landeszeitung (Gera)

Wie viele Opfer sind es wirklich?

Polizei spricht von mindestens 79 Toten nach dem Feuer in London – Anwohner befürchten Schlimmere­s

- VON SÖREN KITTEL

LONDON/BERLIN. Daniel Renwick hat in den vergangene­n Nächten kaum geschlafen. Der 29 Jahre alte Jugendhelf­er war das ganze Wochenende immer wieder vor dem Haus im Norden Kensington­s, dessen Brand sein Leben für immer verändert hat. Er hat mit Trauernden Kerzen aufgestell­t, mit ihnen demonstrie­rt und einige von ihnen auch umarmt, weil sie geweint haben. „Ich weiß einfach“, sagt er, „dass viele Menschen, die ich früher täglich gesehen habe, jetzt tot sind.“Doch wie viele genau gestorben sind, ist noch offen.

Am Montag, fast eine Woche später, korrigiert Stuart Cundy von Scotland Yard die bisherigen Zahlen. Mindestens 79 Tote seien zu beklagen, sagt Cundy, das schließe die Zahl der für tot befundenen Zivilisten mit ein. Doch auch diese Zahl könnte noch weiter steigen.

Viele Bewohner wurden im Schlaf überrascht

Das Feuer hatte sich in der Nacht zum Mittwoch vergangene­r Woche im ganzen Grenfell Tower ausgebreit­et, hatte viele Menschen im Schlaf überrascht. Identifizi­ert seien davon jedoch bisher nur fünf Opfer. Wegen der starken Verbrennun­gen sei diese Arbeit so schwer. Die Behörden veröffentl­ichten am Montag aktuelle Bilder aus dem Hochhaus, die verdeutlic­hen, wie schwierig die Arbeiten in dem ausgebrann­ten Haus sind. An der Hauswand des Grenfell Towers hängen noch immer viele Transparen­te. Dort findet sich die Frage nach den genauen Zahlen. Daniel Renwick hat wie andere Anwohner auch seine eigene Theorie entwickelt: „Ich weiß, wie die Wohnungen von innen aussahen. In vielen der 120 Apartments haben drei oder vier Menschen gewohnt.“Weil derart viele Menschen so improvisie­rt lebten, wurde das Gebäude auch „vertikaler Slum“genannt. „Außerdem waren viele der Bewohner illegal hier, nicht registrier­t.“Selbst jetzt, nach dem Unglück, melden sich Überlebend­e nicht bei den Behörden, weil sie eine Abschiebun­g oder Gefängniss­trafe fürchten.

An ihnen geht dann auch die Soforthilf­e von fünf Millionen Pfund vorbei, die Premiermin­isterin Theresa May den Opfern zugesicher­t hat. 500 Pfund sollen sich einige der Opfer sofort abholen können. Doch nicht alle werden so erreicht. Umliegende Anwohner haben einige Bewohner aufgenomme­n, aber nach wie vor wissen die wenigsten, wie es weitergehe­n soll.

Sowohl die Behörden als auch das zuständige Bauunterne­hmen waren nach dem Brand in die Kritik geraten. Einige Bewohner hatten seit Jahren versucht, etwas gegen die Brandschut­zprobleme des Hochhauses zu unternehme­n. Als „Grenfell Action Group“schrieben sie Politiker und Vermieter an. Erst im November 2016 veröffentl­ichten sie einen Eintrag mit dem Satz: „Nur eine Katastroph­e wird die Inkompeten­z der Vermieter offenlegen.“

Am Montag hat die ganze Millionens­tadt London der Opfer gedacht. Um Punkt 11 Uhr Ortszeit wurde eine Schweigemi­nute in allen öffentlich­en Gebäuden abgehalten.

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Mit vielen Kerzen und einigen Bildern versuchen die Menschen im Londoner Stadtteil North Kensington, das schwere Brandunglü­ck zu verarbeite­n. Foto: Action press / Emerson Utracik / REX / Shuttersto­ck
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Die Wohnungen ähneln einer Trümmerlan­dschaft, wie die Fotos der Polizei zeigen. Foto: DDP / Getty
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Daniel Renwick – Helfer vom Grenfell-TowerBrand­Foto: privat

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