Thüringische Landeszeitung (Gera)
Bei den DFB-Frauen kommt es mehr denn je auf den Abschluss an
Bis zum Spiel gegen Russland am Dienstag muss die Nationalmannschaft bei der FußballEM ihr größtes Problem lösen
SINTMICHIELSGESTEL. Das putzige Kleinod für sportliche Abwechslung liegt nicht weit entfernt vom deutschen Teamquartier. Hinter dem großen Zufahrtstor links auf die Ruwenbergstraat von Sint-Michielsgestel, an einer Kneipe und Tankstelle vorbei, dann wieder links in die schmalere Kapellbergstraat: Hier sind auf einem frisch gemähten Rasen Fußballtore aufgestellt, im Sand stecken Kleinfeldtore und auf einem Gummiplatz stehen Handballtore. Darüber hängen zwei Basketballkörbe, auf die Lina Magull, Hasret Kayikci und Co. am Wochenende muntere Zweigegen-Zwei-Spielchen veranstaltet haben, um sich ein bisschen abzuwechseln. In dem Video, welches die DFB-Frauen über ihr Facebook-Profil öffentlich gemacht haben, sind Volltreffer aus allen Lagen verewigt. Es geht also doch. Problem nur: Der Ball muss bei den deutschen Fußballerinnen eigentlich ins Tor. Und nicht in den Korb. Und das scheint bei der FrauenEM in den Niederlanden das Kardinalproblem. Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Russland am Dienstag (20.45 Uhr/ ZDF) ist Steffi Jones bei allem Vertrauen in ihre Mannschaft um die in Weimar geborene Anna Blässe an einem Punkt angelangt, an dem die Bundestrainerin unmissverständlich gesagt hat: „Es reicht aber nicht – Tore müssen wir schießen.“Ein klarer Erfolg soll und muss nun helfen. Die schärfere Tonart war schon nach der „emotionalen Fahrt“(Jones) beim 2:1-Arbeitssieg gegen Italien unüberhörbar. Die 44-Jährige rätselt über so viel Wankelmütigkeit und so wenig Selbstvertrauen. Warum löste die Überzahl für die Schlussphase bloß so viel Hektik aus wie der Fuchs, der in den Hühnerstall einbricht?
„Wir müssen daraus lernen, sonst wird es schwer, unsere Ziele zu erreichen. Wir müssen souveräner spielen“, mahnte die Trainerin. In der aktuellen Verfassung mit Phasen der allgemeinen Verunsicherung könnte der Traum vom neunten EM-Titel schnell platzen. Etwa in einem ersten K.o.-Duell gegen den Gastgeber Niederlande, den euphorisierten „Oranje Leeuwinnen“. Weshalb es morgen gegen Russland mehr denn je auf den Abschluss ankommt. Ein Remis reicht zum Weiterkommen, aber im Fernduell mit Schweden um den Gruppensieg entscheidet mutmaßlich das Torverhältnis. „Der Knoten muss platzen“, hat Mannschaftsführerin Dzsenifer Marozsan gefordert.
Zur Befreiung braucht es nach Meinung der führenden Köpfe gegen die Italien-Kopie Russland (Jones: „Spielen genauso körperbetont und stehen so tief“) kein anderes System – obwohl die Trainerin ihre 4-4-2Wunschformation mit Mittelfeldraute am Freitag alsbald in ein 4-3-3 verwandelte. „Natürlich ist das ein sehr mutiges System, aber wir haben begnadete Spielerinnen: Wir sind davon überzeugt“, insistierte Peter.
Die Problemzonen bei den DFB-Frauen sind offensichtlich: Es gibt keine Ausnahmestürmerin, wie es beim EM-Titel
2009 noch Birgit Prinz und beim EM-Triumph 2013 Celia Sasic waren. Es fehlen die Automatismen in der neuen Grundordnung, die nicht über einen längeren Zeitraum mit einem Stammpersonal eingespielt werden konnte. Und mangelt es auch an prägenden Persönlichkeiten, die in Krisenzeiten vorangehen?
Fast manisch wehrte sich die in die Führungsrolle gedrängte Marozsan gegen jede Parallele von vor vier Jahren. In Schweden hatten nach einer holprigen Vorrunde die Meinungsmacher Nadine Angerer und Saskia Bartusiak auf der Urlaubsinsel Öland eine Aussprache angestoßen,
Marozsan: „Der Knoten muss platzen“
um die alte und junge Garde zusammenzubringen. Ohne die damalige Trainerin Silvia Neid. Die Vergangenheit tauge angeblich nicht als Vorbild für die Gegenwart. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir sind eine ganz anders zusammengestellte Mannschaft“, entgegnete die Kapitänin Marozsan, die derzeit auf dem Platz genug zu tun hat, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden.
Auch die Torschützinnen aus dem Italien-Spiel stemmten sich gegen jede Grundsatzdebatte. „Jede von den Mädels will zu 100 Prozent“, erklärte Josephine Henning. Darüber soll beim gemeinsamen Abendessen am Samstagabend Einigkeit bestanden haben. Oder wie es Abwehrkollegin Peter formulierte: „Das Glas ist für mich halbvoll.“Nicht halbleer. Der 29-Jährige erlebt bei ihrem siebten großen Turnier nach eigener Aussage „Déjà-vu-Gefühle“. Denn: „Wir werden von außen kritisiert, aber am Ende waren wir immer erfolgreich. Wir sind optimistisch, dass das so bleibt.“