Thüringische Landeszeitung (Gera)
Effektiver und dabei nicht tödlich? Bewaffnung wirft Fragen auf
Das Innenministerium sperrt sich zwar gegen die Diskussion – doch solche Technik kann ganz einfach gekauft werden
ERFURT. Während manche Thüringer Polizisten gar keinen Hehl daraus machen, dass sie eine „Fähigkeitenlücke“bei ihrer Bewaffnung sehen, ist das Thüringer Innenministerium erkennbar bemüht, erst gar keine Diskussion über bessere – was meint: effektivere – nicht-tödliche Waffen im Dienst des Staates aufkommen zu lassen. „Eine Fähigkeitenlücke besteht nicht“, sagt ein Sprecher des Ministeriums, das vom Sozialdemokraten Holger Poppenhäger geleitet wird. „Die einzelnen Bereiche der Thüringer Polizei sind gemäß den ihnen zugewiesenen Aufgaben mit den erforderlichen und geeigneten Einsatzmitteln zur Anwendung von unmittelbarem Zwang ausgestattet.“ Das meint: In den Spezialeinheiten des Landeskriminalamtes gibt es durchaus nicht-tödliche Waffen, die Streifenpolizisten ebenso wenig zur Verfügung stehen wie geschlossenen Polizeieinheiten. Welche Technik das genau ist, dazu hüllt sich das Ministerium in Schweigen. Dafür heißt es aus dem Ministerium ganz klar, dass nach den derzeitigen Plänen die Mehrzahl der nicht-tödlichen Waffen nicht eingeführt werden soll, die sich so mancher Polizist im Freistaat für Einsatzlagen wie in Hamburg wünscht. Gummigeschosse? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, sagt ein Sprecher des Ministerium. Pepperball-Geschosse? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, sagt der gleiche Sprecher. Taser, also Elektroschock-Pistolen? „Eine Einführung ist derzeit nicht vorgesehen“, wiederholt er.
Nur eine Waffe, die mancher Polizist für sehr wirksam hält, ist nach seinen Angaben derzeit sowohl technisch als auch rechtlich schon möglich, auch wenn sie seit Längerem nicht mehr eingesetzt worden ist: Wasserwerfer, die statt normalem Wasser eine Flüssigkeit sprühen, die Reizstoffe enthält. Das bedeutet, dass diejenigen, gegen die Wasserwerfer eingesetzt werden, nicht nur nass werden, sondern auch mit einem äußerst unangenehmen Brennen in den Augen und der Nase zu tun haben – und insofern zu weiterem Protest oder Kampf nicht fähig sind. Es ist nicht so, dass in der Diskussion um effektivere nichttödliche Waffen für die Polizei auf der einen Seite geschlossen Polizisten sowie deren Lobbyisten und auf der anderen Seite geschlossen Vertreter des Ministeriums stünden. Es gibt in dieser Debatte durchaus Positionen zwischen den Extremen. Das deutet darauf hin, dass die Diskussionen nicht ergebnislos geführt werden, sondern es letztlich einen Kompromiss gibt.
So sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Kai Christ, auch wenn er dafür sei, die bestehende Fähigkeitenlücke bei der Polizei-Bewaffnung für mittlere Distanzen zu schließen, so sei er doch dagegen, dies mit Gummigeschossen zu tun. Deren Einsatz sei für ihn „mehr als fragwürdig“, weil es keine ausreichende Gewissheit gebe, dass Gummigeschosse tatsächlich zu den nicht-tödlichen Waffen gehören. Je nachdem, sagt Christ, aus welcher Entfernung und wo sie einen Menschen träfen, könnten sie durchaus eine tödliche Wirkung haben. Nicht-tödliche Waffen sollen einen Angreifer von weiteren Angriffen abhalten oder sogar kampfunfähig machen, ihn aber nicht tödlich verletzten; wie Schlagstöcke, die Schmerzen verursachen, aber in der Regel nicht zum Tod des Geschlagenen führen.
Den Einsatz von Pepperballs – also Pfefferkugeln, die beim Aufprall zu feinem Staub zerplatzen und so den in ihnen enthaltenen Reizstoff freisetzen – kann sich Christ dagegen durch die Polizei vorstellen. Solche Art von nicht-tödlichen Waffen, sagt er, könnten helfen, das Risiko zu verringern, dass durch einen Polizeieinsatz friedliche Demonstranten in Mitleidenschaft gezogen werden.
Taser sind derzeit nicht vorgesehen
Christ hat Vorbehalte gegen Gummigeschosse
Selbst Zivilisten können Pepperballs erwerben
Was diese Diskussion derzeit zusätzlich ziemlich ergebnisoffen macht, jenseits des Schocks in weiten Teilen der Öffentlichkeit über das Ausmaß der Gewalt im Zusammenhang mit G20 in Hamburg: Auf dem Markt für Polizeiausrüstung sind nichttödliche Waffen aller Art seit Langem schon sehr einfach verfügbar. Sie müssen nur gekauft und nicht erst neu entwickelt werden. Wenn der Freistaat wollte, könnte er sich in kurzer Zeit so ziemlich alles in großer Stückzahl beschaffen, was so manchem Polizisten vorschwebt. Und noch viel mehr. Selbst Zivilisten immerhin können inzwischen leistungsreduzierte Waffen erwerben, die Pepperballs verschießen.