Thüringische Landeszeitung (Gera)
Ein kalter Hauch von Tod und Teufel
Bad Hersfelder Festspiele: Dieter Wedel hat mit Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ein großartiges Ensembletheater inszeniert
BAD HERSFELD. „Ich friere“, ruft Abigail Williams durchs Gemeindehaus von Salem, das Bühnenbildner Jens Kilian wandlungsfähig auf die Szene schieben ließ. Sie ruft’s dem Richter, dem Pastor und den anderen zu. Dabei friert es sie gar nicht – dafür aber uns in dem Moment, obschon es eine besonders laue Sommernacht ist in der Stiftsruine zu Bad Hersfeld.
Corinna Pohlmann spielt uns hier die Abigail, die denen dort was vorspielt: dass sie kalter Satanshauch anweht durch verdorbene Seelen der Stadt. Ein teuflisches Schmierentheater auf der Festspielbühne, das seine Wirkung nicht verfehlt: Es lässt auf der Szene die Stimmung endgültig zugunsten dieses und der anderen Mädchen von Salem kippen, was uns wiederum sprach- und atemlos werden – und eben frieren lässt.
Festspielintendant Dieter Wedel zeigt jetzt in zweiter Saison seine bearbeitende und bearbeitete Inszenierung der „Hexenjagd“, Arthur Millers Stück von 1953 über Hexenprozesse im puritanischen Salem von 1692. Miller hatte dafür Gerichtsakten studiert, seine handelnden Personen kommen dort alle vor.
Doch schrieb er mitnichten ein Historiendrama, sondern eine zeitgenössische Parabel auf antikommunistische Hexenjagden der McCarthy-Ära ebenso wie auf die kommunistischen unter Stalin.
Sein Zeitstück über eine ins Totalitäre reichende Herrschaft der Angst, in der sich aus allem ein Strick drehen lässt, schien manchem aus der Zeit gefallen. Doch kam es inzwischen in der Zeit „alternativer Fakten“an und hat Konjunktur an großen deutschsprachigen Bühnen: in Wien, Düsseldorf, Berlin, Zürich oder Bochum. In Thüringen aber sah man’s zuletzt vor 17 Jahren, in Erfurt. Weshalb Wedel es Mitte der 1930er Jahre ansiedelt, wofür neben Clarissa Freibergs stilsicheren Kostümen Film- und Zirkusplakate stehen, weiß zwar der Teufel. Er soll aber, so hört man, seine Inszenierung im Vergleich zu 2016 noch mal zugespitzt haben auf die verheerende Wirkung von Gerüchten: „Was ,Fake News‘ anrichten“, steht prominent im Programmheft. Und ausgerechnet am Tag der Saisonpremiere kündigte Washington den Rücktritt von Donald Trumps Pressesprecher an. . .
„Wir leben in seltsamen Zeiten“, sagt Reverend John Hale (Richy Müller) zu Farmer John Proctor (Christian Nickel). Und: „Ein dunkler Anschlag ist im Gange!“Zu dieser Stunde sieht er noch Satan selbst am Werk. Als zentrale Figur, weil die einzige, die sich wandelt, wird er aber erkennen, dass diese Finsternis allein von Menschen gemacht ist. Müller spielt ihn in allen Phasen eindrucksvoll als geradlinige und akkurate Autorität, die in allem ehrlich wirkt.
Hale sieht zunehmend hilflos zu, wie in vollkommen lust- und lebensfeindlicher Umgebung aus kindischem Spiel tödlicher Terror wird: Mädchen tanzen rituell im Wald, vom geil werdenden Pastor entdeckt.
Es folgt Vertuschung durch hysterische Vortäuschung, denn sexuelle Begierde ist ja des Teufels. Wie besessen dichten sie anderen Besessenheit an, die viele an den Galgen bringt.
Abigail mag auf diesem Weg Proctors Frau Elizabeth (Elisabeth Lanz) aus dem Weg räumen wollen, um sich an ihre Stelle zu setzen. Proctor, der sich mit ihr einließ, steht in der Not zum Ehebruch, nicht aber zu seiner Lust; er nennt Abigail eine Hure. Derweil kann der ein oder andere sein Mütchen kühlen in der Spirale der Ereignisse religiösen Wahns.
Wedel hebt diese „Hexenjagd“weder inhaltlich noch ästhetisch auf neue Ebenen, auch wenn er schwarzweiße Filmsequenzen drehte und sie mit der Bühne korrespondieren lässt; ausschließlich filmisch tritt Jasmin Tabatabai als bettelnde und kommentierende Sarah Good auf.
Wedel vermag hier jedoch ein großartiges Ensembletheater zu inszenieren und zu organisieren für 18 Schauspieler nebst Statisten, das aus dem Stück einen spannenden Thriller auch für den werden lässt, der nicht erstmals damit zu tun hat.
Damit war nicht unbedingt zu rechnen, wenn man zuletzt Wedels überambitioniertes, uninspiriertes „Luther“-Stück sah, das mit Theater nicht viel zu tun hatte. Doch hier gelingt ihm auf der Bühne, dank einer dramatischen Vorlage von Gewicht, wofür er im Fernsehen mit „Der große Bellheim“oder „König von St. Pauli“bekannt wurde: ein bis in kleinste Rollen hinein hervorragend besetztes Spiel vielschichtiger und widersprüchlicher Persönlichkeiten.
André M. Hennicke als Vize-Gouverneur und Hans Diehl als Richter etwa treiben die Prozesse fanatisch voran; sie glauben längst nicht mehr all den Täuschung, kommen aber aus den Verstrickungen nicht mehr heraus. Elisabeth Lanz kämpft als verschmähte Ehefrau berührend um ihren Platz in der Welt und gegen alle Verletzungen, Janina Stopper ist eine zwischen Anpassung und Widerspruch verzweifelt wankende Magd Mary. Und Horst Janson und Brigitte Grothum als widerborstige und eigensinnige Alte, Giles Corey und Rebecca Nurse, verteidigen nicht nur die eigene Würde bis in den Tod.
Aus dem Stück wurde ein spannender Thriller
● Weitere Aufführungen: . & .. sowie ., ., . & .., um . Uhr