Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Kein Stadtteil ist ein alleiniges Problemviertel“
Eine Schicht :mit Polizeimeisterin Nicole Czech und Polizeioberkommissar Christian Martz
GERA. Es ist Mittwochabend, kurz vor 19 Uhr. Die Nachtschicht von Christian Martz beginnt gleich. Sie ist ein ZwölfStunden-Dienst. Wegen der Übergabe kommt der Polizeioberkommissar und Schichtleiter früher. An seiner Seite ist heute Nicole Czech. Die dienstlichen Partner wechseln. „In der Landespolizeiinspektion Gera wird ein junger Kollege mit einem erfahrenen Kollegen eingesetzt“, erklärt Christian Martz. Und das ist gut so.
Nicole Czech arbeitet seit zwölf Monaten in der Landespolizeiinspektion Gera. Sie stammt aus Bremerhaven. „Ich habe mich hier für den mittleren Dienst beworben und es hat geklappt“, sagt die Polizeimeisterin und schreibt weiter an ihren Berichten. „Das Meer fehlt mir aber schon“, so die 25-Jährige.
„Es scheint eine ruhige Nacht zu werden“, glaubt Martz. Seine Erfahrung wird ihn nicht täuschen. Keine angemeldeten Großveranstaltungen und viel Regen. „Eine laue Sommernacht führt zu mehr Einsätzen. Die Stadt ist dann voller. Die Leute trinken und streiten mehr.“Wie viele Polizisten heute unterwegs sind, darüber schweigt Martz. Denn Verbrecher schlafen nie, nutzen jegliche Nachrichtenkanäle.
Kurz nach Schichtbeginn. Ein anderes Streifenteam informiert die Leitstelle über eine Verkehrskontrolle. Ein 31-Jähriger müht sich auf einem Rad in der Talstraße. Ein Alkoholtest zeigt 3,99 Promille an. Der Mann muss mit einem Ermittlungsverfahren rechnen.
„Los Nicole“, ruft Christian Martz. Kollegen sind in der Wohnung eines Mannes Nähe Reußpark. Aufgrund eines Verkehrsdeliktes sollen sie den Führerschein einziehen. Beim Überprüfen stellt das Zweier-Team fest, dass sich in der Wohnung verschiedene Fahrradteile befinden. Sie sind nirgends zuzuordnen. Man entdeckt auch Kleinstmengen von Drogen.
Kleinstmengen an Drogen gefunden
Martz und Czech machen sich auf den Weg. Ihr Einsatzauto steht neben anderen auf dem Gelände der Landespolizeiinspektion Gera. Es ist vollgepackt. Im Kofferraum befinden sich unter anderem Sanitäts- und Spurenkoffer, ein Drogen- und Alkoholtestgerät, Feuerlöscher. „An die 20 Kilogramm wiegt die Ausrüstung.“Beide Polizisten tragen Schutzweste mit Stichschutz, Taschenlampe, Pistole, Schlagstock, Handschellen, Funkgerät, Werkzeug... Auch die Wollmütze für den Winter darf nicht fehlen. „Ich bin da ordentlich“, schmunzelt der Schichtleiter. Während der Fahrt in Richtung Reußpark erzählt der 30-Jährige, dass die Polizisten und Streifenwagen viel mitbekommen: Schimpfwörter und Drohungen. Ins Auto wird gespuckt, gebrochen und gepinkelt. Angekommen im Reußpark. Die Personalien sind inzwischen aufgenommen. Der Keller des Mannes wird noch durchsucht. Dann geht die Fahrt durch die Nacht weiter. Kontrolle auf dem zentralen Umsteigeplatz
in der Heinrichstraße. Hier herrscht Alkoholverbot. Eine ältere Frau wühlt an der Straßenbahnhaltestelle in einem Papierkorb. „Keine Angst. Ich trinke kein Bier, sammle nur Flaschen“, ruft sie. Ein Mann bestätigt ihre Aussage. Martz und Czech nicken. Auf der anderen Seite der Haltestelle fragt ein junger Afghane die Beamten, ob es schlimm sei, auf der Ablagefläche zu sitzen. Freundlich aber bestimmt weisen die Polizisten darauf hin, dass auf diese nur Taschen gehören. Es ist 21.30 Uhr. „Wo wohnst du“, fragt Martz den 14-jährigen Jungen. Er zeigt in Richtung Goethe-Gymnasium. „Ohne Begleitung von Erwachsenen darfst du ab 22 Uhr nicht mehr allein raus“, mahnt er an, „sonst müssen wir deine Eltern verständigen.“Der Junge will gleich nach Hause. Zu Fuß geht nun das Team auf Streife hinter die Blöcke in der Heinrichstraße, leuchtet mit Taschenlampen in die dunklen Ecken. Nichts zu sehen, auch auf dem Spielplatz. „Am Wochenende ist mehr los. Da wird getrunken und gebrüllt“, weiß Martz. Zurück zum Auto. Fehlalarm in der ReweKaufhalle in der Dornaer Straße. Hier spinnt die Alarmanlage an diesem Tag. Später meldet sich eine besorgte Frau aus Liebschwitz. In der Nachbarwohnung würden sich Mutter und Sohn streiten. Bei Ankunft der Streife ist Ruhe.
Weiter geht die Fahrt in Richtung altes Wismut-Krankenhaus. „Alles Okay“, sagen die Wachleute in der Erstaufnahmeeinrichtung zu Martz und Czech. In welchen Straßen die Polizisten öfters Streife fahren, ist nicht zu erfahren. „Gera ist in seiner Sozialstruktur gut durchmischt. Kein Stadtteil ist ein alleiniges Problemviertel“, sagt Christian Martz.
In der Theaterstraße halten die Polizisten ein Auto an. Es ist voll besetzt mit fröhlichen jungen Leuten. Alle reden durcheinander. „Allgemeine Verkehrskontrolle. Zeigen Sie bitte ihre Ausweispapiere“, fordert Martz den Fahrer auf. Alles ist in Ordnung, der Fahrer nüchtern. „Wir kommen aus Ghana, haben dort Freiwilligenarbeit geleistet“, sagt der Hamburger. „Gute Weiterfahrt“, wünschen die Beamten.
20 Einsätze sind es in dieser Nacht. „Nichts Spektakuläres“, resümiert der Schichtleiter. „Da wird manchmal im Fernsehen übertrieben.“Ein illegales Einbrechen in eine Wohnung durch Beamte wie im TV sei ein Tabu. Film ist eben Film, pure Unterhaltung. „Auch die Alleingänge der Polizisten sind in der Wirklichkeit Utopie.“Wichtig sei, dass man sich aufeinander verlassen kann.
Martz‘ schlimmster Einsatz liegt ein paar Jahre zurück. „Ein Unfall im Greizer Raum mit mehreren Verletzten. Bei Schneesturm haben wir zwanzig Minuten lang versucht, einen Menschen zu reanimieren. Vergebens.“
Abschalten kann der Polizeioberkommissar bei seiner Familie und beim Singen im Theaterchor. Polizist werden, war für ihn kein Kindheitstraum. „Nach dem Abitur habe ich mich umgeschaut, was man so machen könnte. Die Arbeit bei der Polizei hat mich dann interessiert, weil ich im sozialen Bereich arbeiten wollte. Sie erschien mir passend, spannend und abwechslungsreich zu sein. Ob der Beruf wirklich zu einem passt, merkt man erst, wenn man dabei ist.“Bei Christian Martz ist es so.