Thüringische Landeszeitung (Gera)
Zum Angriff verdammt
Bayerns Ministerpräsident Söder fährt harten AntiMerkelKurs. In einer Umfrage bekommt die CSU schlechte Noten
AUGSBURG/ BERLIN. Markus Söder will alles auf einmal regeln. Er drückt auf dem Handy rum, tuschelt mit einer seiner Mitarbeiterinnen, scheucht einen Mann weg, der noch mal am Sound drehen will. Gerade hat der Ministerpräsident drei Stunden mit 30 Augsburger Bürgern verbracht. Mobbing in der Schule, schleppende Bauanträge, der Pflegenotstand, Deutschkurse für Flüchtlingskinder. „Man lernt viel“, sagt Söder und grinst. An diesem Montag, zum Auftakt der wahrscheinlich entscheidenden Woche im erbittert geführten Machtkampf zwischen CSU und CDU um Merkels Asylpolitik, gibt es noch ganz andere Erkenntnisgewinne für Söder, die ihm nicht gefallen. Der Rambo-Kurs der CSU gegen die Kanzlerin kommt offenbar nicht an.
Söder und seine Christsozialen liegen knapp vier Monate vor der Landtagswahl am 14. Oktober bei 40 Prozent (2013:
47,7 Prozent). Die Verteidigung der absoluten Mehrheit scheint ungewisser denn je. Die AfD liegt mit 13 Prozent gleichauf mit der SPD. Glaubt man der repräsentativen Umfrage von RTL und n-tv, die immerhin
1033 Bayern befragt haben, droht der von den CSU-Herren Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt angezettelte Aufstand gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zum Rohrkrepierer zu werden. Die meisten Deutschen lehnen den von Innenminister Seehofer geforderten nationalen Alleingang in der Flüchtlingspolitik ab, 71 Prozent unterstützen Merkels europäische Lösung. Selbst 68 Prozent der Bayern wollen ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Und das Elend für Söder und die CSU hört nicht auf. Nur 38 Prozent der Bayern sind mit Söders Arbeit als Landesvater zufrieden, Merkel hat mit 41 Prozent im Freistaat mehr Fans als der Ministerpräsident, auch unter den CSU-Anhängern schneidet Merkel mit 61 Prozent besser ab als Söder.
Für einen Ministerpräsidenten, der erst 100 Tage im Amt ist, der mit vollen Händen die Milliarden verteilt, könnten die Zahlen nicht unschöner sein. Söder polarisiert nicht erst seit dem neuen Polizeigesetz oder dem Kruzifix-Erlass. Macht ihn die Umfrage nervös? In Augsburg ist Söder bemüht, sich unbeirrt als Macher zu inszenieren. Viele der Bürger, die er gesprochen habe, seien mit dem „Amtsschimmel“zusammengestoßen. Da könne er helfen: „Wenn die Staatskanzlei wo anruft, ist die Bereitschaft, mal einen Kompromiss zu finden, manchmal a bisserl höher, als wenn es den normalen Dienstweg geht“, sagt er. Das sei für ihn eine „moderne Form der Kommunikation“.
Apropos Sprache. Im TVStrafraum der Politik setzte Söder zuletzt zu so mancher Blutgrätsche an. In den „Tagesthemen“redete er von „Asyltourismus“und „Asylgehalt“(für Sozialleistungen, die Flüchtlinge erhalten) – war das schon AfD-Sprech oder noch der Versuch eines CSU-Mannes, dem verunsicherten Volk aufs Maul zu schauen? Die Kanzlerin weiß längst, dass es Söder & Co. nicht darum geht, dass die Bundespolizei an den Grenzen ein paar Flüchtlinge herausfischt. Söder und Dobrindt (CSU-Chef Seehofer wirkt eher wie das Mittel zum Zweck) wollen Merkel loswerden. Vom Abgang der „Flüchtlingskanzlerin“, die 2015 weltweit für ihre Humanität gefeiert wurde, es aber unterließ, die Deutschen auf die Schattenseiten bei der Integration Hunderttausender Muslime vorzubereiten, erhofft sich die CSU einen Befreiungsschlag.
Da scheint es fast keine Rolle zu spielen, was Merkel jetzt beim Mini-Gipfel in Brüssel anleierte, um Europas Grenzen dicht zu machen. „Erkennbar ist, dass die Positionen in einigen Fragen schon noch sehr, sehr weit entfernt sind, da es zum Teil auch fundamental unterschiedliche Auffassungen gibt, wenn man beispielsweise die Position Italiens anschaut“, sagt Söder.
Frankreich und Spanien aber sind offen für Asyl-Zentren auf europäischem Boden. Die CSU könnte in Erklärungsnot geraten, sollte die Kanzlerin beim großen EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag substanzielle Fortschritte erzielen. Günther Oettinger, EU-Kommissar und Merkel-Unterstützer, rät der CSU, nicht sklavisch auf den 1. Juli zu schauen. Mehr Zeit für Merkel, kann das ein Ausweg sein? Söder verweist auf das Koalitionstreffen am Dienstagabend im Kanzleramt, bei dem er nicht dabei sein wird. Danach werde ein Fahrplan festgelegt – bis zum Finale am Sonntag im
Söder polarisiert – nicht erst seit KruzifixErlass
„In einigen Fragen sind die Positionen noch sehr, sehr weit entfernt.“
Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, zur Suche nach einem EUFlüchtlingsplan CSU-Vorstand, der Merkels Gipfelbilanz bewerte: „Dort muss man das Kleingedruckte sehen, da muss man sehen, ob es Zeitachsen gibt.“Vielleicht erhält Merkel nach der Verlängerung noch ein bisschen Nachspielzeit von der CSU.
Aber wer weiß, was Söder morgen wieder sagt. Im BayernWahlkampf werde ein Bundeskanzler kommen, keine Bundeskanzlerin, tönte der 51-Jährige dieser Tage. Also wieder ein Date mit Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz. Unterstellt man Söder Boshaftigkeit, kann man aus dem Satz noch etwas anderes herauslesen: Dann ist Merkel längst Geschichte.