Thüringische Landeszeitung (Gera)
Erdogan ist auf dem Höhepunkt seiner Macht
Der alte und neue türkische Präsident herrscht künftig so unumschränkt wie nie zuvor. Auch das Parlament wird vom AKPBündnis dominiert
ISTANBUL. Ein Meer an türkischen Flaggen erstreckt sich vor der Zentrale der islamisch-konservativen AKP in Ankara. Aus den Boxen dröhnt ein Lied, dessen Refrain nur aus dem Namen eines Mannes besteht: Recep Tayyip Erdogan. Kurz vor drei Uhr in der Nacht tritt der alte und neue Präsident schließlich auf und hält vor seinen Anhängern eine Rede – heiser, aber hochzufrieden: Er ist auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Der triumphale Auftritt markiert das Ende einer Wahl, bei der es diesmal eng für Erdogan zu werden drohte: Die meisten Umfragen haben vorausgesagt, dass der Amtsinhaber in eine Stichwahl gegen den Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, muss.
Türkische Wahlbeobachter melden am Wahltag Unregelmäßigkeiten, die CHP beklagt Manipulationen. Internationale Wahlbeobachter bilanzieren am Montag, die Opposition habe wegen des Ausnahmezustands und der medialen Übermacht Erdogans schlechtere Chancen gehabt. Erdogan hat sich aber schon am Sonntagabend zum Sieger erklärt, nach dem vorläufigen inoffiziellen Ergebnis kommt er auf 52,6 Prozent der Stimmen. Ince tritt erst am Montagmittag in der CHP-Zentrale in Ankara auf. Er erklärt, die Wahlen seien zwar unfair gewesen – verloren habe er sie mit fast elf Millionen Stimmen Differenz zu Erdogan aber trotzdem. Er erkenne das Wahlergebnis an.
Erdogan hat spätestens damit sein wichtigstes Projekt durchgebracht: Die Einführung seines Präsidialsystems ist abgeschlossen, und der überaus mächtige Präsident heißt Erdogan. Damit nicht genug, seine AKP ist bei der zeitgleichen Parlamentswahl zwar abgestraft worden und hätte alleine keine Mehrheit mehr. Sie ist aber ein Parteienbündnis mit der ultranationalistischen MHP eingegangen, und die Allianz hat weit mehr als die Hälfte der Parlamentssitze.
Erdogan ist künftig Staatsund Regierungschef, er kann per Dekret regieren. Nur eine Mehrheit der Opposition im Parlament hätte ihm reinfunken können. Erdogan nennt das neue System eine „demokratische Revolution“. Die Türkei-Berichterstatterin des EU-Parlaments, Kati Piri, sieht das – stellvertretend für viele in Europa – ganz anders. Auf Twitter schreibt sie am Montag mit Blick auf Erdogans Wahlsieg: „Das letzte Hindernis zur Einführung eines hochgradig undemokratischen Präsidialsystems ist jetzt beseitigt worden. Eines Systems, das absolut unvereinbar mit EU-Beitrittsgesprächen ist.“(dpa)