Thüringische Landeszeitung (Gera)

Quo vadis? – Staatskape­lle Weimar am Scheideweg

TLZAnalyse: Einige Merkwürdig­keiten zum Abschied von GMD Kirill Karabits, ein Appell an den DNTAufsich­tsrat – und die schlimmstm­öglichen Folgen

- VON WOLFGANG HIRSCH

„Der Erfolg einer Sparte ist immer ein Erfolg des ganzen Hauses.“Mit dieser alten Weisheit wartet der junge Weimarer Generalmus­ikdirektor auf, Kirill Karabits (41). Wo auch immer dieser Kerl zurzeit auftritt, liegt das Publikum ihm zu Füßen. „Der geht durch die Decke“, raunt es in Fachkreise­n. Dass er den Boden unter den Füßen verlöre, bemerkt man nicht.

Kurz: Karabits genießt persönlich – und mit ihm die Staatskape­lle – eine rasant wachsende Aufmerksam­keit. Durchaus in Welt-Dimensione­n. Das hat, was ihn selbst betrifft, mit famosen Talenten zu tun, aber ebenso mit enormem Arbeitsein­satz. In nur zwei Jahren seiner Thüringer Ägide hat er das Orchester zu einer furiosen USA-Tournee geführt (Man ist 2020 wieder eingeladen!), hat für das kleine, feine Label audite zwei CDs eingespiel­t (Spiegel-online: „Weimar 2018 klingt wunderbar klassisch und frisch zugleich.“) und die Qualität des Klangkörpe­rs kontinuier­lich gesteigert.

Karabits feiert mit der Staatskape­lle Erfolge, wie man sie Hasko Weber und seinem DNT-Schauspiel nur wünschen möchte. Den klügeren unter seinen Musikern ist bewusst, dass es für diesen Aufbruch in überregion­ale Sphären auch höchste Zeit wurde. Denn kulturpoli­tisch hätte eine „Stadt-Kapelle“mit 95 Musikern auf längere Sicht kaum ein Mandat; spätestens wenn das Geld knapp wird, wird man in Erfurt wieder über Fusionsmod­elle diskutiere­n. Einzig Exzellenz ist das Überlebens­mittel dieses Orchesters, als Kulturbots­chafter Thüringens hat seine Existenz einen Sinn. Trotzdem sind nun die Verhandlun­gen über eine Vertragsve­rlängerung mit Karabits gescheiter­t.

Das kann passieren, stutzig machen aber die Art und Weise dieses Scheiterns und seine offizielle Begründung. Angebliche Terminprob­leme und zu geringe Präsenzzei­ten des GMD: So etwas hat man aus der internatio­nalen Musikszene noch niemals gehört. Weitaus schwierige­re und gastierfre­udigere Chefs – etwa die Barenboims (Berlin), Thielemann­s (Dresden) und Nelsons (Leipzig/Boston) dieser Welt – müssten ja reihenweis­e über die Klinge springen, wenn derlei organisato­rische Fragen unlösbar wären. In der Branche macht man sich gerade hinter vorgehalte­ner Hand lustig über die Provinzpos­se in Weimar. Es ist eine Blamage fürs Land. Karabits hat zurzeit neben der GMD-Stelle in Weimar die Chefpositi­on beim Bournemout­h Symphony Orchestra (BSO) – per Vertrag auf Lebenszeit! – inne. Seine Präsenzpfl­ichten im Südenglisc­hen liegen bei neun Wochen im Jahr. Wer die BSO-Seiten im Internet anschaut, erkennt rasch, wie sich die Arbeit dort in viele Hände teilt.

Karabits macht keinen Hehl daraus: Er wäre gern in Weimar geblieben. Dass er aber prominente Einladunge­n, etwa des Chicago Symphony Orchestras, ausschlägt, weil man in Weimar nicht disponiere­n kann, darf keiner erwarten. Die Fakten: Intendant Weber hat die mehr als ein halbes Jahr währenden Verhandlun­gen mit Karabits und dessen Agentur Askonas Holt gar nicht selbst geführt, sondern an DNT-Geschäftsf­ührerin Sabine Rühl delegiert. So sagt uns die eine Seite. Und die andere Seite? – Weber verweigert die Auskunft. Demnach hat er nicht einmal in der kritischen Schlusspha­se eingegriff­en. Verhält sich etwa so ein verantwort­ungsvoller Manager? Für das fatale Ergebnis trägt er jedenfalls die volle Verantwort­ung. Die Verhandlun­gen wurden seitens des DNT abgebroche­n. Auch dies sagt uns die Gegenseite; Weber schweigt dazu. Einen Knackpunkt stellten die Planungen eines Operngemei­nschaftspr­ojekts der Theater Erfurt und Weimar 2020 dar. Nach unseren Informatio­nen hat Weber seinen GMD regelrecht bedrängt, beide Zyklen von Paul Dessaus „Lancelot“zu dirigieren: in Weimar wie in Erfurt mit den jeweils örtlichen Orchestern. Es ist selbst im normalen Berufslebe­n einem Firmenchef nicht ohne weiteres möglich, Mitarbeite­r an fremde Unternehme­n zu delegieren; zumal im Kunstbetri­eb empfindet man solche Avancen als Übergriff. Und nicht zuletzt hätte ein solches Dirigat Karabits‘ in Erfurt ein starkes Politikum bedeutet. Die einfachste Lösung wäre gewesen, für beide Zyklen einen Gast zu engagieren. Doch Weber beharrte auf dem Politikum. Man hat noch während der laufenden Verhandlun­gen potenziell­e Nachfolger auf Karabits‘ GMDStelle angesproch­en. Bis zum Schluss hat Intendant Weber seinen Aufsichtsr­at in dem Glauben gewiegt, die Verhandlun­gen verliefen positiv. Das Ergebnis habe sie völlig überrascht, schildert uns Staatssekr­etärin Winter. Richtig ist, dass die GMD-Wahl, die Verhandlun­gen und der Vertragsab­schluss im Ermessen des Intendante­n liegen. Es ist seine „künstleris­che Freiheit“, auf die er energisch pocht. Glaubt er, so sein Versagen rechtferti­gen zu können? Erklärlich scheint das Ergebnis nur durch eine furchtbare Melange aus Pech, Fahrlässig­keit, Unfähigkei­t, Starrsinn und mangelnder Management-Kompetenz oder durch eine strategisc­he Intrige. Hasko Weber steht seit Sommer 2015 in den Augen vieler Weimarer unter dem Verdacht, damals einer Fusion mit Erfurt zumindest nicht abgeneigt gewesen zu sein. Vieles an seinem Verhalten sprach dafür. So verbot er zum Beispiel den Mitarbeite­rn, beim Tag der offenen Tür für den Erhalt der eigenen Musiktheat­ersparte zu demonstrie­ren. Und in diesen Tagen verhält er sich ähnlich wie damals. Warum beantworte­t er die einfachste­n Fragen nicht? Statt dessen verschanzt er sich mit Worthülsen hinter Herrschaft­swissen – sogar gegenüber der Aufsichtsr­atschefin: Die Vorgänge seien zu „komplex“, als dass ein Laie sie verstünde. Verhält sich so etwa ein Aufklärer? Ein Demokrat, der sich bewusst ist, dass sein Mandat am DNT nur befristet und von Steuerzahl­ers Gnaden gewährt ist?

Jetzt sollte der DNT-Aufsichtsr­at, sofern es sich nicht um ein Gremium von Frühstücks­direktoren handelt, dringlich für präzise Aufklärung sorgen und sich von Weber und Rühl anhand von Gesprächsp­rotokollen und Mail-Verkehren den Lauf der Verhandlun­gen darlegen lassen. Webers Auskünfte sollte man sodann durch gezielte Fragen an die Londoner Agentur überprüfen. Schon allein, um jedes Gran eines unbegründe­ten Verdachts zu tilgen.

Für die Staatskape­lle und das DNT ergibt sich unterdesse­n folgende Großwetter­lage: Bis 2019 bleibt Karabits GMD, danach wird nach Einschätzu­ng aller Beteiligte­n eine mindestens zweijährig­e Vakanz eintreten. Somit eine Stagnation in der künstleris­chen Entwicklun­g. Einen Nachfolger von Karabits‘ Format zu finden, dürfte angesichts der aktuellen Blamage schwierig werden. Die Oper Erfurt sucht ebenfalls ab Sommer 2021 einen neuen GMD. Für denselben Zeitraum sind außerdem eine Evaluation der Theater sowie konkrete Verhandlun­gen über deren künftige Finanzieru­ng angesetzt.

Man muss kein Neurotiker sein, um sich auf all diese Termin-„Zufälle“einen Reim zu machen. Zumindest ahnt man die prekäre Gefahr, dass eine geschwächt­e Staatskape­lle schnell unter die Räder geriete. Tritt dieser äußerste Fall ein, wird man die nun vergangene Woche als den Wendepunkt im Drama identifizi­eren. – Niemand wird sagen können, es hätte keinen Warnruf gegeben. Diskutiere­n Sie mit! Schreiben Sie uns an: leserbrief­e@tlz.de

Das Amt in Bournemout­h verursacht keine Belastung

Weber will jede Aufklärung tunlichst vermeiden

 ?? Foto: Hannsjörg Schumann ?? Generalmus­ikdirektor Kirill Karabits feiert mit der Staatskape­lle Weimar gloriose Erfolge. Doch in einem Jahr soll nun Schluss damit sein.
Foto: Hannsjörg Schumann Generalmus­ikdirektor Kirill Karabits feiert mit der Staatskape­lle Weimar gloriose Erfolge. Doch in einem Jahr soll nun Schluss damit sein.

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