Thüringische Landeszeitung (Gera)
Quo vadis? – Staatskapelle Weimar am Scheideweg
TLZAnalyse: Einige Merkwürdigkeiten zum Abschied von GMD Kirill Karabits, ein Appell an den DNTAufsichtsrat – und die schlimmstmöglichen Folgen
„Der Erfolg einer Sparte ist immer ein Erfolg des ganzen Hauses.“Mit dieser alten Weisheit wartet der junge Weimarer Generalmusikdirektor auf, Kirill Karabits (41). Wo auch immer dieser Kerl zurzeit auftritt, liegt das Publikum ihm zu Füßen. „Der geht durch die Decke“, raunt es in Fachkreisen. Dass er den Boden unter den Füßen verlöre, bemerkt man nicht.
Kurz: Karabits genießt persönlich – und mit ihm die Staatskapelle – eine rasant wachsende Aufmerksamkeit. Durchaus in Welt-Dimensionen. Das hat, was ihn selbst betrifft, mit famosen Talenten zu tun, aber ebenso mit enormem Arbeitseinsatz. In nur zwei Jahren seiner Thüringer Ägide hat er das Orchester zu einer furiosen USA-Tournee geführt (Man ist 2020 wieder eingeladen!), hat für das kleine, feine Label audite zwei CDs eingespielt (Spiegel-online: „Weimar 2018 klingt wunderbar klassisch und frisch zugleich.“) und die Qualität des Klangkörpers kontinuierlich gesteigert.
Karabits feiert mit der Staatskapelle Erfolge, wie man sie Hasko Weber und seinem DNT-Schauspiel nur wünschen möchte. Den klügeren unter seinen Musikern ist bewusst, dass es für diesen Aufbruch in überregionale Sphären auch höchste Zeit wurde. Denn kulturpolitisch hätte eine „Stadt-Kapelle“mit 95 Musikern auf längere Sicht kaum ein Mandat; spätestens wenn das Geld knapp wird, wird man in Erfurt wieder über Fusionsmodelle diskutieren. Einzig Exzellenz ist das Überlebensmittel dieses Orchesters, als Kulturbotschafter Thüringens hat seine Existenz einen Sinn. Trotzdem sind nun die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit Karabits gescheitert.
Das kann passieren, stutzig machen aber die Art und Weise dieses Scheiterns und seine offizielle Begründung. Angebliche Terminprobleme und zu geringe Präsenzzeiten des GMD: So etwas hat man aus der internationalen Musikszene noch niemals gehört. Weitaus schwierigere und gastierfreudigere Chefs – etwa die Barenboims (Berlin), Thielemanns (Dresden) und Nelsons (Leipzig/Boston) dieser Welt – müssten ja reihenweise über die Klinge springen, wenn derlei organisatorische Fragen unlösbar wären. In der Branche macht man sich gerade hinter vorgehaltener Hand lustig über die Provinzposse in Weimar. Es ist eine Blamage fürs Land. Karabits hat zurzeit neben der GMD-Stelle in Weimar die Chefposition beim Bournemouth Symphony Orchestra (BSO) – per Vertrag auf Lebenszeit! – inne. Seine Präsenzpflichten im Südenglischen liegen bei neun Wochen im Jahr. Wer die BSO-Seiten im Internet anschaut, erkennt rasch, wie sich die Arbeit dort in viele Hände teilt.
Karabits macht keinen Hehl daraus: Er wäre gern in Weimar geblieben. Dass er aber prominente Einladungen, etwa des Chicago Symphony Orchestras, ausschlägt, weil man in Weimar nicht disponieren kann, darf keiner erwarten. Die Fakten: Intendant Weber hat die mehr als ein halbes Jahr währenden Verhandlungen mit Karabits und dessen Agentur Askonas Holt gar nicht selbst geführt, sondern an DNT-Geschäftsführerin Sabine Rühl delegiert. So sagt uns die eine Seite. Und die andere Seite? – Weber verweigert die Auskunft. Demnach hat er nicht einmal in der kritischen Schlussphase eingegriffen. Verhält sich etwa so ein verantwortungsvoller Manager? Für das fatale Ergebnis trägt er jedenfalls die volle Verantwortung. Die Verhandlungen wurden seitens des DNT abgebrochen. Auch dies sagt uns die Gegenseite; Weber schweigt dazu. Einen Knackpunkt stellten die Planungen eines Operngemeinschaftsprojekts der Theater Erfurt und Weimar 2020 dar. Nach unseren Informationen hat Weber seinen GMD regelrecht bedrängt, beide Zyklen von Paul Dessaus „Lancelot“zu dirigieren: in Weimar wie in Erfurt mit den jeweils örtlichen Orchestern. Es ist selbst im normalen Berufsleben einem Firmenchef nicht ohne weiteres möglich, Mitarbeiter an fremde Unternehmen zu delegieren; zumal im Kunstbetrieb empfindet man solche Avancen als Übergriff. Und nicht zuletzt hätte ein solches Dirigat Karabits‘ in Erfurt ein starkes Politikum bedeutet. Die einfachste Lösung wäre gewesen, für beide Zyklen einen Gast zu engagieren. Doch Weber beharrte auf dem Politikum. Man hat noch während der laufenden Verhandlungen potenzielle Nachfolger auf Karabits‘ GMDStelle angesprochen. Bis zum Schluss hat Intendant Weber seinen Aufsichtsrat in dem Glauben gewiegt, die Verhandlungen verliefen positiv. Das Ergebnis habe sie völlig überrascht, schildert uns Staatssekretärin Winter. Richtig ist, dass die GMD-Wahl, die Verhandlungen und der Vertragsabschluss im Ermessen des Intendanten liegen. Es ist seine „künstlerische Freiheit“, auf die er energisch pocht. Glaubt er, so sein Versagen rechtfertigen zu können? Erklärlich scheint das Ergebnis nur durch eine furchtbare Melange aus Pech, Fahrlässigkeit, Unfähigkeit, Starrsinn und mangelnder Management-Kompetenz oder durch eine strategische Intrige. Hasko Weber steht seit Sommer 2015 in den Augen vieler Weimarer unter dem Verdacht, damals einer Fusion mit Erfurt zumindest nicht abgeneigt gewesen zu sein. Vieles an seinem Verhalten sprach dafür. So verbot er zum Beispiel den Mitarbeitern, beim Tag der offenen Tür für den Erhalt der eigenen Musiktheatersparte zu demonstrieren. Und in diesen Tagen verhält er sich ähnlich wie damals. Warum beantwortet er die einfachsten Fragen nicht? Statt dessen verschanzt er sich mit Worthülsen hinter Herrschaftswissen – sogar gegenüber der Aufsichtsratschefin: Die Vorgänge seien zu „komplex“, als dass ein Laie sie verstünde. Verhält sich so etwa ein Aufklärer? Ein Demokrat, der sich bewusst ist, dass sein Mandat am DNT nur befristet und von Steuerzahlers Gnaden gewährt ist?
Jetzt sollte der DNT-Aufsichtsrat, sofern es sich nicht um ein Gremium von Frühstücksdirektoren handelt, dringlich für präzise Aufklärung sorgen und sich von Weber und Rühl anhand von Gesprächsprotokollen und Mail-Verkehren den Lauf der Verhandlungen darlegen lassen. Webers Auskünfte sollte man sodann durch gezielte Fragen an die Londoner Agentur überprüfen. Schon allein, um jedes Gran eines unbegründeten Verdachts zu tilgen.
Für die Staatskapelle und das DNT ergibt sich unterdessen folgende Großwetterlage: Bis 2019 bleibt Karabits GMD, danach wird nach Einschätzung aller Beteiligten eine mindestens zweijährige Vakanz eintreten. Somit eine Stagnation in der künstlerischen Entwicklung. Einen Nachfolger von Karabits‘ Format zu finden, dürfte angesichts der aktuellen Blamage schwierig werden. Die Oper Erfurt sucht ebenfalls ab Sommer 2021 einen neuen GMD. Für denselben Zeitraum sind außerdem eine Evaluation der Theater sowie konkrete Verhandlungen über deren künftige Finanzierung angesetzt.
Man muss kein Neurotiker sein, um sich auf all diese Termin-„Zufälle“einen Reim zu machen. Zumindest ahnt man die prekäre Gefahr, dass eine geschwächte Staatskapelle schnell unter die Räder geriete. Tritt dieser äußerste Fall ein, wird man die nun vergangene Woche als den Wendepunkt im Drama identifizieren. – Niemand wird sagen können, es hätte keinen Warnruf gegeben. Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns an: leserbriefe@tlz.de
Das Amt in Bournemouth verursacht keine Belastung
Weber will jede Aufklärung tunlichst vermeiden