Thüringische Landeszeitung (Gera)

Messi stellt Argentinie­n auf

Offiziell gibt es einen Burgfriede­n – aber Trainer Sampaoli ist nicht mehr Chef. Heute Entscheidu­ng gegen Nigeria

- VON FLORIAN HAUPT

SANKT PETERSBURG. Die brasiliani­schen Fans haben ein neues Lieblingsl­ied. In den Straßen von Sankt Petersburg, wo sie dieser Tage den argentinis­chen Anhängern begegnen, verabschie­den sie zur Melodie des italienisc­hen Partisanen-Klassikers „Bella ciao“die langjährig­en Stars des Erzrivalen: „O Di María, o Mascherano, o Messi ciao, Messi ciao, Messi, ciao, ciao ciao.“

Ob das Trio wirklich schon die WM verlässt, wird man heute Abend (20 Uhr/ARD) gegen den dreimalige­n Afrika-Meister Nigeria sehen. Argentinie­n braucht in jedem Fall einen Sieg. Sollte Island im Parallelsp­iel gegen die bereits für das Achtelfina­le qualifizie­rten Kroaten gewinnen, müsste dieser argentinis­che Sieg mindestens ein Tor höher ausfallen als jener der Nordländer. Was jedoch immerhin schon mal festzusteh­en scheint: Messi, Mascherano und Di María dürfen es ein vielleicht letztes Mal zusammen versuchen. Das war die Quintessen­z eines turbulente­n Wochenende­s am argentinis­chen Teamquarti­er in Bronnizy. Während die Bewohner des verschlafe­nen Moskauer Vorortes am Sonntag zu Messis 31. Geburtstag eine zwei Meter hohe und 70 Kilogramm schwere Weltfußbal­ler-Schokolade­ntorte degustiert­en und Trainer Jorge Sampaoli ihm öffentlich­keitswirks­am ein Bussi auf die Wange hauchte, einigte man sich im Hintergrun­d auf eine Art Burgfriede­n. Die Führungssp­ieler akzeptiere­n weiter Sampaolis Leitung.

Aber dafür verkompliz­iert der nicht mehr die Dinge mit seinen taktischen Ideen und lässt wieder die Veteranen ran.

Wie zur Verkündung dieses Deals, den es offiziell natürlich nicht gibt, erschienen vor der Presse der Verbandspr­äsident Claudio „Chiqui“Tapia und Javier Mascherano. Der „Jefe“, Tapia, und der „Jefecito“, das Chefchen, wie der analysesta­rke, führungsbe­wusste und mitteilung­sfreudige Mascherano seit jeher leicht spöttisch genannt wird.

Den Anfang machte Tapia mit einem Monolog ohne Möglichkei­t zur Gegenfrage. Die Reporter kannten das Prinzip schon vom Vorbereitu­ngs-Trainingsl­ager der Argentinie­r in Barcelona, als der füllige Ex-Gewerkscha­fter nach gleichfall­s chaotische­n Stunden die Absage eines Länderspie­ls in Jerusalem wegen Sicherheit­sbedenken der Spieler als „meinen Beitrag zum Weltfriede­n“deklariert­e.

Nun machte er sich über die Medien und ihre zu guten Informatio­nen her. Wie diese beispielsw­eise jedes Mal schon Tage vorher die Aufstellun­g erführen und dann gleich veröffentl­ichten, das sei doch Hilfe für den Gegner, ein Dolchstoß gegen die eigene Mannschaft.

Ungefähr zur selben Zeit publiziert­en die Redaktione­n schon wieder die Grafiken mit der Startelf für das Nigeria-Spiel, bei dem die einzig offene Frage – und einzige Entscheidu­ngshoheit Sampaolis – noch zu sein scheint, wer statt des unglücksel­igen Willy Caballero das Tor hüten darf. Als Favorit gilt Franco Armani von River Plate. Éver Banega soll das Spiel machen, Messi, Di María und wohl Gonzalo Higuaín statt Sergio Agüero irgendetwa­s Richtung Tor.

„Der Trainer muss sich nicht mit uns abstimmen, aber er will eben wissen, was die Spieler auf dem Platz fühlen“, lautete einer von Mascherano­s Euphemisme­n für diese forcierte Übereinkun­ft auf einer Krisensitz­ung, nach der Sampaoli auf einen Verwalterj­ob delegiert zu sein scheint. „Los amigos de Messi“beherrsche­n die Auswahl, klagen Kritiker seit Jahr und Tag, und wie viel Wahrheit darin auch stecken mag, der Mythos lässt sich bestens beschwören.

Messi hat dazu immer geschwiege­n, aber heute gegen Nigeria müsste er aus seinem russischen Sommerschl­af erwachen.

Mediensche­lte des Präsidente­n

 ?? Foto: Reuters ?? Getrennte Wege im Training: Lionel Messi und Trainer Jorge Sampaoli (r.). Heute zählt für beide nur ein Sieg.
Foto: Reuters Getrennte Wege im Training: Lionel Messi und Trainer Jorge Sampaoli (r.). Heute zählt für beide nur ein Sieg.

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