Thüringische Landeszeitung (Gera)
Zustand der Brücken gut
Entsetzen nach Brückeneinsturz mit 40 Toten. Viele Menschen werden noch vermisst. Politiker suchen nach Schuldigen
Die Autobrücken in Thüringen und Sachsen haben bundesweit die wenigsten Schäden. Das geht aus den Daten der Landesstraßenbaubehörden hervor. Grund: Viele Bauwerke wie hier auf der A71 bei Gera entstanden erst nach 1990. Bundesweit gibt es auf Bundesstraßen und Autobahnen 40 000 Brücken. Nach dem Unglück in Genua wird über die Sicherheit von Brücken diskutiert. ArchivFoto: M. Reichel, dpa
GENUA. Innerhalb weniger Sekunden kann sich ein ganz normaler Tag in einen Albtraum verwandeln. „Ich war hier um die Ecke im Sportgeschäft einkaufen. Da war einfach nichts mehr. Das ist doch wirklich unglaublich, wie im Film“, sagt Anwohner Gianni.
Einen Tag nach dem Brückeneinsturz in Genua ist er am Mittwoch wieder zur Unglücksstelle gekommen. Viel mehr als die Trümmerberge ist nicht zu sehen, das Gebiet ist abgeriegelt.
Am Tag nach dem Unglück schwankt die Stadt zwischen Fassungslosigkeit, Trauer und Wut. Während die Bürger von Genua sich fragen, wie es zum Einsturz der 40 Meter hohen Autobahnbrücke kommen konnte, suchen Rettungskräfte fieberhaft weiter nach Überlebenden. Die Hoffnung sinkt jedoch von Stunde zu Stunde.
Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 40, darunter drei Kinder im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. Die Behörden gehen derweil davon aus, die Opferbilanz könne weiter steigen. Die Hoffnung, noch Überlebende aus den Trümmern zu bergen, sinkt minütlich.
„Aber wir geben niemals auf, sonst könnten wir nicht helfen“, betont Lucia Mortara vom italienischen Katastrophenschutz.
Das Unglück löste eine Welle der Solidarität vor allem unter den Bürgern von Genua aus. An den Krankenhäusern der Hafenstadt am Fuß der Alpen bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die Blut für die Verletzten spenden wollen.
Gleichzeitig stellten lokale Unternehmer Sachspenden zur Verfügung. Die Regierung rief den Notstand für die Stadt aus.
Staatspräsident Sergio Mattarella mahnte, keine zuständige Behörde werde sich ihrer Verantwortung entziehen können. „Die Italiener haben ein Anrecht auf moderne und funktionierende Infrastrukturen, die unter Bedingungen der Sicherheit den Alltag begleiten.“
Unter Anspielung auf unzureichende staatliche Kontrollen der privaten Autobahnbetreiber forderte er zugleich verstärkte Überwachung und Prävention.
Infrastrukturminister Danilo Toninelli von der Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne machte die Verantwortlichen allein beim Betreiber „Autostrade per l’Italia“aus. „In einem zivilisierten und modernen Land wie Italien dürfen sich solche Tragödien nicht ereignen“, sagte der Minister. Er kündigte an, die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen. Dazu gehöre auch ein Entzug der Konzession. Toninellis Parteikollege, Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio, drohte dem Autobahnbetreiber mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 150 Millionen Euro. Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalistischen Lega hatte bereits wenige Stunden nach dem Unglück die Europäische Union für den Einsturz verantwortlich gemacht.
Sie verhindere nötige Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur. Auch die Bevölkerung hat nach dem Schock ihre Sprache wiedergefunden und es wird über Ursachen spekuliert. „Es gab immer, immer Bauarbeiten. Immer. Nachts, tagsüber, sie haben immer ausgebessert“, sagt eine Frau namens Irina. Die Umstehenden nicken zustimmend. „Leider ist es trotzdem passiert“, sagt der 22 Jahre alte Dario.
Genua sei nach dem Unglück wie „in zwei Teile geteilt“, berichtet Francesco Bucchieri, der wie alle anderen an den Anblick der Brücke gewöhnt war: „Es ist wie in einem Horrorfilm, wir wissen immer noch nicht, ob das Wirklichkeit ist oder eine Fantasie“, so der Rentner.