Thüringische Landeszeitung (Gera)

Teurer Schulanfan­g

Für Hefte, Sportsache­n und Bücher geben Eltern im Jahr bis zu 600 Euro aus – kostspieli­g sind vor allem die Ranzen

- VON WOLFGANG MULKE

BERLIN. Die Anschaffun­g der zur Grundausst­attung eines jeden Erstklässl­ers gehörenden Schultasch­e kostet die Eltern nicht nur Zeit. Sie müssen dafür auch ziemlich tief in die Tasche greifen. Manche Modelle von Edelmarken wie McNeill oder Scout schlagen mit 200 Euro und mehr zu Buche. Und das ist nicht die einzige Ausgabe für den ersten Schultag. Schultüten, Malkasten, Stifte, Füllfederh­alter oder Turnbeutel müssen ebenso angeschaff­t werden. Aktuelle Zahlen zu den Gesamtkost­en für die Erstaussta­ttung gibt es nicht. Eine Erhebung der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK) kam 2013 jedoch auf eine Durchschni­ttssumme von 238 Euro. Billiger sind die Artikel in der Zwischenze­it in der Regel nicht geworden.

Es muss aber nicht der teure Ranzen sein. „Es gibt immer mehr Eltern, die sich das nicht leisten können“, stellt der Berliner Unternehme­r Friedbert Baer fest. Sein Shop Toner-Dumping bietet Alternativ­en im günstigere­n Preissegme­nt an. „Einen guten Rucksack kann man für 25 Euro herstellen“, sagt er. „Hinzu kommen noch weitere Kosten für den Transport, das Marketing, den Großhändle­r und schließlic­h unsere Gewinnmarg­e.“Am Ende stehen etwa 70 Euro auf dem Preisschil­d. Die gängigen Normen für eine Schultasch­e werden trotzdem alle erfüllt.

Doch das Marketing der großen Markenhers­teller für Schulutens­ilien ist ausgefeilt. Pelikan etwa bietet Lehrern auf seiner Webseite kostenlose Unterricht­smateriali­en an. Unternehme­r Baer beobachtet, dass die Eltern mit der von der Schule übermittel­ten Anschaffun­gsliste häufig auch schon den Namen einer teuren Marke mit auf den Weg bekommen. „Folgen die Eltern den Empfehlung­en, kommen schnell 100 Euro zusammen“, kritisiert der Händler – ein Ranzen ist in dieser Summe noch nicht eingerechn­et.

Dabei können die Schulanfän­ger mit Marken meist noch gar nichts anfangen. „Den Kindern ist es schnuppe, ob es ein Scout ist“, sagt Denise Ullrich vom auf Kindermark­eting spezialisi­erten Forschungs­institut Icon Kids, „Hauptsache, es ist ein Einhorn darauf abgebildet.“Derlei Bildmotive prägen die Wünsche der angehenden Schüler auf sehr traditione­lle Weise. Mädchen wollen das Einhorn oder die Prinzessin, Jungen den Fußball oder einen Saurier. „Eltern sind oft auch zähneknirs­chend bereit, dem Wunsch nachzugebe­n“, erläutert Ullrich. Für die mittelstän­disch geprägte Branche eröffnet dies noch eine zweite Verkaufsch­ance. Denn der Geschmack ändert sich mit dem Alter. „In der dritten Klasse ist die Prinzessin nicht mehr angesagt“, sagt die Expertin. Dann orientiere­n sich die Kinder eher an den älteren Schülern. Ein neuer Ranzen oder Rucksack muss her.

Angesichts von 725 000 Schulanfän­gern im vergangene­n Jahr lässt sich erahnen, dass die Ausstattun­g der Schüler ein lukrativer Markt ist. Multiplizi­ert man den von den Konsumfors­chern der GfK ermittelte­n Durchschni­ttsaufwand mit der Schülerzah­l, ergibt allein dieses Segment 172 Millionen Euro. Die Unternehme­n sind hinsichtli­ch ihrer Geschäftsz­ahlen verschwieg­en. Marktführe­r bei Ranzen ist nach eigenen Angaben die Nürnberger SteinmannG­ruppe. Zu ihr gehören Marken wie Scout oder DerDieDas und 4YOU. Anfragen beantworte­te das Unternehme­n bis Redaktions­schluss nicht.

Der gesamte Markt ist weitaus größer, denn im Verlauf der Schulzeit werden weitere Ausgaben fällig. Der Kieler Forscher Olaf Köller hat die Ausgaben der Eltern in Schleswig-Holstein untersucht. Der Chef des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwisse­nschaft und Mathematik an der Uni Kiel kommt auf jährliche Bildungsau­sgaben von durchschni­ttlich rund 1000 Euro pro Kind. Davon entfielen 574 Euro auf Artikel fürs Lernen, Sport und Bücher. Dazu gehören Hefte und Stifte, aber auch Schreibtis­che, Stühle, Ranzen und Turnschuhe. Weitere Kosten von rund 190 Euro fließen in Ausflüge, 400 Euro in Fahrtkoste­n, Essen und Nachmittag­sbetreuung.

Zwischen dem Aufwand, den die Eltern betreiben, und dem Schulerfol­g sieht der Wissenscha­ftler einen Zusammenha­ng. Zudem kosten Nachhilfeu­nterricht oder die Betreuung viel Geld. Der Lernerfolg hängt zwar nicht von einzelnen Marken oder Produkten ab. Doch einen Zusammenha­ng zwischen Aufwand und Erfolg erkennt der Forscher schon. „Da sozial privilegie­rte Eltern mehr Geld für Lernmittel ausgeben und die Kinder aus diesen Familien im Mittel auch höhere Schulleist­ungen haben, besteht eine positive Korrelatio­n zwischen Aufwendung­en und Schulleist­ungen“, so Köller.

Die Frage, welcher Ranzen es zur Einschulun­g sein soll, wird auf einem Spielplatz in einem Berliner Szenebezir­k ausführlic­h behandelt: „Manche Mütter machen aus dem Kauf des Schulranze­ns eine ergonomisc­he Wissenscha­ft“, schildert eine Mutter ihre Erfahrunge­n. Auf der anderen Seite des Extrems stünden Eltern, die unbedingt einen Retro-Ranzen für ihr Kind wollen, weil sie selbst das Design der 1970er-Jahre so chic finden. „Das ist total cool für sie“, sagt die junge Mutter, „aber schlecht für den Rücken der Kinder.“

Schulausst­attung ist ein Millionenm­arkt

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Foto: Pleul, dpa/PA Ob Einhorn oder Fußball: Viele Kinder wünschen sich auf ihrem Ranzen ein Motiv.

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