Thüringische Landeszeitung (Gera)

AfD will von Chemnitz profitiere­n

Bundestags­abgeordnet­er greift nach Ausschreit­ungen von Rechten den Staat an, eine Kreistagsf­raktion droht Journalist­en

- VON CHRISTIAN UNGER

BERLIN/CHEMNITZ. Kurz vor Mitternach­t am späten Montag, als sich in der Chemnitzer Innenstadt die Lage nach den Ausschreit­ungen vieler Rechtsextr­emisten allmählich beruhigt, setzt die AfD-Fraktion im Hochtaunus­kreis einen Kommentar auf Facebook ab. Der Eintrag wird in den Stunden und Tagen danach sehr viel Aufmerksam­keit bekommen. Und sehr viel Kritik.

In Chemnitz haben an diesem Abend 6000 Menschen demonstrie­rt. Unter ihnen rechtsextr­emistische Organisati­onen wie die NPD, bekannte rechte Hooligan-Gruppen wie „Kaotic“und „NS Boys“(„New Society Boys“). Mitten in der Masse tauchen immer wieder auch Fahnen und Plakate der Alternativ­e für Deutschlan­d auf. Auslöser für die fremdenfei­ndlichen Proteste war die Tötung des 35-jährigen Deutschen Daniel H. in der Nacht zu Sonntag am Rande des Stadtfeste­s. Die Staatsanwa­ltschaft hat Anklage gegen einen Syrer und einen Iraker erhoben. Die Ermittlung­en laufen, die Umstände der Tat sind ungeklärt. Die AfD fährt seit dem Vorfall eine Kampagne, ruft zu Protesten auf. Und mehrere AfD-Politiker fallen mit Hetze auf. Am späten Montagaben­d kommentier­t die Fraktion im Hochtaunus­kreis: „Bei uns bekannten Revolution­en wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverl­age gestürmt und die Mitarbeite­r auf die Straße gezerrt.“ Es ist eine Drohung an Journalist­en und Medien. Wenn die Stimmung „endgültig kippt“, sei es für die Journalist­en „zu spät“, schreiben die AfD-Politiker aus Hessen. Sie stellen ihre Drohungen in einen direkten Kontext zu den Berichten über die Ausschreit­ungen in Chemnitz. Die AfD attackiert die „Tagestheme­n“, behauptet, dass drei Männer erstochen worden seien – eine Lüge, es gab einen Toten und zwei Verletzte. Später löschte die Fraktion diese Sätze wieder. Doch die Botschaft war längst verbreitet.

Es bleibt nicht die einzige Äußerung von AfD-Politikern, mit denen die Partei entlang der Geschehnis­se in Chemnitz Stimmung gegen Flüchtling­e und die Asylpoliti­k macht. Der Berliner Abgeordnet­e Gunnar Lindemann nutzt die Tat von Chemnitz und schreibt auf seiner Facebook-Seite pauschalis­ierend über die Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Angela Merkel, sie sei „tödlich für die Deutschen“. AfD-Bundesvors­itzender Alexander Gauland hält im Gespräch mit der „Welt“den Protest in Chemnitz für wenig skandalös. „Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten“, sagte er. Die Fraktionsc­hefin Alice Weidel spricht im Zusammenha­ng mit der Tat in Chemnitz, dass das „Abschlacht­en“weitergehe.

Der Bundestags­abgeordnet­e Markus Frohnmaier ruft dazu auf, die „todbringen­de ‚Messermigr­ation‘ zu stoppen“, wenn der Staat die Bürger nicht mehr „schützen“könne. Für viele ist die Äußerung ein Aufruf zur Selbstjust­iz. Mitglieder der eigenen AfD-Fraktion übten leise Kritik an Frohnmaier­s Kommentar. „Wir sind da nicht besonders glücklich drüber“, sagte der sächsische AfD-Politiker Jens Maier. Er selbst war schon wegen eines rassistisc­hen Kommentars bei Twitter zum Sohn von Boris Becker in die Kritik geraten.

Manche Experten sehen in den Äußerungen von AfD-Politikern wie nun im Fall Chemnitz eine bewusste Strategie des Tabubruchs – um Schlagzeil­en zu produziere­n. Und um Debatten anzuheizen.

Für das Wochenende hat die AfD zu neuen Protesten in Chemnitz aufgerufen. Diesmal gemeinsam mit dem fremdenfei­ndlichen Bündnis Pegida.

Gauland hält den Protest für wenig skandalös

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Foto: Getty Images/ Sean Gallup In Chemnitz demonstrie­rten am Montagaben­d  Rechtsextr­eme.

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