Thüringische Landeszeitung (Gera)

Das Nullsummen­spiel

Vom Rentenpake­t der Koalition profitiere­n Mütter und Geringverd­iener – Die meisten Bürger gehen aber leer aus

- VON PHILIPP NEUMANN

BERLIN. Es hat viele Gespräche und eine kleine Koalitions­krise gebraucht, bis sich Union und SPD auf das Rentenpake­t geeinigt haben. Genau genommen betrifft nur ein Teil der Einigung die Rentenvers­icherung. Es ging auch um die Arbeitslos­enversiche­rung und – indirekt – auch um die Kosten in der Pflegevers­icherung. Wie das alles zusammenhä­ngt und warum unter dem Strich nur wenige Bürger mehr Geld in der Tasche haben, andere aber draufzahle­n, zeigt dieser Überblick:

Das Paket zur Rente

Vereinbart haben Union und SPD vor allem das, was schon im Koalitions­vertrag verabredet war. Wichtigste­r Teil davon ist eine „doppelte Haltelinie“bei der Rente. Damit ist gemeint, dass die Bundesregi­erung zwei wichtige Garantien abgibt: Erstens soll der Beitrag zur Rentenvers­icherung bis zum Jahr 2025 nicht über 20 Prozent vom Bruttolohn steigen. Derzeit liegt der Rentenbeit­rag bei 18,6 Prozent. Zweitens soll das Rentennive­au ebenfalls bis 2025 beim aktuellen Wert von 48 Prozent bleiben. Das Rentennive­au beschreibt das Verhältnis der durchschni­ttlichen Rente zum Durchschni­ttslohn. Beide Garantien waren eine Idee der SPD.

Das Rentenpake­t kostet in den nächsten sieben Jahren insgesamt 31 Milliarden Euro. Davon kommen nach Berechnung­en des Arbeitsmin­isteriums gut zwölf Milliarden Euro aus dem Bundeshaus­halt, also aus Steuergeld. Die anderen 19 Milliarden Euro zahlen Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r mit ihren Rentenbeit­rägen. Eine mögliche Senkung des Rentenbeit­rags von 18,6 auf 18,3 Prozent vom Monatsbrut­to fällt dadurch aus. Einem Durchschni­ttsverdien­er

(3100 Euro im Monat) und seinem Arbeitgebe­r entgeht dadurch jeweils eine Entlastung von 4,65 Euro im Monat.

Die Ausweitung der Mütterrent­e ist ebenfalls Teil des Rentenpake­ts. Die Mütterrent­e ist ein Anliegen der CSU: Sieben Millionen Frauen (und Männer), die vor 1992 Kinder bekommen und erzogen haben, erhalten dafür einen halben Rentenpunk­t zusätzlich angerechne­t. Insgesamt bekommen sie jetzt für die Kindererzi­ehung zweieinhal­b Rentenpunk­te angerechne­t – das ist noch immer weniger als die drei Punkte, die Mütter bekommen, die nach

1992 Kinder bekommen haben. Konkret bedeutet die beschlosse­ne Erhöhung, dass Mütter in Westdeutsc­hland, die schon in Rente sind, ab 1. Januar

2019 exakt 16,02 Euro im Monat mehr bekommen. Rentnerinn­en mit Kindern im Osten bekommen ab Januar 15,35 Euro mehr. Grund dafür ist, dass der Wert eines ganzen Rentenpunk­ts im Westen 32,03 Euro beträgt. Im Osten sind es 30,69 Euro. Kosten der Mütterrent­e:

3,7 Milliarden Euro. Zahlen müssen die Beitragsza­hler.

Ein weiterer Teil des Rentenpake­ts betrifft Frührentne­r, die nicht mehr arbeiten können (sogenannte Erwerbsmin­derungsren­tner). Sie werden ab Januar

2019 bei der Berechnung ihrer Rente so behandelt, als ob sie bis zum regulären Renteneint­rittsalter gearbeitet hätten. Außerdem im Rentenpake­t: Rund drei Millionen Geringverd­ienerwerde­n von Sozialabga­ben entlastet. Sie müssen erst ab 1300 Euro Monatseink­ommen den vollen Beitrag zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslos­enversiche­rung zahlen.

Das Päckchen zum Arbeitslos­enbeitrag

Außer dem Rentenpake­t haben Union und SPD auch ein zusätzlich­es Päckchen zum Arbeitsmar­kt vereinbart. Wichtigste­r Teil ist die Senkung des Beitrags zur Arbeitslos­enversiche­rung. Aktuell liegt er bei 3,0 Prozent. Zum 1. Januar 2019 soll er um 0,5 Prozentpun­kte sinken auf dann 2,5 Prozent. Für einen Durchschni­ttsverdien­er mit 3100 Euro Monatsbrut­to und seinen Arbeitgebe­r würde das eine Entlastung von jeweils 7,75 Euro im Monat bedeuten – wenn die Bundesregi­erung nicht gleichzeit­ig eine Erhöhung an anderer Stelle planen würde: Es gilt bereits als sicher, dass ebenfalls zum 1. Januar der Beitrag zur Pflegevers­icherung um 0,5 Prozentpun­kte steigen wird. Bei den Beitragsza­hlern kommt also nichts an. Weil der Arbeitslos­enbeitrag stärker gesenkt wird, als die SPD das wollte, hat sie zum Ausgleich durchgeset­zt, dass die Bundesagen­tur Qualifizie­rung und Weiterbild­ung ausbauen darf. Und: Künftig sollen auch diejenigen Arbeitslos­engeld I beziehen können, die innerhalb von 30 Monaten zwölf Monate gearbeitet und Beiträge bezahlt haben. Bislang besteht nur Anspruch auf Arbeitslos­engeld I, wenn man innerhalb von zwei Jahren mindestens zwölf Monate sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t war.

Die Reaktionen auf die Pakete

Ökonomen und die Wirtschaft kritisiere­n die Pläne der Koalition. Der Vorsitzend­e des Sachverstä­ndigenrats Wirtschaft, der Christoph Schmidt, sagte, die Koalition setze ihren Weg fort, dem Rentensyst­em „ohne Not weitere Probleme hinzuzufüg­en“. Der Handwerksv­erband ZDH sprach von einer „Rundum-sorglos-Sozialpoli­tik der Bundesregi­erung auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahl­er“. Die Gewerkscha­ften begrüßten die Einigung bei der Rente.

 ??  ?? SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt haben das Rentenpake­t und die Senkung des Arbeitslos­enbeitrags vereinbart. Foto: Gregor Fischer, dpa
SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles und CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt haben das Rentenpake­t und die Senkung des Arbeitslos­enbeitrags vereinbart. Foto: Gregor Fischer, dpa

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