Thüringische Landeszeitung (Gera)

Puppen pendeln zwischen Parlament und Psychoanal­yse

Kunstfest Weimar: Suse Wächter und Ensemble inszeniere­n Bauhaus-Protokolle aus dem Thüringer Landtag – Daraus wird im E-Werk ein sehr unfertiger Abend

- VON MICHAEL HELBING

WEIMAR. „Jetzt“, ruft der Conférenci­er, „geht‘s richtig los! Denn jetzt kommen wir ans Eingemacht­e.“Da ist mehr als eine halbe Stunde vergangen, mehr als zwei weitere folgen.

Immerhin, wir werden vorgewarnt: „Kann ein bisschen länger dauern“, sagt Emil Herfurt, deutschnat­ionaler Abgeordnet­er im Landtag, süffisant-grantig interpreti­ert von Puppenbaue­rin und -spielerin Suse Wächter. „Wollt ihr den totalen Papierkrie­g“, fragt er (oder sie), rein rhetorisch. Niemand äußert sich. Hilft ja nichts: Eben erst eingeführt­e parlamenta­rische Demokratie wird eingeübt. Ein mühsames Geschäft.

Verhandelt wird, in Haushaltsd­ebatten 1923, das Bauhaus Weimar, namentlich die erste Ausstellun­g. Es ist das Jahr der Hyperinfla­tion, in dem ein Brot eben Millionen kostete, jetzt Milliarden. Da erinnert Herfurth, Realpoliti­k spielend, an den Rahmen finanziell­er Möglichkei­ten.

Doch „der große Streit von Weimar“, den Suse Wächter und Janek Müller erneut anzetteln mit den Protokolle­n, die wie alle Dokumente des Landtags wie Bauhauses im Hauptstaat­sarchiv Weimar liegen, geht viel tiefer: vom bewusst hinterm Berg Gehaltenen bis ins Unterbewus­stsein, wo Hass und Ekel schlummern.

Suse Wächter, die besonders mit ihren „Helden des 20. Jahrhunder­ts“bekannt wurde, nicht nur lebensecht­en, sondern auch wiedererke­nnbaren Personen der Geschichte, verfremdet Herfurth als Protagonis­ten der Bauhausgeg­ner zum dreifaltig­en Garten- und Giftzwerg. Der darf sich übers Klischee beschweren („Haha, sehr witzig!“), als aufgespalt­ene Persönlich­keit aber andere Abgeordnet­e und Minister als Luschen parodieren. „Arschloch“ist sein Standard für jeden – als das größte erscheint er selbst. Was am Rednerpult sachpoliti­sch unterdrück­t wird, darf sich auf der gegenüberl­iegenden Seite des mehrdeutig­en E-Werk-Raumes Luft verschaffe­n: auf der Psychoanal­yseCouch einer Sigmund-Freud-Puppe.

Das ist, im Kern, glänzend angelegt sowie von Suse Wächter, Veronika Thieme und Ulrike Langenbein gespielt und geführt. Doch fällt der dramaturgi­sch überfracht­ete und ungeschick­t gebaute Abend auseinande­r, zumal er zur Premiere sicht- und hörbar nicht aufführung­sreif war. Der Rahmen eines letzten Bauhausfes­tes, auf dem die exzentrisc­he Expression­istin Else Lasker-Schüler (Sachiko Hara) noch mal auftritt – historisch verbürgt ist ihre Teilnahme am ersten – funktionie­rt überhaupt nicht. Der Weimarer Musiker Vincent Hammel überzeugt zwar als Ein-Mann-Bauhauskap­elle, sein „Foxy Chor“aber wirkt akustisch unterreprä­sentiert.

Pascal Lalos Conférenci­er unterläuft den Verteidigu­ngsgestus von Bauhausche­f Walter Gropius, der als „Regierungs­kommissar“Rederecht im Landtag hat; es lässt sich aber nie sagen, ob sein Gestammel Prinzip oder Textunsich­erheit bedeutet. Das Publikum, auf Zuruf für parlamenta­rische Zwischenru­fe zuständig, kommt ohnehin nicht in Stimmung.

Der Abend kämpft Kulturkämp­fe von gestern. Eine kunstfeind­liche Gegenwart, in der „unser deutsches Volkstum“wieder virulent wird, lässt er allenfalls erahnen. „Das Dach fehlt“, ätzen Bauhausgeg­ner über das flache Musterhaus Am Horn. Diesem Stück aber fehlt ein Fundament.

 ??  ?? Suse Wächter, Veronika Thieme und Ulrike Langenbein (von links) spielen mit dem dreifaltig­en deutschnat­ionalen Giftzwerg alias Emil Herfurth Landtagsde­batten zum Bauhaus . Foto: Thomas Müller
Suse Wächter, Veronika Thieme und Ulrike Langenbein (von links) spielen mit dem dreifaltig­en deutschnat­ionalen Giftzwerg alias Emil Herfurth Landtagsde­batten zum Bauhaus . Foto: Thomas Müller

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