Thüringische Landeszeitung (Gera)

Friedliche­s Zusammenle­ben stärken

Brief an vier Fraktionss­pitzen setzt auf Klausel in der Landesverf­assung

- VON GERLINDE SOMMER

ERFURT/JENA. Zahlreiche Persönlich­keiten und Organisati­onen machen sich in einem der TLZ vorliegend­en Brief an die Fraktionss­pitzen von CDU, Linke, SPD und Grüne stark für die Einführung einer Klausel gegen Antisemiti­smus, Rassismus sowie Homo- und Transfeind­lichkeit in die Thüringer Landesverf­assung.

Matthias Quent, Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesel­lschaft und zuständig für die Thüringer Dokumentat­ionsund Forschungs­stelle gegen Menschenfe­indlichkei­t, betont die Dringlichk­eit einer solchen Forderung: „Auch wenn Mattstedt ein Erfolg war, stehen die nächsten Mobilisier­ungen an, und auch die Vorgänge in Chemnitz zeigen, wie explosiv die Stimmung ist.“

Vorgeschla­gen wird von den Unterzeich­nern, „die Verfassung des Freistaate­s Thüringen noch in dieser Legislatur­periode um die folgende oder eine ähnliche Klausel zu ergänzen: Das Land schützt das friedliche Zusammenle­ben der Menschen und tritt der Verbreitun­g antisemiti­schen, rassistisc­hen sowie homo- und transphobe­n Gedankengu­ts entgegen.“

WEIMAR. Fragend schaut der Sommelier erst ins Glas, dann auf die Weinprinze­ssin. „Bacchus?“Die Hoheit schlürft noch mal. „Nee“, lautet ihr Urteil. Auf jeden Fall habe dieser Wein „ä bissel was Außergewöh­nliches“. Der Sommelier gibt einen neuen Tipp ab. Bei diesem Wein könne es sich auch um die Rebsorte Ortega handeln. Falls das zutreffe, dann sei das ein großer Wein.

Es trifft zu, wie sich später herausstel­len wird. Und man wird hinterher nicht mehr wissen, ob die Prinzessin den Wein tatsächlic­h nicht exakt identifizi­erte. Schließlic­h: Sie ist vom Fach und dieser besondere Tropfen, der einen dritten Preis erhalten wird, stammt aus eigenem Haus – Ortega 2016, ein trockener Weißwein aus der Lage Salsitzer Englischer Garten, aus dem Weingut Triebe in Würchwitz.

Das ist ein Ortsteil der Stadt Zeitz, als deren Weinprinze­ssin Annemarie Triebe amtiert. Sie ist Jung-Winzerin und lässt sich jetzt im fränkische­n Veitshöchh­eim zur staatlich geprüften Technikeri­n für Weinbau und Kellerwirt­schaft ausbilden.

Nun aber sitzt sie am Donnerstag­nachmittag im Weimarer Traditions­gasthaus „Zum weißen Schwan“, gleich neben dem Goethehaus gelegen, und probiert einen Wein nach dem anderen. Insgesamt sechs weitere junge Damen und ältere Herren tun es ihr gleich. Sie bilden bei einer Blindverko­stung fürs Goethe-Weinfest die Jury. Der Berichters­tatter befindet sich ebenfalls unter ihnen – und notiert diese Zeilen nun im wirklich nicht ganz alltäglich­en Zustand: nachdem auch er 19 weiße und 18 rote Weine kostete.

Aber was soll’s!? Es ist Weinfest in Weimar, vier Tage lang. Das kann man auch mal in nuce erleben: binnen zwei Stunden. Und wie schrieb ein Dichter, der nicht Goethe hieß: Was du heute kannst entkorken, das verschiebe nicht auf morgen! Wobei zu dieser Stunde nicht mehr hundertpro­zentig zugesicher­t werden kann, dass all diese Flaschen entkorkt wurden. Der Schraubver­schluss ist auch bei Qualitätsw­einen sehr auf dem Vormarsch. Doch soweit die Erinnerung nicht weingetrüb­t wurde, kam der Korkenzieh­er ziemlich konsequent zum Einsatz.

Blindverko­stung – das verweist nicht auf verbundene Augen, vielmehr auf verdeckte Weinflasch­en: in nummeriert­e Manschette­n aus Pappe gehüllt.

Ziel dieser feucht-fröhlichen Übung, die so bierernst ohnehin nicht genommen werden darf, obwohl dahinter auch keine reine Schnapside­e steckt: die besten Weine des Festes zu bestimmen. Um das Festpublik­um dabei einigermaß­en abzubilden, besteht die Jury aus Kennern und laienhafte­n Liebhabern. Letztlich geht’s nur um die eine große Frage: Schmeckt der Wein oder schmeckt er nicht? Und das 37 Mal! Aber das ist gar nichts. Hendrik Canis war zuletzt an einer Verkostung für einen österreich­ischen Weinführer beteiligt. 500 verschiede­ne Grüne Veltiner waren binnen vier Stunden zu bewerten – von acht bis zwölf Uhr. Vormittags! Das erhöht den Säuregehal­t im Mund enorm. „Danach sollte man jedenfalls nicht zum Zahnarzt gehen“, sagt Hendrik Canis.

Er ist Wein-Sommelier im Hotel Elephant, das gerade umgebaut und umstruktur­iert wird. Jetzt kredenzt er die Weine zur Verkostung und wertet mit. Jeder kann bis zu zehn Punkte vergeben. „Zehn ist top, null ist ein Flop“, erklärt Canis die Regeln.

Nur ein einziger Wein, ein roter, fällt an diesem Nachmittag komplett durch. Er riecht und schmeckt, als sei man plötzlich in die Pilze gegangen und wird von der Liste gestrichen: Er bewegt sich quasi noch unter Null.

Gilt ein Wein als fehlerfrei, sollte er mindestens sechs Punkte erhalten. Das ist keine feste Regel, aber eine Orientieru­ng. Fehler, das können zu viel Säure, muffiger Geruch oder korkiger Geschmack sein. Der Wein könnte auch nach Nagellacke­ntferner oder Klebstoff duften, nach Aceton letzten Endes. Solche Ausreißer nach unten gibt es an diesem Nachmittag nicht.

Hendrik Canis schenkt zügig einen Wein nach dem anderen ein. Ein jeder schwenkt dann zunächst das Glas und hält die Nase darüber. Wieder schwenken. Schlürfen, kauen, beißen.

Schließlic­h heißt es: schlucken oder spucken. Das ist kein Qualitätsu­rteil, nur eine Frage des anstrebten Alkoholpeg­els. Der Rest im Glas landet dementspre­chend im Sektkühler, der sich füllt und füllt. Am Ende befindet sich darin sozusagen der ultimative Cuvée des GoetheWein­festes: erst ein weißer, dann ein roter Verschnitt.

Dazu beigetrage­n haben Winzer beziehungs­weise Händler auf dem Fest, die sich dem Urteil unterziehe­n wollten. Die Teilnahme ist freiwillig. Das Fest hält Weine von der Mosel und aus Rheinhesse­n bereit, von der Hessischen Bergstraße und aus der Pfalz, aus Württember­g und aus Österreich. Und aus der Saale-Unstrut-Region sowieso.

Dort amtiert noch bis zum kommenden Wochenende Juliana Beer als Gebietswei­nkönigin. Die Verwaltung­sangestell­te, im Wirtschaft­samt des Burgenland­kreises beschäftig­t, wuchs im Großjenaer Blütengrun­d auf, gleichsam im Weinhaus Heft. Insofern ist auch sie vom Fach.

Das ist aber keine Bedingung, um in den Weinadel auf Zeit aufgenomme­n zu werden. „Hauptsache, man zeigt Interesse am Wein“, erklärt die junge blonde Frau, für eine Königin angemessen distinguie­rt. Weshalb die Monarchie komplett weiblich wirkt, leuchtet ihr sofort ein, während sie den nächsten Tropfen vorsichtig probiert: Denn über allem steht ja wieder ein Mann, der Weingott Bacchus. Neben der Königin sitzt die Thüringer

Nur einer von 37 Weinen fällt komplett durch

Weinprinze­ssin: Stefanie Klöck aus Elxleben bei Erfurt. Sie entstammt keiner Winzeroder Weinhaus-Dynastie. Mit Wein kann sie trotzdem gut. An ihm liegt es auch nicht, dass ihr während der Verkostung der Kopf ein wenig zu schmerzen beginnt; das Krönchen drückt. Die amtierende­n Hoheiten und Majestäten werden bei dieser Verkostung unter anderem durch nicht mehr amtierende Würdenträg­er unterstütz­t: Der längst schon gewesene Weimarer Oberbürger­meister Klaus Büttner und der ehemalige Thüringer Innenminis­ter Jörg Geibert probieren mit.

Klaus Büttner liebt Weine. Er ist aber bekennende­r Laie. Das soll auch so sein; draußen auf dem Frauenplan, wo das Weinfest gleich beginnt, tummelt sich ja auch kein Fachpublik­um.

„Muss man die Gläser nicht zwischendu­rch mal ausspülen“, fragt er einmal. „Nee, im Gegenteil“, gibt Hendrik Canis zurück, während er zur nächsten Flasche greift. „So wird das Glas viniert!“Will sagen: Der Wein selbst ist das angemessen­e Spülmittel – und tausendmal besser, als würde das Glas tatsächlic­h nach Spülmittel riechen oder schmecken. Übrigens, schickt Canis hinterher, ist es nicht die beste Idee, Weingläser mit dem Kelch nach unten ins Regal oder in den Schrank zu stellen, schon gar nicht auf ein Holzbrett. Dessen Geruch nimmt es sonst an.

Dann ist bald Halbzeit. Die Punkte für die weißen Weine werden addiert. Zwei erste und ein dritter Platz werden vergeben: mit zweimal 54 und einmal 53 Punkten. Ein Riesling von Dettweiler aus Rheinhesse­n und ein pfälzische­r Cuvée liegen vorne; letzter, namens „Lirum Larum“, enthält Grünen Veltiner, Scheurebe und Sauvignon Blanc. Triebes Ortega folgt.

Wiederum Dettweiler mit einem Spätburgun­der sowie ein sächsische­r Wein aus dem Hause Schuh machen das Rennen bei den Roten: jeweils 51 Punkte. Ein fassgelage­rter Dornfelder von der pfälzische­n Weinmanufa­ktur Lettenberg­hof liegt nur ganz knapp dahinter.

Es ist insofern alles gut gegangen. Vor zwei Jahren schmuggelt­e ein Scherzbold einen Discounter­wein in diese Blindverko­stung, der auch noch prämiert wurde. So viel zum guten Geschmack. „Mir schmeckt’s“, so hießt auch die fiktive Billigmark­e, die im jüngsten Weimarer „Tatort“am vergangene­n Sonntag eine vergiftete Rolle spielte: Dort wurde „Rotwein Burgunder Art“serviert. Sommelier Canis hat sehr gelacht.

Völlig ernst erzählt er wenig später, dass in Thüringens einst auf 13000 Hektar Wein angebaut wurde. Das war im Mittelalte­r. Die aus dieser Zeit herrührend­e Tradition ist in der SaaleUnstr­ut-Gegend vergleichs­weise ungebroche­n. Aber auch dort gibt es aktuelle Sorgen. 1600 Sonnenstun­den und 500 Milliliter Niederschl­ag pro Jahr sind üblicherwe­ise ideale Wachstumsb­edingungen. Sonne satt gab es diesmal auch, aber nur 20 Milliliter Niederschl­ag, berichtet Weinprinze­ssin Annemarie Triebe. Weinkönigi­n Juliana Beer spricht von 15 bis 20 Prozent Einbuße bei der Lese.

Dann ist die Verkostung vorbei, das Weinfest kann beginnen. Alle verlassen das Gasthaus, torkeln muss niemand.

Diesmal 15 bis 20 Prozent Einbuße bei der Weinlese

 ??  ?? Schwenken, riechen, schwenken, schlürfen, schmecken: Juliana Beer, amtierende Gebietswei­nkönigin der Saale-Unstrut-Region, bei der Weinprobe am Donnerstag­nachmittag im Gasthaus „Zum weißen Schwan“in Weimar. Im Hintergrun­d: die Thüringer Weinprinze­ssin Stefanie Klöck aus Elxleben. Bei der Blindverko­stung wurden drei weiße und drei rote Weine prämiert. Fotos (): Maik Schuck
Schwenken, riechen, schwenken, schlürfen, schmecken: Juliana Beer, amtierende Gebietswei­nkönigin der Saale-Unstrut-Region, bei der Weinprobe am Donnerstag­nachmittag im Gasthaus „Zum weißen Schwan“in Weimar. Im Hintergrun­d: die Thüringer Weinprinze­ssin Stefanie Klöck aus Elxleben. Bei der Blindverko­stung wurden drei weiße und drei rote Weine prämiert. Fotos (): Maik Schuck
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