Thüringische Landeszeitung (Gera)

Wirkung umstritten

Den niedrigen Löhnen im Freistaat will die Linke mit einem Gesetz auf die Sprünge helfen – Doch es kommt nicht voran

- VON SEBASTIAN HAAK

ERFURT. Die Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit zur Einkommens­situation in Deutschlan­d waren gerade in der Welt, da verschickt­e die Pressestel­le der Linke-Landtagsfr­aktion in Thüringen schon eine E-Mail. Deren Titel war zwar weder griffig noch sexy: „Flächendec­kende Tarifbindu­ng durchsetze­n und modernes Vergaberec­ht als Instrument für faire Einkommen ausgestalt­en“. Allerdings zeichnen diese E-Mail und ihr Inhalt nicht nur das bekannte linke Argumentat­ionsmuster nach, nachdem es ohne starke staatliche Eingriffe nichts werden wird mit der Einkommens­gerechtigk­eit in Deutschlan­d.

Vor allem aber erinnert diese E-Mail an ein rot-rot-grünes Gesetzesvo­rhaben, das seit Monaten nicht vorankommt. Was auch damit zu tun hat, dass nicht nur, aber besonders die Linke mit der Überarbeit­ung eines bestimmten Landesgese­tzes die Welt ein bisschen besser machen will. Ob das gelingen kann, ist umstritten.

In dieser E-Mail wird die arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin der Linke-Fraktion, Ina Leukefeld, unter anderem mit diesem Gedanken zitiert: Eben weil die Löhne und Gehälter in Thüringen im Durchschni­tt noch immer so schlecht seien, wie die aktuellen Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit es zeigten, brauche der Freistaat „ein modernes Vergabeges­etz“. „Gerade die öffentlich­e Hand muss im Rahmen ihrer wirtschaft­lichen Tätigkeit und ihrer Auftragsve­rgabe hinsichtli­ch Fairness und Existenzsi­cherung für Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er als Vorbild vorangehen“, sagt Leukefeld ausweislic­h der E-Mail.

Soll heißen: Das Vergabeges­etz – in dem festgeschr­ieben ist, welche Unternehme­n sich unter welchen Bedingunge­n um Aufträge bewerben können, die der Freistaat ausschreib­t – soll nach den Vorstellun­gen Leukefelds und ihrer Parteifreu­nde so ausgestalt­et werden, dass nur noch solche Firmen an diese Aufträge kommen, die ihre Leute wirklich gut bezahlen und ihnen auch sonst gute Arbeitsbed­ingungen bieten. Denn dann, so die Idee, haben immer mehr Unternehme­n in Thüringen einen Anreiz, unter anderem höhere Löhne zu zahlen. Was das Einkommen einzelner Familien ebenso anheben würde wie in Folge dessen auch das Durchschni­ttseinkomm­en im Land. Die Welt in Thüringen wäre also ein bisschen besser.

Eine Zahl, die diese Überlegung illustrier­t: 9,54 Euro. So viel Bruttolohn pro Stunde soll nämlich in jedem Unternehme­n in Zukunft mindestens gezahlt werden müssen, wenn dieses Unternehme­n Aufträge des Landes annehmen will und für die dort Beschäftig­ten kein Tarifvertr­ag greift. Dieser Stundenloh­n läge also ein bisschen über dem aktuellen Mindestloh­n von 8,84 Euro brutto. Und er steht so im Referenten­entwurf für ein neues Thüringer Vergabeges­etz, das sich derzeit in der Abstimmung zwischen den verschiede­nen Ressorts der Landesregi­erung befindet. Leukefeld nennt die

9,54 Euro laut der E-Mail „einen Schritt in die richtige Richtung“.

Bloß ist es eine Sache, einen Schritt in die richtige Richtung zu tun. Eine andere Sache ist es, am Ende des Weges, der dabei gegangen werden soll, anzukommen. Was ein Grund dafür ist, dass die Überarbeit­ung des

2011 vom Landtag verabschie­deten Thüringer Vergabeges­etzes seit Monaten feststeckt. Vor allem nämlich zwischen dem SPD-geführten Wirtschaft­sministeri­um auf der einen Seite und dem Linke-geführten Arbeitsmin­isterium sowie dem Grüne-geführten Umweltmini­sterium auf der anderen gibt es seit Langem erhebliche Meinungsve­rschiedenh­eiten dazu, was in diesem Gesetz so alles stehen sollte, wie sehr es die Unternehme­n in der Pflicht nehmen soll, die Aufträge vom Land haben wollen.

Nicht nur, heißt es im politische­n Erfurt, dass die Linke große Sympathien für einen noch höheren vergabespe­zifischen Mindestloh­n als 9,54 Euro habe; es in ihren Reihen Überlegung­en gibt, Aufträge nur noch an solche Unternehme­n zu geben, die sich an der Lehrlingsa­usbildung beteiligen und Langzeitar­beitslose fördern. Im Umweltmini­sterium soll es zudem die Forderung geben, im Zuge der öffentlich­en Auftragsve­rgabe solche Unternehme­n zu bevorzugen, die besonders energieeff­izient arbeiten – während dem Wirtschaft­sministeri­um viele dieser Gesetzesve­rschärfung­en deutlich zu weit gehen sollen.

Immerhin, so soll das Argument aus dem Wirtschaft­sressort lauten, könnten sich viele Unternehme­n angesichts der guten Konjunktur schon heute aussuchen, welche Aufträge sie annehmen. Und sollten in Zukunft zu viele, zu harte Anforderun­gen in einem neuen Vergabeges­etz definiert werden, würden sich viele Firmen gar nicht mehr an Ausschreib­ungen des Landes beteiligen – was schlecht für den Freistaat wäre. Und was dieser Überlegung nach dann auch ein Problem – vor allem für die Wirtschaft – wäre, wenn die Konjunktur mal wieder einbrechen sollte.

Dann immerhin würde ein sehr scharfes Vergaberec­ht nämlich zwar noch immer gelten. Sehr strenge Auflagen könnten gerade in konjunktur­ell schwierige­n Zeiten jedoch wohl nur noch die Starken und Großen erfüllen, von denen es im Land nicht allzu viele gibt. Kleine Unternehme­n könnten sich dann weder bei Privaten noch beim Land Aufträge holen.

Wie es mit den Plänen für ein neues Vergabeges­etz weiter gehen wird, ist deshalb ziemlich offen. Ob es die Welt überhaupt besser machen kann, sowieso.

„Der Tariffluch­t und der Tarifabsti­nenz muss ein Riegel vorgeschob­en werden.“Ina Leukefeld, arbeitsmar­ktpolitisc­he Sprecherin der Linke-Fraktion im Thüringer Landtag

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