Thüringische Landeszeitung (Gera)
Wehrhaftigkeit der Demokratie stärken
Mehr als 80 Personen und Vertreter von Gruppen fordern Rot-Rot-Grün und CDU zur Gefahrenabwehr auf – Rassistische Agitation auch durch AfD im Blick
ERFURT/JENA. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat festgestellt, dass im Vorjahr 40 von 140 bundesweit den Ländern zuzuordnenden Rechtsrock-Konzerten in Thüringen stattgefunden haben.
Das entspricht 29 Prozent aller Rechtsrock-Konzerte in Deutschland, obwohl in Thüringen weniger als drei Prozent der deutschen Bevölkerung leben. Mobit, die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen, zählte 2017 sogar 60 rechtsextreme Konzerte in Thüringen. In den 1990er-Jahren waren es maximal bis zu 1000 Neonazis, die zu meist konspirativen Konzerten in Thüringen zusammenkamen. In diesem Milieu radikalisierte und vernetzte sich der spätere rechtsterroristische „Nationalsozialistische Untergrund“(NSU). 2017 kamen mehr als 6000 Rechtsextreme nach Themar. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die fragwürdige „Beliebtheit“des Freistaats für rechtsextreme Festivals in den kommenden Jahren sinken wird, auch wenn jüngst in Mattstedt die Rechnung jener, die mit Neonazi-Rock Geld für rechtsextreme Zwecke machen wollten, nicht aufging.
Dies alles nahmen jetzt mehr als 80 Einzelpersonen und Gruppen nicht nur aus Thüringen zum Anlass, einen Brief an die Fraktionsspitzen von RotRot-Grün und CDU zu schicken. Trotz großer gemeinsamer Bemühungen und Anstrengungen von Politik und Zivilgesellschaft sei es „bisher nicht gelungen, dieses Rechtsextremismusproblem in Thüringen in den Griff zu bekommen“, heißt es. Staat und Politik in Thüringen dürften nicht den Eindruck zulassen, dass die Öffentlichkeit rechtsextremen Hasskonzerten, rassistischer Rhetorik und vorurteilsgeleiteten Straf- und Gewalttaten ohnmächtig gegenüberstehe. „Entfremdung und Vertrauensverluste in Politik und Staat können die Folge sein“, warnen die Unterzeichnenden. Ihre Liste ist lang und breit gefächert. Sie reicht alphabetisch geordnet von Uwe Adler, Sprecherrat Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar, bis Harald Zeil, Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts. Vertreten sind Professoren der Rechtswissenschaft wie der Sozialwissenschaften, der Schulpädagogik, Politikwissenschaftler, Antisemismusforscher, Historiker, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wie der Jüdischen Landesgemeinde, um nur einige zu nennen. Gruppen wie der Flüchtlingsrat, Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra und erza – Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen gehören ebenso zum Kreis der Unterzeichner wie Gewerkschafter, LSVD-Vertreter und Hasko Weber, Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Erreichen wollen sie, dass „angesichts der vielschichtigen Bedrohungen durch Antisemitismus und Rassismus und anderer Formen der Abwertung von Minderheiten, die sich in der Vielzahl rechtsextremer Hasskonzerte in Thüringen besonders aggressiv zeigen, die Verfassung des Freistaates Thüringen noch in dieser Legislaturperiode“ergänzt werden soll um den Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Menschen. Zugleich soll verdeutlicht werden in der Verfassung, dass der Freistaat „der Verbreitung antisemitischen, rassistischen sowie homound transphoben Gedankenguts entgegentritt“.
Eine solche Demokratieklausel bedeute eine Konkretisierung der Grundlagen der wehrhaften Demokratie und erhebe die Abwehr rassistischer Agitationen explizit zum Staatsauftrag, machen die Unterzeichner deutlich. Dieser Verfassungsnorm sei die Gesellschaft ebenso verpflichtet wie die Politik und die Bediensteten des Landes. Es wird auch erklärt, warum die Unterzeichner die AfD erst gar nicht ansprechen: „Den demokratischen Wertekonsens stellen neben den Neonazis auch geschichtsrevisionistische und ethnopluralistische Agitationen aus dem Spektrum der Neuen Rechten sowie des Rechtspopulismus infrage, die sich unter anderem im völkischen Flügel der AfD um den Thüringer Abgeordneten Björn Höcke konzentrieren“, heißt es da. In einem Positionspapier polemisierte, so heißt es in dem Brief, „die Thüringer AfD-Landtagsfraktion im Mai 2018 unverhohlen rassistisch unter anderem gegen die ‚Durchmischung der Bevölkerung mit Personengruppen anderer Hautfarbe‘“.