Thüringische Landeszeitung (Gera)
Auftakt mit Christa Wolfs „Kassandra“
Jenaer Lesemarathon lockt zwischen 27. Oktober und 1. Dezember mit zahlreichen Veranstaltungen und spannenden Autoren
JENA. Vor einigen Jahren war das erfolgreiche Autorengespann Iny Lorentz schon einmal zum Jenaer Lesemarathon eingeladen. Doch das Duo sagte ab, weil der Lesetermin im Herbst zu viel Kälte verhieß. Damals planten die beiden Autoren, mit dem Wohnwagen anzureisen. In diesem Jahr werden sie nun nach Jena kommen „und im Hotel schlafen“, wie die „Lesemarathon“-Verantwortliche Angela Schubert verrät.
Das Literaturfestival der Ernst-Abbe-Bücherei erlebt vom 27. Oktober bis 1. Dezember seine 24. Auflage. Thüringer Autoren sind mit ihren Neuerscheinungen ebenso vertreten wie überregionale Akteure, Belletristik genauso wie Sachbücher. Den Auftakt macht das Turmalin-Theater, das bundesweit für seine Solo-Inszenierungen bekannt ist. Es wird Christa Wolfs „Kassandra“auf die Bühne bringen.
Zu den Thüringer Vertretern gehört Dietmar Remy mit seiner Biografie über den Zeiss-Generaldirektor Wolfgang Biermann. „Das Buch wird bei uns sehr viel ausgeliehen“, sagt Bücherei-Mitarbeiterin Schubert. Ebenfalls eine Neuheit aus dem Freistaat ist Steffen Menschings hochgelobter Roman „Schermanns Augen“. Darin erinnert der Rudolstädter Theaterintendant und Autor an den Wiener Graphologen Rafael Schermann, der in den Goldenen Zwanzigern anhand von Schriftanalysen die Zukunft vorhersagte und im Zweiten Weltkrieg nach Sibirien deportiert wurde.
Auch der neue Roman von Iny Lorentz hat einen Thüringen-Bezug. „Die Wanderhure und die Nonne“spielt im hiesigen Schiefergebirge. Darin gerät Wanderhure Marie in die erbitterte Fehde zweier Thüringer Adelsgeschlechter.
Auch ein Dauerlauf: Thieme und Quilitzsch im Gespräch
„Ich Hoeneß Kohl“heißt der zweite Gesprächsband des Weimarer Schauspielers Thomas Thieme und des Journalisten Frank Quilitzsch, der zum 70. Geburtstag Thiemes herauskommt. Seit nunmehr 17 Jahren sind die beiden für die TLZ quasi im Dauergespräch, mehr als 200 rasante, witzige, doch stets fachkundige Interviews sind daraus hervorgegangen. Diesmal dreht sich alles um Thiemes große Filmrollen – als Kanzler Helmut Kohl, Fußballlegende Uli Hoeneß und Kommissar im Erfurter Schlöndorff-Krimi. Ein ExklusivInterview mit dem Ballkünstler Günter Netzer über Faust und Fußball rundet den Band ab. Jena ist die zweite Station nach der ausverkauften Buchpremiere im Theater Erfurt.
Bei der Programm-Planung berücksichtigt die Abbe-Bücherei auch Publikums-Anregungen, wie im Fall der Schriftstellerin Iris Wolff. Eine Leserin hatte angefragt, warum die Bibliothek kein Buch der Autorin im Bestand hätte. Mitarbeiterin Angela Schubert sagte der Name nichts, doch nachdem sie den ersten Roman gelesen hatte, war sie von Wolffs „Sprachgewalt sehr angetan“. Jetzt können die Nutzer aus drei Werken der Autorin wählen. Obendrein kommt sie zum Lesemarathon und stellt ihr aktuelles Werk „So tun, als ob es regnet“vor. Es handelt unter anderem von einem Motorradfahrer, der überzeugt ist, dass er sterben und die Mondlandung der Amerikaner versäumen wird. Und von einer Frau, die die Ausfahrt eines Fischerbootes beobachtet, das nie mehr zurückkehren wird. „Über vier Generationen des 20. Jahrhunderts und vier Ländergrenzen hinweg erzählt Iris Wolff, geboren 1977 in Hermannstadt/Siebenbürgen, wie historische Ereignisse die Lebenswege von Einzelnen prägen“, heißt es.
Büchner-Preisträgerin Zsuzsa Bánk zählt wie auch der große bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan zu den renommiertesten Künstlern der diesjährigen Ausgabe. Bánk liest in Jena aus ihrem Briefroman „Schlafen werden wir später“. Goethe-Medaillen-Preisträger Karahasan entführt ins 11./12. Jahrhundert, als der Islamismus im SeldschukenReich seinen Anfang nahm.
Zu den Partnern des Lesemarathons gehört der Lesezeichen e.V., unter dessen Ägide die Ausstellung „Die Liebe: zwangsjackenschön – Zeichnungen von Andreas Berner zu Gedichten von Paul Celan“entsteht, nebst eines reichen Rahmenprogramms. Dass diesmal keine größere Veranstaltung im Volkshaus-Saal stattfindet, ist dem Umbau des Hauses geschuldet. Im nächsten Sommer wird die Bibliothek aller Voraussicht vom Volkhaus in die ehemalige Jenaer Augenklinik ziehen, bevor sie dann 2023 ihr neues Domizil am Engelplatz eröffnet. ● Karten gibt es in der Jenaer Touristinformation, online unter tickets.vibus.de sowie an der Abendkasse.