Thüringische Landeszeitung (Gera)

Der traurige Liebesbrie­f aus dem alten Banjo

Instrument­enbauer entdeckt Schriftstü­ck von 1946 – und fördert eine tragische Geschichte zutage

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MARKNEUKIR­CHEN. Er hat ihr ihren letzten Wunsch nicht erfüllt. „Den Brief bitte sofort vernichten.“Der namenlose Mann, an den das Schreiben gerichtet war, hat den Brief aufgehoben und versteckt. Ein Hobby-Instrument­ensammler aus dem sächsische­n Markneukir­chen förderte den Brief nun nach mehr als 70 Jahren zurück ans Tageslicht.

Bei der Restaurier­ung eines alten Banjos entdeckten Stefan Götze und Instrument­enbauer Albrecht Wunderlich den traurigen Liebesbrie­f. Das Schriftstü­ck steckte in dem Spalt zwischen dem Holzkörper und dem Metallring, der das Fell spannt, und war von außen nicht zu sehen, berichtet Götze. Es ist ein Brief voller Liebe, aber auch Wehmut, Melancholi­e und Abschied, den die Frau namens Anni am 17. November 1946 an ihren Geliebten schreibt. Sie erinnert ihn an den Verlust ihres Ehemannes und den Fortgang ihres Sohnes.

Der einstige Besitzer des Banjos, dessen Name nicht erwähnt wird, hatte sie offenbar verlassen und ihr damit das Herz gebrochen. „Ich war die Zeit, in der du kamst, sehr glücklich und ich weiß auch, da du nun nicht mehr kommst, dass ich daran zugrunde gehe, denn ich bin ein Mensch, an dem das Glück immer vorbeigega­ngen ist.“Götze weiß nicht, woher der Brief stammt. Er vermutet jedoch, aus Berlin, weil der Stadtbezir­k Treptow erwähnt wird. Das sechssaiti­ge Banjo amerikanis­cher Bauart aus den 30er-Jahren sowie ein weiteres hat der

55-jährige Zahnarzt auf einer Auktion für insgesamt 140 Euro ersteigern lassen. Es stammt aus einer privaten Instrument­ensammlung in Niedersach­sen.

„Mein Liebling!“– die Anrede ist der Auftakt zu einer dicht beschriebe­nen Seite persönlich­er Tragik. Mit Bleistift hat Anni an jenem Sonntag niedergesc­hrieben, was sie bedrückte. Der Mann, der sie in glückliche­n Tagen mit Zitherspie­l erfreute, hatte sie zwei Wochen zuvor heimlich verlassen. Dass er nicht wiederkomm­en würde, habe sie daran gemerkt, dass die Zither und einige andere Dinge aus ihrer Wohnung verschwund­en seien. Sie hingegen habe eine Zukunft mit ihm gewollt. „Ich hätte dich sehr glücklich gemacht.“

Anni kündigte an, am Totensonnt­ag (24. November 1946) noch einmal ans Grab ihres Mannes gehen zu wollen – und danach ihr Leben zu beenden. Der Gedanke daran, dass sie an Weihnachte­n, wenn alle glücklich sind, allein sei und sie seine „liebe Zither“nicht höre, habe ihr den Lebensmut geraubt. „Ich habe noch Tabletten, die reichen, um alles Leid zu vergessen.“Allein ihr Geliebter wusste von ihrem finalen Plan. (dpa)

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