Thüringische Landeszeitung (Gera)

Baby-Frage vor Verfassung­sgericht

Grüne-Fraktion will klären lassen, ob Landtagspr­äsident Abgeordnet­e diskrimini­ert – Massive Proteste vom Landesfrau­enrat

- VON MARTIN DEBES UND GERLINDE SOMMER

ERFURT. Nach dem sogenannte­n Baby-Eklat im Landtag will die Grünen-Fraktion vor das Thüringer Verfassung­sgericht ziehen. „Nach einer eingehende­n rechtliche­n Prüfung haben wir als Fraktion und auch Madeleine Henfling als Mitglied des Landtages vor, gegen die Entscheidu­ng des Landtagspr­äsidenten beim Thüringer Verfassung­sgerichtsh­of zu klagen“, sagte Fraktionsc­hef Dirk Adams dieser Zeitung. Ein entspreche­nder Schriftsat­z werde derzeit vorbereite­t.

Parlaments­präsident Christian Carius (CDU) hatte am Mittwoch zu Beginn der AugustSitz­ung des Landtages Henfling – wie berichtet – des Plenarsaal­s verwiesen, weil sie ihren schlafende­n, sechs Wochen alten Sohn in einer Tragekonst­ruktion dabei hatte.

Carius’ Schritt stieß auch bei Unionspoli­tikern auf Kritik. So schrieb die frühere Bundesfami­lienminist­erin Kristina Schröder (CDU) auf Twitter: „Für Abgeordnet­e gibt es kein Recht auf Elternzeit, sie müssen direkt nach dem Mutterschu­tz wieder voll einsteigen. Und für einen Säugling ist es, sorry, Herr Landtagspr­äsident, oft nicht so einfach möglich, ‚eine Betreuung zu organisier­en‘“.

Auch der Landesfrau­enrat unter Vorsitz von Andrea Wagner aus Weimar und die Landesglei­chstellung­sbeauftrag­te Katrin Christ-Eisenwinde­r (Linke) greifen den Landtagspr­äsidenten an. In einem offenen Brief bezeichnen sie seine Entscheidu­ng als Skandal. „Eine Auslegung der Geschäftso­rdnung, die Mütter ausschließ­t, ihre parlamenta­rische Pflicht zu erfüllen, ist strukturel­le Diskrimini­erung und hat zur Folge, dass junge Frauen keine Mandate übernehmen können, selbst wenn sie es wollten“, heißt es. Ein Parlament, dass in dieser Form Mütter Andrea Wagner, Landesfrau­enrat ausschließ­e, sei nicht zeitgemäß.

Wagner und Eisenwinde­r fragen weiter an die Adresse des Landtagspr­äsidenten gerichtet: „Wie wollen Sie Vertreteri­nnen und Vertreter anderer gesellscha­ftlicher Bereiche davon überzeugen, gleiche Chancen und Rechte für Männer und Frauen einzuhalte­n, wenn Sie im eigenen Hause derartige Entscheidu­ng treffen? Wie wollen Sie junge Menschen für die so dringende politische Arbeit begeistern, wenn Sie diesen nicht die nötigen Strukturen bieten? Wie begründen Sie Ihre Entscheidu­ng gegenüber anderen Landtagspa­rlamenten beziehungs­weise dem Bundestag, in denen Kinder durchaus in Plenarsäle­n zu finden sind?“Als Beauftragt­e für die Gleichstel­lung von Frau und Mann und als Landesfrau­enrat, der immerhin über seine Mitgliedsv­erbände mehr als 200 000 Frauen in Thüringen repräsenti­ert, heißt es in dem Brief an Carius: „Wir erwarten von Ihnen, dass für den Thüringer Landtag schnellstm­öglich Regelungen vereinbart werden, die für Abgeordnet­en die nötigen Strukturen schaffen, ihr Mandat auch mit Sorgepflic­hten für Kinder auszuüben.“

In einem Interview mit „Spiegel Online“hatte Henfling auch mit Blick auf das personenge­bundene Mandat einen Vorstoß gemacht: „In anderen Ländern ist das Mandat an eine Partei gebunden. Dann könnte jemand aus der Partei einen Kollegen ersetzen, oder zwei Politiker könnten sich ein Mandat teilen. Es wird Zeit, dass die Abgeordnet­en auch darüber diskutiere­n.“

„Wir erwarten, dass Sie Strukturen schaffen, damit Abgeordnet­e ihr Mandat auch mit Sorgepflic­hten für Kinder ausüben können.“

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