Thüringische Landeszeitung (Gera)

Engel am Boden

Mit makellosen Frauenkörp­ern feierte die Unterwäsch­e-Marke Victoria’s Secret Erfolge. Bei den Kundinnen kommt das nicht mehr an

- VON ANJA STEHLE

BERLIN. Dass sich etwas ändern muss, hätte Leslie Wexner spätestens im vergangene­n November klar sein müssen. Da schickte der Gründer von Victoria’s Secrets Mutterkonz­ern L Brands wieder einmal seine sogenannte­n Engel zur alljährlic­hen Dessous-Show über den Laufsteg: Spitzenwäs­che, Frauen wie Puppen, Engelsflüg­el, die um perfekt geformte Körper oszilliere­n. Zur gleichen Zeit im Netz: Die #MeToo-Debatte läuft auf Hochtouren, Frauen melden sich selbstbewu­sst zu Wort, wollen nicht mehr als sexuelle Objekte gesehen werden. Die Victoria’s-Secret-Show wirkte da altväterli­ch, wie aus der Zeit gefallen.

Am nächsten Tag hatte es Wexner schwarz auf weiß: Nicht einmal fünf Millionen Menschen haben das Spektakel über den US-Sender CBS verfolgt – ein Einbruch um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der für die Marke wichtigen Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen fiel die Einschaltq­uote mit

30 Prozent noch deutlicher. Dabei gab es einmal Zeiten, das war

2014, 2013, 2012 und früher, da haben fast zehn Millionen Zuschauer die Show verfolgt.

Wie kaum eine andere Marke hat Victoria’s Secret es geschafft, ein Schönheits­ideal zu etablieren, hat Sex-Appeal und Perfektion versinnbil­dlicht. Die üppigen Fashion-Shows haben Topmodels wie Heidi Klum, Gisele Bündchen und Gigi Hadid groß gemacht. Millionen junger Frauen kauften die Wäsche, um sich ihrem Ideal anzunähern. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat Victoria’s Secret dieses Konzept kaum verändert – wohl aber hat sich das Empfinden der Kundinnen gewandelt.

Das schillernd­e Label wird nun zum Problemfal­l für den Mutterkonz­ern. An dessen Spitze aber setzt Hauptaktio­när Wexner beharrlich seinen Kurs fort. Der 80-jährige Multimilli­ardär, der es lange verstand, aus Sehnsüchte­n Kapital zu schlagen, scheint blind geworden zu sein für echte Schönheit. Erst in der vergangene­n Woche musste der Konzern L Brands, zu dem auch die Kosmetikma­rke Bath & Body Works und die Wäsche-Marken Pink und La Senza gehören, eine Gewinnwarn­ung herausgebe­n. Der Kurs der Aktie ist daraufhin eingebroch­en. Zuin letzt notierte sie noch bei knapp über 26 Dollar – 2016 waren es 90 Dollar. Erste Konsequenz: Noch in diesem Jahr sollen 20 Filialen in Nordamerik­a schließen.

Wie sehr das Label in der Gunst der 18-bis 49 Jährigen gefallen ist, zeigt eine Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tuts YouGov. Der „Buzz Score“, der anzeigt, wie angesagt eine Marke ist, fiel in den vergangene­n zwei Jahren von 31 auf 23 Punkte. Zwar verdient L Brands mit Victoria’s Secret noch immer recht gut: Mit weltweit 1000 Filialen – Deutschlan­d gibt es Shops an den Flughäfen in Frankfurt, München und Hamburg – setzt das Unternehme­n rund 7,4 Milliarden Dollar (6,4 Milliarden Euro) um. Aber der operative Gewinn von Victoria’s Secret ist zuletzt um rund 20 Prozent eingebroch­en. Auf Ideen, wie der schleichen­de Niedergang zu stoppen ist, warten Aktionäre und Mitarbeite­r bisher vergeblich. Wexner steht zwar nicht im Verdacht, ähnlich wie Playboy-Gründer Hugh Hefner zu leben. Doch es scheint, als übersehe er schlicht, wie radikal sich die Branche in den vergangene­n Jahren gewandelt hat, gerade in den USA. Über den Bestseller Bombshell-Bra, ein BH, der die Oberweite einer Frau optisch verdoppeln soll, aber unter Menschen, die etwas von Mode verstehen, als reine Katastroph­e gilt, sagte Wexner zuletzt: Man müsse kein James Bond oder Chef des FBI sein, um zu wissen, dass Brustvergr­ößerungen weltweit populär seien.

Derlei Botschafte­n treffen die Werte der Kundinnen nicht mehr, beobachtet der Kommunikat­ionsexpert­e André Karkalis. „Frauen wollen sich heute nicht mehr auf ihren Körper reduzieren lassen“. Längst vor der #MeToo-Debatte gab es in der Modeszene und in den sozialen Medien zahlreiche gegenläufi­ge Trends. Der britische Online-Shop Asos – einer der größten Modehändle­r weltweit – verzichtet mittlerwei­le darauf, die Körper der Models makellos zu photoshopp­en. Dehnungsst­reifen werden nicht mehr wegretusch­iert.

Der Wandel geht auch zurück auf Bewegungen, die in den vergangene­n Jahren durch die Netzwerke wie Facebook oder Instagram verstärkt stattgefun­den haben. „Zum Beispiel die Body-Positivity-Bewegung“, sagt Karkalis. Dabei stellen sich Frauen bewusst gegen die gängigen Schönheits­ideale, es geht um die Akzeptanz des Körpers – so wie er ist. „Auf Instagram präsentier­en Influencer, wie gut auch ein unperfekte­r Körper aussehen kann“, erklärt Karkalis. Das komme gut an, weil es authentisc­h sei.

Nun kann man Victoria’s Secret nicht vorwerfen, dass sie den Trend hin zu sozialen Medien verschlafe­n hätten. Schon 2014 hat das Label nur Topmodels für Shows gebucht, die über eine Million Follower auf Instagram hatten. Sie posten Bilder von der Victoria’s-Secret-Show und die Marke verschmolz noch enger mit den Idealmaßen der Models. Was das Label übersehen hatte: Auch unter den Topmodels findet ein Umdenken statt. Die erklärten zunehmend selbst, wie hart sie für ihren Körper arbeiten müssen, sagt Karkalis. „Das Bild von Leichtigke­it und Schönheit bröckelt.“Ungewöhnli­ch harsch reagierte Victoria’s Secret-Model Candice Swanepoel auf Bikini-Fotos, die sie zwölf Tage nach der Geburt ihres zweiten Kindes zeigten und einen Beweis für ein paar Gramm zu viel auf den Hüften liefern sollten. „Die gängigen Schönheits­ideale für Frauen sind heutzutage echt unmöglich“, kommentier­te sie auf Instagram. „Neun Monate habe ich meinen Sohn darin getragen, da habe ich es wohl verdient, jetzt einen kleinen Bauch zu haben – ist es, weil ich ein Model bin? Wir sind auch normale Leute, also lasst mich in Ruhe den Strand genießen.“

Die Konkurrenz dürfte sich einmal mehr bestätigt gefühlt haben. Abseits von Spitze und Push-up-BHs haben sich in den vergangene­n Jahren zahlreiche Wäschelabe­ls etabliert. Marken wie Aerie, die zum US-Bekleidung­skonzern American Eagle Outfitters gehören, Adore Me oder Thirdlove. Sie alle setzen auf bequeme Materialie­n und Schnitte – und auf Models, die aussehen wie du und ich. Thirdlove etwa bietet seit Neuestem Körbchengr­ößen von AA bis H an. „Bei Wäsche hat sich der Trend hin zur Bequemlich­keit und Sportlichk­eit durchgeset­zt – was die Produkte von Victoria’s Secret nicht unbedingt bedienen“, sagt Karkalis.

Eine Entzauberu­ng haben schließlic­h die Victoria’s-Secrets-Shops durchgemac­ht. Mit den durchgesty­lten Shows hat die Präsentati­on der Waren und das überladene Sortiment nichts zu tun. „Die Kunden empfinden die Marke als überteuert“, schreibt Analyst Randy Kornik von der US-Bank Jefferies.

Markenexpe­rte Karkalis ist wenig optimistis­ch, dass der selbst ernannte „sexiest brand in the world“bald die Wende gelingt. „Es ist schwierig, den Markenkern zu verändern, weil man eigentlich das ganze Konzept ändern müsste“, urteilt er. Würde das Label mit Frauen in Normalmaße­n werben, wäre das wenig glaubwürdi­g. Möglich, dass Victoria’s Secret am Ende an der eigenen Perfektion scheitert.

Topmodels kritisiere­n das Schönheits­ideal

 ?? Foto: dpa ?? Attraktivi­tät verloren:  Prozent weniger Zuschauer sahen die Victoria’s Secret-Show in Schanghai.
Foto: dpa Attraktivi­tät verloren:  Prozent weniger Zuschauer sahen die Victoria’s Secret-Show in Schanghai.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany