Thüringische Landeszeitung (Gera)
Die Hoffnungsträgerin
Seit einem halben Jahr ist Franziska Giffey (SPD) Familienministerin. Sie kommt gut an mit ihrem Credo: Gesicht zeigen
BERLIN/CHEMNITZ. Sie hat weiße Rosen mitgebracht, sie legt sie dort nieder, wo in der Nacht zu Sonntag der 35-jährige Daniel H. niedergestochen wurde. Franziska Giffey ist das erste Mitglied der Bundesregierung, das nach den Vorfällen dieser Woche Chemnitz besucht. Als Angelas Merkels Minister am Mittwoch im Kabinett noch überlegten, wer hinfahren könnte, hatte Giffey bereits für diesen Freitag einen Termin mit der Bürgermeisterin ausgemacht. „Wir müssen Gesicht zeigen“, sagt die SPD-Politikerin. Die Menschen dürften nicht „das Gefühl haben, dass sie allein sind“. Ein Satz, der nicht nur für Chemnitz gilt.
Wer Giffey in diesen Tagen beobachtet, erlebt eine Ministerin, die ein großes Talent dazu hat, Gesicht zu zeigen. Und die dabei erstaunlich gut ankommt. Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln hat ihren Kiez verlassen, aber ihren Stil behalten: Mal schnodderig, mal fürsorglich – aber immer so, dass die Leute nachher denken: „Mensch, die war aber erfrischend!“
„Es hilft nichts, gute Politik zu machen, wenn die Leute nicht verstehen, was wir vorhaben“
Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin
Giffey berlinert heftig, wenn sie will. Und sie will oft: Weil sie damit das Eis schmelzen kann – zwischen der Bundesministerin und den Leuten, für die sie Politik machen will. „Hingehen, zuhören, handeln“– das ist ihr Mantra, nicht erst, seit sie vor einem knappen halben Jahr Familienministerin geworden ist. In der SPD gilt sie als Hoffnungsträgerin, viele sehen in ihr einen Politikertyp, der schaffen kann, was viele nicht mehr schaffen: zum Wähler durchdringen. Doch auch das gehört zur Wahrheit: Viele im Land kennen Giffey überhaupt nicht.
Leon zum Beispiel, 16 Jahre alt, Teilnehmer des Demokratieprojekts von DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt. Giffey ist im Zuge ihrer Sommerreise durch Deutschland zu Besuch gekommen. „Ich habe sie gestern erst gegoogelt“, sagt der Junge und blickt aufmerksam zu der Frau im roten Kostüm rüber, die gerade ins Eintracht-Trikot geschlüpft ist. In der hektisch organisierten Talkrunde mit den Jugendlichen redet sie nicht lange um den heißen Brei: „Was ist mit Mobbing? Redet ihr über so was?“, fragt sie. Es geht um Respekt, Toleranz, und was der Sport dazu beitragen kann. Man kann sich Giffey auch gut als Lehrerin vorstellen, eine von denen, die aus jedem Schüler sein Bestes herauskitzeln wollen. „Die interessiert sich wirklich“, sagt Eintracht-Vorstand Axel Hellmann nachher. „Von solchen Politikern wünscht man sich mehr.“
Zuhören ist das neue Zauberwort in der deutschen Politik. „Es ist immer gut, wenn die Politik mal rausgeht“, sagt Giffey, manchmal sagt sie sogar „jut“statt „gut“. In diesen Tagen ist Giffey viel unterwegs. Sie hockt auf Kitastühlen, spricht mit geflüchteten Müttern, mit Alleinerziehenden und Leuten, die sich gegen die Ausbreitung rechter Gruppen in ihrem Ort wehren. Dass die 40-Jährige auch Säle mit westdeutschen Bildungsbürgern rocken kann, zeigt sich bei der Eröffnung der Ausstellung zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in Frankfurt: Sie beklagt wie ihre Vorgängerinnen, dass in den Vorständen der Unternehmen immer noch 94 Prozent Männer sitzen. Aber sie hat noch eine Pointe: Eine Studie, erzählt Giffey, habe herausgefunden, dass nicht nur fast ausschließlich Männer die Chefposten besetzen – „sie heißen auch noch fast alle Thomas oder Michael.“Pause. „Echt jetzt!“ Giffey wirbt in diesen Tagen für ihr Gute-Kita-Gesetz, bei dem der Bund 5,5 Milliarden Euro in bessere Betreuungsqualität und niedrigere Elternbeiträge stecken will. Sie wirbt auch für Demokratieprojekte und mehr Anerkennung für soziale Berufe. Nur ein Wort nimmt sie dabei kaum in den Mund: SPD. Es scheint fast so, als wolle sie am liebsten gar nicht an ihre Partei erinnert werden. Giffey macht SPD-Politik ohne SPD-Etikett.
Dabei könnten die Genossen einiges von ihr lernen: Giffeys Stil, diese direkte, barrierefreie Sprache, klingt wie das Gegenmittel zu der bitteren Diagnose, die sich die SPD nach dem letzten Bundestagswahlkampf gestellt hat: Die Sozialdemokraten reden über die Köpfe der Menschen hinweg. Zu hölzern, zu technokratisch, zu lahm. „Wir müssen an unserer Sprache arbeiten. Wir haben das viel zu sehr vernachlässigt“, sagt Giffey unserer Redaktion. „Es hilft nichts, gute Politik zu machen, wenn die Leute gar nicht verstehen, was wir vorhaben.“
Über die SPD redet sie wenig