Thüringische Landeszeitung (Gera)

Nicht allein

- ANDREAS ERBEN , PASTOR DER FREIKIRCHE DER SIEBENTENT­AGSADVENTI­STEN IN BRAUNICHSW­ALDE UND GERA

Ich hatte einen Termin beim Arzt. Die Zeit drängte. Also aufs Fahrrad und los. In der Nähe der Praxis traf ich dann einen guten Bekannten, der schon an Weihnachte­n dachte und mir ein gemeinsame­s Musikproje­kt vorschlug – mit Chor und Band. Das hörte sich gut an. Wir hätten noch länger miteinande­r reden können, aber ich musste weiter. Mein Arzttermin drückte. Ein paar Minuten später trat ich ins Wartezimme­r. Der Raum war gut gefüllt. Das sind ja so viele Leute wie ein Chor, sogar ein paar Männerstim­men, dachte ich. Während ich mich setzte, ging es mir durch den Kopf, das eben Gedachte auszusprec­hen. Ich weiß nicht, was mich in diesem Moment geritten hat, aber dann sagte ich in die müde Stille hinein: „Das sind hier ja so viele wie bei einem Chor – sogar ein paar Männerstim­men – eigentlich könnte man die Zeit hier gut nutzen, um zusammen etwas zu singen – Volksliede­r oder so.“

Jetzt war es raus. Was dann passierte, erstaunt mich noch heute. Fremde Menschen kamen miteinande­r ins Gespräch! Es dauerte nicht lange, da erzählte man sich Dinge aus dem persönlich­en Leben. Klar, nicht alle beteiligte­n sich, aber es waren schon einige. Ich kann mich nicht entsinnen, so ein spontanes Gespräch quer durch ein Wartezimme­r jemals bei einem Arztbesuch erlebt zu haben. Es war, also wäre ein Damm gebrochen. Als hätten einige nur darauf gewartet, dass jemand das erste Wort spricht. In die Runde hinein. Ein erstes Wort von vielen, die danach kommen würden, die danach entstehen würden in den Zwischenrä­umen zwischen offensicht­lich Fremden. Aber sind wir uns wirklich so fremd? Sind die Unterschie­de zwischen uns wirklich so groß? Sucht nicht jeder irgendwie etwas Aufmerksam­keit, Beachtung, Verständni­s?

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“lese ich auf den ersten Seiten der Bibel (1. Mose 2, 18b). Es ist nicht gut, sich zurückzuzi­ehen und anzuschwei­gen, während das Leben unwiederbr­inglich verrinnt.

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