Thüringische Landeszeitung (Gera)
Plädoyer für eine fast vergessene Mahlzeit
Die Weinseele lässt mich nachts länger lachen und morgens länger schlafen, sodass ich, wenn es aus den Küchenfenstern nach der Zubereitung von frisch Paniertem oder Rotkraut duftet, meistens noch nicht mal gefrühstückt habe. Kein Wunder, dass meine Beziehung zum eigenen Mittagessen eher gestört ist.
Natürlich kann auch ich es genießen, mich dann mit Menschen zu treffen, wenn nicht der Mond, sondern die Sonne am höchsten steht. Ein Treffen mit mir hat ohnehin immer etwas mit Durst und Hunger oder im Idealfall mit Völlerei und Rausch zu tun. Mittags vielleicht etwas gepflegter.
Aber warum beschäftigt mich gerade jetzt gerade diese Mahlzeit, die doch kaum noch zelebriert wird? Nun, ganz einfach: Ich denke darüber nach, was die Gäste wohl wann im neuen Elephanten essen werden. Wer nimmt sich überhaupt noch die Zeit, um mittags ausgiebig zu essen? Der Tourist mit straff geplantem Kulturprogramm hat kaum Muße für eine ausgedehnte Mahlzeit. Und berufliche Treffen plus Mittagessen sind mittlerweile verpönt, jede zweite Flasche Wasser wird auf Verhältnismäßigkeit geprüft. Dabei ist doch gerade die entspannte berufliche Kommunikation abseits der Schreibtische oft viel kreativer und zielführender. Auch auf unserer Hotelbaustelle arbeitet jeder Fachbereich als einzelnes Rädchen für sich. Kommuniziert wird den ganzen Tag elektronisch, man liest von-, mit- und übereinander, sieht sich aber nicht. Das passiert aber Gott sei Dank beim gemeinsamen Mittagessen, wo man dann merkt: Der Mensch ist ein Herdentier und Gesellschaft wichtig. Bcc ist eben doch langweiliger als ein gepflegter Flurtratsch beim Schnitzel. Oder beim Fleischerimbiss, am Bratwurststand, bei der Asia-Nudelsuppe. Hauptsache, man isst mittags nicht allein – Smartphone als Begleitung zählt nicht.